„PR-Desaster des grünen Kapitalismus: Was von der Graichen-Affäre bleibt“ weiterlesen
Schlagwort: Gabriele Winker
Solidarisches Klima
In Berlin mobilisiert seit Monaten ein Bündnis, das sich Berliner Kran- kenhausbewegung nennt, für mehr Personal und bessere Bezahlung der Beschäftigten im Krankenhaus- und Pflegebereich. In dem von der Dienst- leistungsgewerkschaft Verdi initiierten Bündnis arbeiten auch …
„Solidarisches Klima“ weiterlesenMit Vergesellschaftung gegen Care- und Klimakrise
2015 haben Sie im Transcript-Verlag schon ein Buch zur Care-Revolution herausgegeben. Wo ist der Unterschied zu Ihrem aktuellen Buch? …
„Mit Vergesellschaftung gegen Care- und Klimakrise“ weiterlesen»Wir verteidigen unsere Würde«
Was verstehen Sie unter »solidarischer Care-Ökonomie«?…
„»Wir verteidigen unsere Würde«“ weiterlesenKohle nur noch für die Pflege
„Der Markt wird es nicht richten – Gesundheit ist keine Ware“, lautet das Motto beim Berliner Aktionstag für eine bessere Gesundheit am 7. April. Wie in vielen Städten nutzen auch in Berlin Beschäftigte aus dem Medizin- und Pflegebereich gemeinsam mit Unterstützern den Weltgesundheitstag, um für ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr finanziellen Mitteln im Care-Bereich, wie der Gesundheits- und Pflegesektor genannt wird, an die Öffentlichkeit zu tragen. Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Gesundheit stärker in das Blickfeld der Gesellschaft gerückt. Das wollen Bündnisse in verschiedenen Städten nutzen, um …
„Kohle nur noch für die Pflege“ weiterlesenGeorge Floyd: Nicht nur Rassismus ist das Problem
Wenig war von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken bisher zu hören. Nun sorgte ein Tweet für Aufmerksamkeit, in dem sie es als keinen Widerspruch hervortat, mit 58 Jahren „Antifa“ zu sein. Nun ist es schon merkwürdig, dass die Sozialdemokratin überhaupt die Altersfrage thematisiert. Ist ihr nicht bekannt, dass noch bis vor wenigen Jahren sehr alte Senioren …
„George Floyd: Nicht nur Rassismus ist das Problem“ weiterlesenCare Revolution – oder Wege in eine solidarische Welt
aus: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
8/2015
Soziale Reproduktion in der Krise
Interview mit Gabriele Winker von Peter Nowak
Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker lehrt und forscht an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts sowie des bundesweiten „Netzwerks Care Revolution“. Diesen März ist im Transcript-Verlag ihr Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ erschienen. Peter Nowak sprach für den Vorwärts mit Winker über die Krise sozialer Reproduktion und die entstehende Care-Bewegung.
vorwärts: Im März 2014 fand in Berlin eine Aktionskonferenz zur „Care Revolution“ statt. Was ist seither geschehen?
Gabriele Winker: Die „Care Revolution“ nimmt einen grundlegenden Perspektivwechsel vor. Das ökonomische und politische Handeln darf nicht weiter an Profitmaximierung, sondern an menschlichen Bedürfnissen, primär der Sorge umeinander ausgerichtet sein. Eine Gesellschaft muss sich also daran messen lassen, inwieweit sie grundlegende Bedürfnisse gut und für alle Menschen realisieren kann. Nach der Aktionskonferenz, an der sich etwa 500 im Care-Bereich tätige Menschen in vielfältigen Workshops beteiligten, haben wir im Mai 2014 das „Netzwerk Care Revolution“ gegründet. Das ist eine Art Plattform, über die sich die verschiedensten Care-Initiativen vernetzen, austauschen und gegenseitig unterstützen können. Wir haben uns ferner darauf geeinigt, uns in diesem Jahr als Netzwerk an Aktionen zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März, zu Blockupy und zum 1. Mai zu beteiligen. An diesen drei Tagen war das „Netzwerk Care Revolution“ durch kleine Demonstrationsblöcke oder Infotische in mehreren Städten deutlich sichtbar. Auch gibt es inzwischen regionale Netzwerke in Berlin, Brandenburg, Hannover, Hamburg, Frankfurt und Freiburg. Andere befinden sich im Aufbau. Für April 2016 planen wir die zweite bundesweite Aktionskonferenz Care Revolution, wieder in Berlin.
vorwärts: Warum kommt die Debatte um die Care Revolution gerade in dieser Zeit auf?
Gabriele Winker: Der Wandel vom Ernährermodell zu verschiedenen neoliberalen Reproduktionsmodellen, die alle kein gutes Leben ermöglichen, ist in der BRD sehr langsam erfolgt, nicht zuletzt wegen der jahrzehntelangen Konkurrenz mit der DDR. Die neoliberale Familienpolitik, die mit dem Ziel der Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und der Geburtenrate Wirtschaftspolitik betreibt und sehr stark zwischen Leistungsträgerinnen und -trägernund Ausgegrenzten unterscheidet, beispielsweise durch grosse Unterschiede in der Höhe des Elterngelds, nahm erst nach der Jahrtausendwende Fahrt auf. So wird erst derzeit deutlich spürbar, dass Menschen damit überfordert sind, sich – unabhängig von Geschlecht, Familienstatus, Umfang der Sorgeaufgaben – je einzeln durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft existenziell abzusichern und gleichzeitig die wegen der staatlichen Kostensenkungspolitik zunehmende Reproduktionsarbeit in Familien zu leisten. Arbeit ohne Ende wird für immer mehr Menschen zur Realität. Die Selbstsorge kommt zu kurz. Musse ist zum Fremdwort geworden. Und auch diejenigen, die auf die Unterstützung anderer angewiesen sind, wie Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene, können ihre Bedürfnisse nicht realisieren. Es nimmt nicht nur der Stress zu, sondern auch die Erschöpfung, da Erholungsphasen fehlen. Dies führt nicht zuletzt zu mehr Fällen psychischer Erkrankungen.
vorwärts: Sie haben den Begriff der „Care Revolution“ wesentlich geprägt. Auf welche theoretischen und praktischen Vorarbeiten haben Sie sich gestützt?
Gabriele Winker: Einerseits bin ich beeinflusst von der Zweiten Frauenbewegung. Bereits in den 70er Jahren wurde in diesem Rahmen auch in der BRD dafür gekämpft, die nichtentlohnte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anzuerkennen. Dies führen beispielsweise Gisela Bock und Barbara Duden in ihrem Beitrag zur Berliner Sommeruniversität für Frauen 1977 aus. In den 90er Jahren begannen dann in den USA Debatten um die Care-Arbeit. Mit diesem Begriff wies beispielsweise Joan Tronto sehr früh darauf hin, dass Menschen ihr ganzes Leben lang Sorge von anderen benötigen und somit nicht völlig autonom leben können, sondern ihr Leben vielmehr in interdependenten Beziehungen gestalten. Meine Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft, die ich als Ziel einer Care-Revolution entwickelte, baut deswegen auf menschliche Solidarität und Zusammenarbeit.
vorwärts: Worauf stützt sich die neue Care-Revolution-Bewegung?
Gabriele Winker: Auffallend ist, dass es im entlohnten Care-Bereich, in Bildung und Erziehung sowie Gesundheit und Pflege, aber auch im unentlohnten Bereich, ausgehend von der Sorgearbeit in Familien, viele kleine Initiativen gibt, zum Beispiel Elterninitiativen, Organisationen von pflegenden Angehörigen, Gruppen von Menschen mit und ohne Behinderungen, Initiativen von und für Flüchtlinge, aber auch Verdi-Gruppen sowie queerfeministische und linksradikale Gruppen, die das Thema Care aufnehmen. Viele engagieren sich für bessere politisch-ökonomische Rahmenbedingungen, damit sie für sich und andere besser sorgen können. Alleine und vereinzelt sind sie allerdings bisher zu schwach, um politisch wahrgenommen zu werden und eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen. Hinter der Care Revolution steht die Idee, diese Gruppen nicht nur über diesen Begriff zu verbinden, sondern damit auch aufeinander zu verweisen und eine sichtbare Care-Bewegung zu entwickeln. Wichtig ist dafür allerdings auch eine klare Analyse, die deutlich macht, dass der gesamte Care-Bereich unter den Folgen staatlicher Kostensenkungspolitik leidet, die mit der politisch-ökonomischen Krise sozialer Reproduktion verbunden ist. Davon ausgehend können wir mit der Care-Revolution als Transformationsstrategie gemeinsam erste Reformschritte in Richtung bedingungslose existenzielle Grundsicherung, deutliche Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit sowie Ausbau der sozialen Infrastruktur gehen.
vorwärts: Sie fassen in Ihrem Buch Aktivitäten der „Interventionistischen Linken“ über Verdi-Gruppen bis zu Pflegeinitiativen unter den Begriff „Care Revolution“. Wird da nicht über ganz unterschiedliche Aktivitäten ein Label gestülpt?
Gabriele Winker: Wichtig ist zunächst festzustellen, dass die im Buch genannten Gruppen und viele mehr, die zur Aktionskonferenz Care Revolution im März 2014 aufgerufen haben, sich selbst diesem Begriff und der Vorstellung zuordnen, dass die Bedingungen für Sorgearbeit in unserer Gesellschaft grundlegend revolutioniert werden müssen. Dabei sind das keine grossen Verbände, sondern Gruppen vor Ort, wie die IL Tübingen, die Verdi-Betriebsgruppe Charité, die Elterninitiative „Nicos Farm“ für behinderte Kinder in Hamburg oder kleinere Organisationen wie die Initiative „Armut durch Pflege“, die bereits viele Erfahrungen in sozialen Auseinandersetzungen im Care-Bereich haben. Die Zusammenarbeit dieser Gruppen wird eben nicht durch eine Organisation gestaltet, die über ein Label Bedeutung erringen will. Vielmehr sehe ich die besondere Stärke der im Werden begriffenen Care-Bewegung darin, dass sich Menschen in unterschiedlichen Positionen innerhalb der Care-Verhältnisse austauschen und ihre Kämpfe aufeinander beziehen.
vorwärts: Können Sie Beispiele nennen?
Gabriele Winker: Bei Treffen und Aktionen kommen beispielsweise Beschäftigte in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen mit pflegenden Angehörigen und Menschen zusammen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten zeitlich aufwändig für sich sorgen müssen. Wir alle können morgen von Krankheit betroffen sein und sind dann auf gute Pflege angewiesen. Und die staatliche Kostensenkungspolitik trifft nicht nur die Beschäftigten in allen Care-Bereichen gleichermassen, sondern in der Folge auch Familien, Wohngemeinschaften und andere Lebensformen, wenn Patienten „blutig“ entlassen werden oder notwendige Gesundheitsleistungen für Kassenpatientinnen gestrichen werden. Diese Verbindungen sind noch viel zu wenig präsent, auch in linken politischen Zusammenhängen. Nur wenn sich etwa Erzieherinnen und Eltern oder beruflich und familiär Pflegende als gesellschaftlich Arbeitende begreifen, können sie sich auf Augenhöhe in ihren Kämpfen um ausreichende Ressourcen und gute Arbeitsbedingungen unterstützen. Dies gilt unter dem Aspekt der Selbstsorge auch für Assistenzgebende und Assistenznehmende.
vorwärts: Warum kann im Kapitalismus das Problem der Sorgearbeit nicht gelöst werden?
Gabriele Winker: Das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ist Profitmaximierung. Die ist nur durch den Einsatz von Arbeitskraft zu erreichen, die allerdings tagtäglich und auch über Generationen hinweg immer wieder neu reproduziert werden muss. Der sich daraus ergebende Widerspruch, dass einerseits die Reproduktionskosten der Arbeitskraft möglichst gering gehalten werden sollen, um die Rendite nicht allzu sehr einzuschränken, gleichzeitig aber diese Arbeitskraft benötigt wird, ist dem Kapitalismus immanent. Grundvoraussetzung für die Aufrechterhaltung dieses widersprüchlichen Systems ist, dass ein grosser Teil der Reproduktion unentlohnt abgewickelt wird. Mit der technologischen Entwicklung lassen sich nun zwar Güter und produktionsnahe Dienstleistungen schneller herstellen, nicht aber Care-Arbeit beschleunigen, zumindest nicht, ohne dass es zu einer massiven Verschlechterung der Qualität kommt. Denn Care-Arbeit ist kommunikationsorientiert und auf konkrete einzelne Menschen bezogen und damit sehr zeitintensiv. Die Folge ist, dass Produktivitätssteigerungen in diesem Bereich nur begrenzt möglich sind. Es kommt zu einer Krise sozialer Reproduktion, die ich als Teil der Überakkumulationskrise sehe.
Für mehr Infos siehe:
www.care-revolution.org
VORWÄRTS/1120: Interview mit Gabriele Winker – Soziale Reproduktion in der Krise
Streiks im Erziehungs- und Pflegebereich
Aus der Perspektive der Krise der sozialen Reproduktion betrachten!
Interview mit Gabriele Winker*
Die jahrelange Vernachlässigung von Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge zugunsten der Profitsteigerung mündet in einen nicht mehr tragbaren Raubbau an den Kräften der dort Beschäftigten. Die meisten Streiks drehen sich derzeit um Probleme der Arbeitsüberlastung und die auch finanziell zu geringe Anerkennung der Berufe im «Dienst am Menschen». Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker sieht darin eine Krise der sozialen Reproduktion überhaupt und ordnet sie ein in die umfassende, aktuelle Krise des Kapitalismus.
Was verstehen Sie unter Care Revolution?
Das Konzept Care Revolution nimmt einen grundlegenden Perspektivwechsel vor. Das ökonomische und politische Handeln darf nicht weiter an Profitmaximierung, sondern es muss an menschlichen Bedürfnissen, primär der Sorge umeinander, ausgerichtet sein. Eine Gesellschaft muss sich also daran messen lassen, inwieweit sie grundlegende Bedürfnisse gut und für alle Menschen realisieren kann. Dazu gehört eine hervorragende soziale Infrastruktur. Nicht zuletzt um dieses hohe Gut für alle streiken die Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter derzeit.
Was hat der aktuelle Kita-Streik mit Care Revolution zu tun?
Die Streikenden in Kitas und weiteren sozialen Einrichtungen haben nicht nur unsere grundlegende Solidarität verdient, sondern wir sollten sie auch in unserem ureigensten Interesse tatkräftig unterstützen. Erzieherinnen gehören zu den Care-Beschäftigten: Sie kümmern sich um unsere Kinder. Dies beinhaltet vielfältige anspruchsvolle Tätigkeiten, die stereotyp Frauen zugeordnet werden. Da in Familien vor allem Frauen unentlohnt für die Kindererziehung zuständig sind, wird in der Konsequenz auch der Beruf der Erzieherin schlecht entlohnt. Dies ändert sich auch derzeit nicht, obwohl es einen zunehmenden Fachkräftemangel gibt.
Nach wie vor ist der Umgang mit Technik, der männlich konnotiert ist, deutlich höher entlohnt als der mit Menschen. Das hat auch viel damit zu tun, dass Technik in der Güterproduktion und der produktionsnahen Dienstleistung profitabel eingesetzt werden kann, während aus kapitalistischer Perspektive Erziehungsarbeit nur mit Kosten verbunden ist. Dabei sind die Löhne der Beschäftigten ein wichtiger Kostenfaktor ebenso wie die Personalausstattung, die es deswegen zu reduzieren gilt.
Auf welche theoretischen Prämissen stützen Sie sich beim Konzept «Care Revolution»?
Einerseits bin ich beeinflusst von der zweiten Frauenbewegung [die der 70er und 80er Jahre]. Bereits in den 70er Jahren wurde in diesem Rahmen auch in der BRD dafür gekämpft, die nicht entlohnte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anzuerkennen. Dies führten bspw. Gisela Bock und Barbara Duden in ihrem Beitrag zur Berliner Sommeruniversität für Frauen 1977 aus. In den 90er Jahren begannen dann im US-amerikanischen Kontext Debatten um die Care-Arbeit.
Mit diesem Begriff verweist bspw. Joan Tronto sehr früh darauf, dass Menschen in ihrem ganzen Leben immer Sorge von anderen benötigen und somit nicht völlig autonom leben können, sondern ihr Leben vielmehr in interdependenten Beziehungen gestalten. Davon habe ich gelernt, dass Menschen als grundlegend aufeinander Angewiesene zu begreifen sind. Meine Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft, die ich als Ziel einer Care Revolution entwickele, baut deswegen auf menschliche Solidarität und Zusammenarbeit.
Wer ist Träger der neuen Care-Revolution-Bewegung?
Auffallend ist, dass es im entlohnten Care-Bereich in Bildung und Erziehung sowie Gesundheit und Pflege, aber auch im unentlohnten Care-Bereich ausgehend von Sorgearbeit in Familien viele kleine Initiativen gibt, bspw. Elterninitiativen, Organisationen von pflegenden Angehörigen, Gruppen von Menschen mit und ohne Behinderungen, Initiativen von und für Flüchtlinge, aber auch aktive Ver.di- und GEW-Gruppen sowie queer-feministische und linksradikale Gruppen, die das Thema Care aufnehmen.
Viele engagieren sich für bessere politisch-ökonomische Rahmenbedingungen, damit sie für sich und andere besser sorgen können. Alleine und vereinzelt sind sie allerdings bisher zu schwach, um im politischen Raum wahrgenommen zu werden und eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen. Deswegen steht hinter dem Begriff Care Revolution die Idee, diese Gruppen nicht nur über den Begriff zu verbinden, sondern darüberhinaus auch gegenseitig aufeinander zu verweisen und darüber eine sichtbare Care-Bewegung zu entwickeln.
Können Sie Beispiele nennen?
In Treffen und Aktionen kommen bspw. Care-Beschäftigte in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen mit pflegenden Angehörigen und Menschen zusammen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten zeitlich aufwändig für sich sorgen müssen. Wir alle können morgen von Krankheit betroffen sein und sind dann auf gute Pflege angewiesen. Und die staatliche Kostensenkungspolitik trifft nicht nur die Care-Beschäftigten in allen Bereichen gleichermaßen, sondern in der Folge auch Familien, Wohngemeinschaften und andere Lebensformen – etwa wenn Patienten «blutig» entlassen werden oder notwendige Gesundheitsleistungen für Kassenpatienten gestrichen werden.
Diese Zusammenhänge sind auch in linken politischen Zusammenhängen noch viel zu wenig präsent. Nur wenn sich etwa Erzieherinnen und Eltern oder beruflich und familiär Pflegende als gesellschaftlich Arbeitende begreifen, können sie sich auf Augenhöhe in ihren Kämpfen um ausreichende Ressourcen und gute Arbeitsbedingungen unterstützen. Dies gilt unter dem Aspekt der Selbstsorge auch für Assistenzgebende und Assistenznehmende.
Warum sind Sie der Meinung, dass das Problem der Sorgearbeit im Kapitalismus nicht gelöst werden kann?
Das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ist Profitmaximierung. Dies ist nur durch den Einsatz von Arbeitskraft zu erreichen, die allerdings tagtäglich und auch über Generationen hinweg immer wieder neu reproduziert werden muss. Der sich daraus ergebende Widerspruch, dass einerseits die Reproduktionskosten der Arbeitskraft möglichst gering gehalten werden sollen, um die Rendite nicht allzu sehr einzuschränken, gleichzeitig aber diese Arbeitskraft benötigt wird, ist dem Kapitalismus immanent. Grundvoraussetzung für die Aufrechterhaltung dieses widerspruchsvollen Systems ist, dass ein großer Teil der Reproduktion unentlohnt abgewickelt wird.
Mit der technologischen Entwicklung lassen sich nun zwar Güter und produktionsnahe Dienstleistungen schneller herstellen, nicht aber Care-Arbeit, zumindest nicht, ohne dass es zu einer massiven Verschlechterung der Qualität kommt. Denn Care-Arbeit ist kommunikationsorientiert und auf konkrete, einzelne Menschen bezogen und damit sehr zeitintensiv. Dies hat die Auswirkung, dass in diesem Bereich Produktivitätssteigerungen, die nicht gleichzeitig die Qualität der Care-Arbeit verschlechtern, nur begrenzt möglich sind. Es kommt zu einer Krise der sozialen Reproduktion, die ich als Teil der Überakkumulationskrise sehe.
Wie kann verhindert werden, dass viele sich doch wieder nur mit kleinen Verbesserungen begnügen?
Die sozialen Auseinandersetzungen um all die kleinen Reformschritte gilt es permanent zu verbinden mit dem Eintreten für eine Gesellschaft, in der alle – solidarisch und gemeinschaftlich organisiert – die jeweils eigenen Fähigkeiten entwickeln können.
Dies bedeutet bspw., dass bei Auseinandersetzungen um verbesserte Bildungsfinanzierung gleichzeitig die kollektive Selbstorganisation des Bildungssystems ohne Zugangsbeschränkungen eingefordert wird. Bei Aktionen von streikenden Ärzten und Pflegekräften muss darauf hingewiesen werden, dass es auch bei einer besseren Personalausstattung noch viele Menschen gibt, die grundsätzlich von der Krankenversorgung ausgeschlossen sind. Auch lassen sich all diesen politischen Auseinandersetzungen im Care-Bereich mit Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe verbinden.
Wird diese Verknüpfung bei allen politischen Aktionen konsequent durchgeführt, ist Care Revolution eine Strategie, die Reformen nutzt, damit möglichst viele Menschen bereits heute sinnvoller arbeiten und besser leben können, gleichzeitig aber in diesen Auseinandersetzungen erkennen, dass letztlich darüber hinausgehende, gesellschaftliche Veränderungen erforderlich sind.
Wichtig ist also, in sozialen Auseinandersetzungen um Reformen die Perspektive anderer in den Blick zu nehmen, für die Inklusion aller Menschen einzutreten sowie eine grundlegende gesellschaftliche Teilhabe durch demokratische Strukturen einzufordern.
Diese Ziele sind ohne Rücksicht auf die Frage zu verfolgen, ob sie im Rahmen des derzeitigen politisch-ökonomischen Systems realisierbar sind. Eine solche Strategie nannte Rosa Luxemburg 1903 «revolutionäre Realpolitik».
* Gabriele Winker lehrt und forscht an der TU Hamburg-Harburg und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg sowie des bundesweiten «Netzwerks Care Revolution». Im vergangenen Jahr war sie Mitorganisatorin der Aktionskonferenz «Care Revolution» in Berlin, bei der verschiedene im Bereich sozialer Reproduktion tätige Gruppen und Personen zusammenkamen (siehe SoZ 5/2014). Im März 2015 erschien im Transcript-Verlag ihr Buch Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft.
http://www.sozonline.de/2015/07/streiks-im-erziehungs-und-pflegebereich/
Interview: Peter Nowak
„Wir haben es mit einer Krise der sozialen Reproduktion zu tun“
Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker[1] lehrt und forscht an der TU Hamburg-Harburg und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg[2] sowie des bundesweiten „Netzwerks Care Revolution“. Im vergangenen Jahr war sie Mitorganisatorin der Aktionskonferenz Care Revolution[3] in Berlin, bei dem verschiedene im Bereich sozialer Reproduktion tätige Gruppen und Personen zusammenkamen. Im März ist im Transcript-Verlag ihr Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“[4] erschienen.
„„Wir haben es mit einer Krise der sozialen Reproduktion zu tun““ weiterlesenWenn der 3 D-Drucker zur Verheißung für das Ende der Lohnarbeit wird
Während das Unsichtbare Komitee kommende Aufstände erst einmal absagt, gibt es in verschiedenen Bereichen der linken Bewegung neue Perspektivdiskussionen
Die Blockupy-Proteste sind vorbei und die außerparlamentarische Bewegung, die sie monatelang vorbereitete, gönnt sich mehrheitlich eine Pause. Andere organisieren die kalendarisch anfallenden Protesttage wie die Demonstrationen zum 1. Mai. Bei beiden Großveranstaltungen geht es um den Widerstand gegen die Symbole herrschender Politik wie die EZB, bzw. um die Sichtbarmachung von politischem und sozialem Protest an einem historisch aufgeladenen Datum beim 1. Mai [1].
Dabei wurde auch in Berlin ein Dilemma der außerparlamentarischen Linken deutlich. Die Teilnehmerzahl ist weiterhin hoch; die Organisatoren sprechen sogar von der größten Demonstration der letzten Jahre. Doch da nur zwei Lautsprecherwagen mitfuhren, war der Großteil der Demonstration eher ein Spaziergang ohne Parolen. Hier wird deutlich, wie wenig organisierte Gruppen es in der außerparlamentarischen Linken noch gibt.
Ein anderes Problem für die Demo-Organisatoren ist die Eventgesellschaft. Das einst als Gegengewicht zu den oft militanten Maidemonstrationen etablierte Myfest [2] sorgt mittlerweile in einer Weise für eine Beeinträchtigung der Demonstration, die sich vor fast 10 Jahren selbst die Erfinder des Events nicht hätten träumen lassen. Potentielle Demonstrationsteilnehmer konnten nicht an dem Aufzug teilnehmen, weil sie wegen der Menschenmassen nicht zum Zielort kamen.
Was wie eine besonders dreiste Ausrede von Demoorganisatoren klingt, haben unabhängig voneinander mehrere Personen bestätigt [3]. Zudem brauchten die Demovorbereiter solche Storys wahrlich nicht zu erfinden, war doch die Teilnehmerzahl trotzdem sehr hoch. Viele der Teilnehmer haben das Myfest bewusst umgangen.
Das Problem könnte sich in den nächsten Jahren lösen. Die Kreuzberger Bürgermeisterin stellt das Myfest in Zukunft in Frage, offiziell wegen Sicherheitsbedenken [4]. Doch es wird schon mehrere Jahre gefragt, warum für das Myfest noch Geld ausgeben werden soll, wo es doch sein Ziel erreicht hat. Die Demonstrationen sind immer weniger mit Randale verbunden.
Manche meinen schon, dass Kreuzberg einen Imageschaden erleiden könnte, wenn in dem Stadtteil der 1. Mai nur noch ein großer Event sein sollte. Schließlich gehört zumindest für die Kreativwirtschaft ein wenig Widerstand durchaus zu den positiven Stadtortfaktoren [5].
Der kommende Aufstand – erst einmal vertagt
In diesen Kreisen wurde deshalb auch ein schmales Bändchen sehr gelobt, das von dem anonymen Autorenkollektiv Unsichtbares Komitee unter dem Titel „Der kommende Aufstand“ verfasst worden war. Es wurde sogar zum Theoriebuch der aktuellen Linksradikalen hochgeschrieben [6], obwohl dort außer der intellektuell geschraubten Sprache wenig Theorie zu finden war.
Nun hat das Autorenkollektiv ein zweites Buch mit dem Titel „An unsere Freunde“ [7] nachgelegt und mit Ernüchterung festgestellt: Die Aufstände sind gekommen, geändert hat sich nichts:
„Dezentrale und zeitlich begrenzte Aufstände führen eben noch keinen Systembruch herbei. Trotz zunehmender, auch militanter Proteste in den vergangenen Jahren ist der Kapitalismus schließlich in bester Verfassung“, fasst [8] der Rezensent Florian Schmid im Freitag die Botschaft des zweiten Buches zusammen.
Es ist tatsächlich auch eine Niederlage für alle, die Bewegungen fetischieren, Theorie eher als Beiwert und alle Formen von festen Organisationen zum Übel erklären. Das Unsichtbare Komitee musste hier nur die Erfahrung persönlich machen, die radikale Linke zu allen Zeiten machen mussten. Für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse reicht nicht eine gehörige Portion Utopie und Voluntarismus.
Carerevolution – oder Wege in eine solidarische Welt
Wesentlich weniger Aufmerksamkeit als „Der kommende Aufstand“ hat bisher ein Buch bekommen, das wahrscheinlich mehr zu einer Transformation der Verhältnisse beitragen kann, als noch so viele Unsichtbare Komitees. In „Care Revolution- Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ [9] zeigt die feministische Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker [10] auf, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht in der Lage ist, eine Sorgearbeit für alle Menschen zu garantieren.
Dazu gehört die Kindererziehung, die Bildung, aber auch die immer wichtiger werdende Pflegearbeit für ältere Menschen. Winker legt dar, dass diese Vernachlässigung nicht an bösen Menschen und Organisationen, sondern im Verwertungsinteresse des Kapitals begründet liegt. Sie bleibt aber nicht bei dem Lamento über die schlechten Zustände stehen.
In mehreren Kapiteln zeigt sie die unterschiedlicher Facetten einer Carebewegung, die sich eben nicht mit den Sachzwängen zufrieden geben will. Dabei gehören auch immer wieder gewerkschaftliche Kämpfe. So kämpfen Mitarbeiter an der Berliner Charité für einen Personalschlüssel, der eine gute Pflege für alle überhaupt noch möglich macht.
Ähnliche Bewegungen gibt es im Kitabereich, wo die Streiks der nächsten Tage durchaus auch als Teil dieser Carebewegung betrachtet werden können. Besonders überzeugend ist Winkers Plädoyer, weil sie auch deutlich macht, dass hier und heute der Kampf um Veränderungen beginnen muss, die Kämpfe aber über die kapitalistische Gesellschaft hinausweisen müssen. Sie lässt da keinen Raum für Illusionen von Reformen im System.
Im Gegensatz zum „Kommenden Aufstand“ zeigt Care Revolution die Möglichkeiten auf, Veränderungen im Alltag zu beginnen, ohne sich in der Realpolitik zu verfangen. Deswegen ist es vielleicht nicht der große Renner der Feuilletonisten, wird aber in verschiedenen Kreisen der außerparlamentarischen Linken nicht nur gelesen, sondern durchaus auch als undogmatische Handelsanleitung verstanden.
Im letzten Jahr gab es den großen bundesweiten Kongress zur Care Revolution [11]. Seitdem finden nicht nur regelmäßige Treffen statt. Auf großen Demonstrationen gibt es eigene Blöcke, die die Carerevolution thematisieren, beispielsweise bei den Blockupy-Protesten [12] am18. März 2015 oder beim 1. Mai in Berlin.
Dort hatte das Netzwerk unter dem Motto „Tag der unsichtbaren Arbeit [13]“ aufgerufen. Erstaunlicherweise blieben diese Aktivitäten auch in einem großen Teil der Medien, die über den 1. Mai berichteten, unsichtbar. Es scheint eben immer noch angesagter, über unverbindliche kommende oder kleine Kreuzberger Aufstände beziehungsweise ihr Ausbleiben zu schreiben, als über Transformationsprozesse, die sich an den aktuellen Verhältnissen orientieren.
Linke Woche der Zukunft
Diesen Anspruch hat auch die parteiförmig organisierte Linke. Ende August lud sie zu einer linken Woche der Zukunft [14]nach Berlin ein. Unter den mehreren Hundert Veranstaltungen fanden sich tatsächlich einige, die zumindest die Fragen aufwerfen, die in den nächsten Jahrzehnten aktuell sind. Dass man dabei bei Abwehrkämpfen, wie „Hartz IV muss weg“ oder „Kein Krieg mit Russland“ nicht stehen bleiben kann, ist eigentlich allen klar.
Es müssen Politikfelder gesucht werden, die Menschen Lust machen, sich in einer linken Bewegung oder Partei zu engagieren. Dafür sind Abwehrkämpfe nur bedingt geeignet. So diskutierten auf einer Podiumsveranstaltung unter dem Titel „Digitale Revolution?“ die ehemalige Piratenpolitikerin Anke Domscheit-Berg, der marxistische Soziologe Christian Fuchs und die Linkspartei-Abgeordnete Halina Wawzyniak über die Frage, ob die Digitalisierung der Produktionsverhältnisse nicht auch emanzipatorische Momente habe.
Dabei blieb man aber oft noch zu sehr bei der Frage stecken, ob denn die 3-D-Drucker in der nächsten Generation tatsächlich so viele Lohnarbeitsverhältnisse überflüssig machen würden. Erst, wenn sich eine Linke die Frage stellt, warum ist es denn ein Fluch ist, dass Lohnarbeitsverhältnisse durch Maschinen überflüssig werden und welche Verhältnisse hergestellt werden müssen, dass man darüber froh sein kann, wenn Maschinen stupide, oft krankmachende Lohnarbeit übernehmen, ist sie aber auf der Höhe der Zeit.
Denn dann käme wieder die Schranke der kapitalistischen Verwertungslogik auf die Tagesordnung. Zudem könnte endlich die Diskussion darüber beginnen, ob viele Menschen nicht tatsächlich viel Schöneres als Lohnarbeit machen könnten und dass für viele nicht das Problem der Verlust der Lohnarbeit, sondern das Fallen ins das Hartz IV-System ist.
Genau da müsste eine linke Praxis ansetzen, die genau das verhindert. Wenn die Leute mehr freie Zeit haben, könnten sie Sorgearbeit für sich und ihre Freunde in einem viel größeren Umfang selber leisten. Darauf weist Gabriele Winker in Care Revolution hin und zeigt damit auf, dass es durchaus heute schon Skizzen für ein linkes Projekt gibt, für das sich zu kämpfen lohnt. Dafür braucht es allerdings einen langen Atem.
Wer innerhalb weniger Jahre kommende Aufstände an- und absagt, hat die zumindest nicht. Der richtet sich eher nach dem Rhythmus der Kulturindustrie.
http://www.heise.de/tp/news/Wenn-der-3-D-Drucker-zur-Verheissung-fuer-das-Ende-der-Lohnarbeit-wird-2636333.html
Peter Nowak
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