Der rassistische Mord in den USA zeigt, wie schnell eine transnationale soziale Protestbewegung entsteht. Doch es besteht wegen ideologischer Schwächen die Gefahr, dass sie von Liberalen gekapert wird

George Floyd: Nicht nur Rassismus ist das Problem

Es gibt historische Beispiele, wie in den USA der antirassistische Kampf mit Erfahrungen aus der Arbeitswelt verbunden wurde. Noch in den 1950er und 1960er Jahren spielten linke Gewerkschafter im Kampf gegen den Rassismus in den USA eine wichtige Rolle. Daran erinnerte kürzlich der US-Literaturprofessor Walter Benn Michaels in einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel Rassismus, Kunst und Klassenfrage in der Le Monde Diplomatique. Er schildert, wer nach dem rassistischen Mord an den schwarzen Schüler Til Emmett Solidarität mit den Opfern geübt hat.

Wenig war von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken bisher zu hören. Nun sorgte ein Tweet für Aufmerksamkeit, in dem sie es als keinen Widerspruch hervortat, mit 58 Jahren „Antifa“ zu sein. Nun ist es schon merkwürdig, dass die Sozialdemokratin überhaupt die Altersfrage thematisiert. Ist ihr nicht bekannt, dass noch bis vor wenigen Jahren sehr alte Senioren …

…. im Rahmen des VVN-Bundes der Antifaschisten jungen Menschen von ihren Erfahrungen erzählten? Sie waren Widerstandskämpfer gegen den NS, oft jahrelang in Konzentrationslagern eingesperrt und auch im Nachkriegsdeutschland alles andere als wohlgelitten. In der BRD sollte der VVN sogar als kommunistisch beeinflusst verboten werden.

Das konnte aber dann doch durch eine gute Pressearbeit der Organisation verhindert werden, die zahlreiche ehemalige NSDAP-Mitglieder unter den Richtern ausgemacht hatte. Heute sorgt eine Bundesregierung, die auch von der von Saskia Esken repräsentierten Partei gestellt wird, dafür, dass dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, was sich auf die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden auswirkt. Nun ist der Begriff „Antifa“ zum Glück nicht patentiert. 

So kann man wie Esken auch unter „Antifa“ linksliberalen Heimatschutz verstehen.

Unsere schöne Heimat und die Menschen hier haben es verdient, dass wir uns als Demokraten faschistischen, rassistischen, menschenfeindlichen Tendenzen und Umtrieben entgegenstellen.

Saskia Esken, Twitter

Auch in Deutschland gegen Antifa mit Antiterrorparagraphen

Esken hat sich natürlich nicht als 58-jährige Antifa geoutet, als hierzulande linke Antifastrukturen kriminalisiert wurden. Das ist auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit dem Paragraphen 129a geschehen, der sogenannte terroristische Vereinigungen und Organisationen verfolgen soll. Esken wurde erst zur bekennenden Antifaschistin als US-Präsident Trump ankündigte, die Antifa als terroristische Organisation verbieten lassen zu wollen.

Da war man in Deutschland mit den Bemühungen insofern schon weiter, als man konkrete Personenkreise mit dem Antiterrorparagrafen anklagte. Wie so oft in der Geschichte dieser Paragrafen kam es selten zu Verurteilungen. Aber die Paragrafen erfüllten auch so ihren Zweck, die linken Strukturen waren lahmgelegt, mussten sich auf die Repressionsverfahren konzentrieren und konnten auch nach einer Einstellung ohne Verurteilung in der Regel nicht mehr an ihre bisherige politische Arbeit anknüpfen.

Einer der bekanntesten Repressionsschläge gegen die Antifa in der BRD richtete sich Mitte der 1990er Jahre gegen die Autonome Antifa (M) in Göttingen. Weniger bekannt waren ähnliche Verfahren in Frankfurt/Oder, Leipzig oder Dresden, wie auch aus vielen anderen Städten.

Es ist interessant, dass in einer Zeit, in der so viel über Trumps Repressionsdrohungen geredet wird, wenige daran erinnern, dass es in Deutschland eben nicht nur bei vollmundigen Ankündigungen geblieben ist. Auch das von Trump bemühte Konstrukt einer Antifa, die durch die Lande reist, um Gewalt anzuwenden, haben weder Trump in den USA noch die AfD in Deutschland erfunden.

Es war hierzulande immer wieder zu hören, als mit dem Begriff Antifa noch nicht eine SPD-Vorsitzende verbunden war und es dort eine klare verbale Abgrenzung zum Staat gab. Da war in antifaschistischen Publikationen noch von den „Deutschen Verhältnissen“ zu lesen. Dazu gehörten Staatsapparate, die eine ganze Autobahn stundenlang sperrten, um Antifas daran zu hindern, dass sie 1998 zu einer angemeldeten Anti-Nazi-Demonstration nach Saalfeld in Thüringen reisen konnten.

Etwas mehr historisches Wissen wäre schon wünschenswert, damit die berechtigte Empörung über die Rechtsregierung in den USA nicht mehr oder weniger unterschwellig dazu dient, dass sich Deutschland wieder einmal als Demokratieweltmeister aufführt.

Rassismus nur in den USA?

Das gilt natürlich auch für die weltweite Empörung nach dem Tod von George Floyd. In Frankreich wurden bei den Demonstrationen sofort an den 2016 unter ähnlichen Umständen wie Floyd ums Leben gekommenen Adama Traore erinnert. Auch er erstickte im Polizeigriff.

In Deutschland müsste einen sofort der Name von Oury Jalloh einfallen, wenn von polizeilichem Rassismus die Rede ist. Er verbrannte 2005 in einer Dessauer Polizeiwache. Doch einige der beteiligten Polizisten wurden nur wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt.

Die Mordanklage wurde auch dann nicht wieder aufgenommen, als von der Unterstützergruppe in Auftrag gegebene Gutachten belegten, dass Oury Jalloh nicht selber das Feuer gelegt haben konnte. Als selbst der zuständige Staatsanwalt einen Mord nicht mehr ausschloss, wurde ihm der Fall entzogen.

Nun wäre es doch schon ein Erfolg, wenn die Empörung über rassistische Polizeigewalt mit dafür sorgen würde, dass der Fall Oury Jalloh doch noch einmal aufgerollt wird.

Nicht nur Rassismus, sondern auch Verachtung der Armen ist das Problem

Die Beschäftigung mit dem Tod von Oury Jalloh legt aber auch offen, dass neben Rassismus die Verachtung von einkommensarmen Menschen ebenso das Problem ist. Bereits vor dem Tod von Oury Jalloh starben in der Dessauer Polizeiwache zwei Männer mit weißer Hautfarbe (2002 der wohnungslose Mario Bichtemann und 1997 Hans-Jürgen Rose).

Auch in den USA richtet sich die Polizeigewalt oft gegen Menschen mit geringem Einkommen, die sich in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen befanden. Dazu gehörte auch George Floyd. Es wäre also sinnvoll, wenn neben der Hautfarbe auch die Klassenlage der Betroffenen thematisiert würde.

Damit würde auch verhindert, dass sich hier neue Spaltungslinien auftun. Viele weiße Erwerbslose werden von den Rechten umworben, auch mit der Propaganda, dass die Politik für sie wenig tut. Von den Rechten wird hier bewusst, eine Spaltungslinie auf Grund der Hautfarbe aufgebaut. Diesen Fehler sollte eine Gegenbewegung nicht machen.

Kampf gegen Rassismus und kapitalistische Ausbeutung

Es gibt historische Beispiele, wie in den USA der antirassistische Kampf mit Erfahrungen aus der Arbeitswelt verbunden wurde.

Noch in den 1950er und 1960er Jahren spielten linke Gewerkschafter im Kampf gegen den Rassismus in den USA eine wichtige Rolle. Daran erinnerte kürzlich der US-Literaturprofessor Walter Benn Michaels in einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel Rassismus, Kunst und Klassenfrage in der Le Monde Diplomatique. Er schildert, wer nach dem rassistischen Mord an den schwarzen Schüler Til Emmett Solidarität mit den Opfern geübt hat.

Als Beobachter saßen damals bei dem Gerichtsverfahren in Mississippi schwarze und weiße Vertreter der United Packinghouse Workers, einer der radikalsten Gewerkschaften des Landes, die sowohl gegen die brutalen Arbeitsbedingungen der großen Fleischverpackungskonzerne als auch gegen die Jim-Crow-Gesetze massiv protestierte. Zwei Mitglieder der UPWA und der Kommunistischen Partei haben nach der Nachricht von Emmett Tills Tod bei der Gewerkschaft Geld lockergemacht, um Lebensmittel für die Familie Till zu kaufen, und sich später, als Emmetts Leichnam nach Chicago gebracht wurde, um Emmetts Mutter gekümmert.

Le Monde Diplomatique

Es ist auch eine Konsequenz aus der aktuellen Schwäche der linken Arbeiterbewegung, dass diese Kämpfe heute selten verbunden werden. Dass für eine handlungsfähige Linke keine linke Partei notwendig ist, zeigt die aktuelle Internetpräsenz der transnationalen Basisgewerkschaft IWW, wo es um die Gründung von Gewerkschaften geht.

Aus einer solchen Arbeit könnte sich eine Bewegung entwickeln, die nicht vergisst, dass George Floyd auch ein weißer Obdachloser gewesen sein könnte. Stattdessen wird der rassistische Mord heute primär als Folge der Brutalität und Willkür weißer Polizisten gesehen und interpretiert.

So beteiligen sich dann auch angesagte Kunstmenschen und digitale Konzerne am Protest und inszenieren sich als die Guten. Über ihren Anteil an der Ausbeutung von armen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe sowie ihrer Verdrängung aus bestimmten Wohngebieten wird natürlich nicht geredet. Dann würden diese Trittbrettfahrer der Proteste auch schnell wieder abspringen.

Mit der Erzählung des Mordes an Floyd, die nur den weißen Polizisten im Visier hat, wird vergessen, dass auch schwarze Polizisten an Repressalien gegen arme Menschen unterschiedlicher Hautfarbe in den USA beteiligt sind.

Wenn linke Feministinnen auf ihr Frausein reduziert werden

Auch in aktuellen feministischen Debatten wird bisweilen der Klassenbezug ausgeblendet. So stellt die Soziologin Hannah Schlüter in einer Kolumne in der Wochenzeitung Freitag die These auf, dass Frauen besser mit den besonderen Umständen der Corona-Krise umgehen können.

Mit Unsicherheit umgehen und diese zugeben, keine Antworten behaupten, wo nur Fragen stehen – das können gerade die Politikerinnen besser, wie etwa die neuseeländische Labour-Politikerin Jacinda Ardern, die finnische Sozialdemokratin Sanna Marin oder die US-Demokratin Alexandra Ocasio-Cortez. Das liegt nicht daran, dass ihre Biologie das so vorsieht, sondern dass sie in Sachen Risiken und Problemmanagement Profis sind und durch das viele Erziehen und Pflegen ihre Amygdala so gut trainiert haben. Die Amygdala ist jener Teil des Gehirns, der für Gefahrenanalyse, Angst und emotionale Bewertung und Einordnung zuständig ist. Das kann man von der Journalistin Mai-Thi Nguyen-Kim lernen. Genau wie eine Lektion in den Fallstricken und Fehlbarkeiten von Wissenschaft

Hannah Schlüter, Wochenzeitung Freitag

Nun ist es natürlich immer sinnvoll zu fordern, dass mehr Frauen sich an allen Aspekten des Lebens beteiligen. Doch wenn Schlüter den besonderen Umgang von Frauen in der Corona-Krise auch damit begründet, dass sie fürsorglicher sind, benutzt sie auch Argumente, die Frauen als besonders geeignet für Care- und Erziehungsarbeit sehen.

Schlüter argumentiert aber insofern nicht biologisch, als sie die Männer auffordert, mehr Carearbeit zu machen, um diese besonderen Eigenschaften zu erwerben. Allerdings stimmt schon Schlüters Prämisse nicht, dass Männer eher mit dem Corona-Notstand unzufrieden sind und dann auch auf die Straße gehen und Frauen eher mit der besonderen Situation umgehen können.

Es waren auch bei den unterschiedlichen Hygienedemonstrationen viele Frauen dabei, nur wurden in typisch patriarchaler Manier hauptsächlich bestimmte Männer hervorgehoben und ihnen unterstellt, sie hätten eine besondere Bedeutung für die Protestbewegung.

Was bei Schlüters Plädoyer für mehr Frauen in wichtigen Entscheidungsprozessen auffällt, ist dass sie völlig die unterschiedlichen politischen Positionen der genannten Frauen ausblendet.

Das wird besonders in dieser leicht esoterischen Passage deutlich:

Wenn Männer schon länger und mehr Erziehungsarbeit getan hätten, wäre ihre Amygdala vielleicht ausgeprägter. Sie bildet sich durch Übung weiter aus. Einmal mehr wird klar: Biologismen sind die Ausreden dafür, nichts zu verändern. Täten sie das, könnte ein kollektiver Lernprozess beginnen, an dessen Anfang die Erkenntnis steht, dass vielleicht auch ein paar Expertinnen wie die Politökonomin Maja Göpel oder die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker zurate gezogen werden könnten.

Hannah Schlüter, Wochenzeitung Freitag

Die hier genannte feministische Marxistin Gabriele Winker spielt eine wichtige Rolle bei der Gründung des Netzwerks Carerevolution. Doch sie sollte eben nicht auf ihre Rolle als Frau reduziert werden und auch nicht für irgendwelche esoterischen Amygdala-Stories instrumentalisiert werden.

Vielmehr wäre es wichtig, eben deutlich zu machen, dass sie sich eben auch innerhalb der Debatte in der feministischen Bewegung zur Carerevolution positioniert hat. Winker hat damit auch eine Verbindung von Feminismus und Klassenverhältnissen hergestellt, die auch in der antirassistischen Bewegung notwendig wäre. Peter Nowak