Um die Identitäre Bewegung, die zeitweise als modernisierte Rechte bezeichnet wurde, ist es in der letzten Zeit still geworden. Seit sich rumgesprochen hat, dass Ultrarechte nicht mehr wie SA-Abziehbilder aussehen müssen, verloren die Medien das Interesse an ihnen. Ihr Zentrum in Halle haben sie auch schon verloren. Doch auf der griechischen Insel Lesbos wollen sich die Identitären als Verteidiger des europäischen Abendlands inszenieren, wurden aber…..
… von Antifaschisten vertrieben und schließlich von den griechischen Behörden ausgewiesen. Schließlich gibt es auf Lesbos genug Nationalisten, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass weitere Migranten auf die Insel kommen. Dazu brauchen sie rechte Hilfe aus Deutschland gar nicht.
Trotzdem tummelten sich in den letzten Tagen unterschiedliche Rechte aus Deutschland und anderen europäischen Ländern dort, auch AfD-Politiker und rechte Blogger wurden gesehen.
Solidarität mit welchen Griechenland?
Sie verkauften die Verteidigung der Festung Europas als angebliche Solidarität mit Griechenland. Dabei hatten noch 2015 Rechte aller Couleur eine Kampagne gegen die „Pleitegriechen“ betrieben. Als große Teile der griechischen Bevölkerung die Politik der Troika abgewählt hatten, und Syriza-Politiker dabei um Solidarität in der EU baten, waren die Bild-Zeitung, CDU und die gesamte Rechte dagegen.
Die AfD war die Partei, die mit dem Ressentiment gegen die „faulen Griechen“, die angeblich den Euro zerstören, auf Stimmenfang ging. Bei der Kampagne gegen ein Griechenland, das sich von der Austeritätspolitik befreien wollte, gab es, wie sich zeigte, eine breite Front, die in Deutschland von der Boulevard-Presse, der FDP bis zu den Ultrarechten reichte. Erst nachdem das linke Griechenland gescheitert war, wurden die Rechten überall in Europa stärker, auch in Griechenland selbst.
Die derzeitige Regierung hat nicht in nur in der aktuellen Migrationsfrage längst Positionen eingenommen, die nahe an denen von Orban 2015 sind. Der rechtskonservative griechische Ministerpräsident betont immer wieder, dass er eine wichtige Rolle dabei gespielt hat, dass Europas Grenzen geschlossen wurden und dafür wird ihm bis heute nicht nur von den Ultrarechten, sondern auch von der rechten Mitte Respekt gezollt.
„Wer braucht eine Beatrix von Storch in der AfD, wenn man eine Ursula von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission hat?“
Genauso bekommt jetzt die griechische Regierung Unterstützung von großen Teilen der politischen Klasse in der EU. Da können Menschenrechtsorganisationen darauf verweisen, dass die Aussetzung des Asylrechts gegen internationales Recht verstößt, so ist das eben jetzt die Praxis.
Grenzsicherung hat Vorrang und ein konservativer Ministerpräsident, dessen Partei im Europaparlament mit der Union in einer Fraktion sitzt, setzt diese Politik um. Da braucht es dann die selbsternannten Abendlandverteidiger der Identitären gar nicht. Das kann die rechte Mitte auch, wie Dominic Johnson kürzlich in einem Taz-Kommentar gut zusammengefasst hat:
Festung Europa im Jahr 2020: Stacheldraht riegelt die EU-Außengrenze ab, Fliehende werden mit Tränengas und Blendgranaten abgewehrt, vereinzelt wird scharf geschossen. Wer den Grenzposten in die Hände fällt, wird seiner Habseligkeiten beraubt und zurückgeschickt oder kommt in Haft an einem unbekannten Ort. Was 2015 in Deutschland lediglich eine Forderung der AfD war, ist 2020 an der griechischen Grenze zur Türkei Realität. Mehr noch: es ist politisch gewollt und wird von höchster deutscher Stelle ausdrücklich begrüßt. Wer braucht eine Beatrix von Storch in der AfD, wenn man eine Ursula von der Leyen an der Spitze der EU-Kommission hat.
Dominic Johnson, Taz
Derweil wird auch in Berlin wieder über die Migration gestritten und auch innerhalb der Unionsparteien werden wieder Meinungsverschiedenheit sichtbar. 2018 schien ja die Haltung zur Migration sogar die Union zwischen CDU und CSU zu spalten.
Innenminister Seehofer gab den Hardliner und wollte die AfD klein halten, in dem man deren Politik in Teilen übernommen hat. In den letzten Monaten schien sich auch die CSU aber auf ein Bündnis mit den Grünen einzustellen und wollte sich schon mal rhetorisch darauf einstimmen.
Vor allem in der Migrationsfrage wurde verbal abgerüstet. Das konnte sich auch die CSU solange leisten, solange sie wusste, dass die Erdogan-Türkei als Türwächter dafür sorgt, dass wenig Migranten in den EU-Raum kommen.
Seit er diese Rolle nicht mehr zur Zufriedenheit der deutschen Regierung ausfüllt, sind die Widersprüche wieder sichtbar geworden. Die CSU und die Grünen streiten sich offen über die Flüchtlingspolitik. Die Grünen fordern wie auch die zivilgesellschaftlichen Bündnisse um die Seebrücke, dass die Menschen an der türkisch-griechischen Grenze aufgenommen werden.
Ein neues 2015 verhindern – was ist damit gemeint?
Die Union ist mehrheitlich dagegen, wenn es auch dort Stimmen gibt, die fordern, wenigstens unbegleitete Kinder aufzunehmen. Während Merkel und Seehofer dazu Bereitschaft zeigten, kam Kritik vom Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus, der nach Medienangaben ein neues 2015 verhindern will. Das hört man in diesen Tagen häufig.
2015 dürfe sich nicht wiederholen, weil dann die AfD noch weiter gestärkt werde, hört man öfter. Doch was ist eigentlich damit gemeint? Da geistert doch noch immer der Mythos rum, dass Merkel die Grenze geöffnet habe, was falsch ist. Die Grenze war offen und Merkel hat sie einige Tage nicht geschlossen. In dieser Zeit konnten Migranten Deutschland erreichen. Doch dann kam der zivilgesellschaftliche Schub durch die vielen Menschen, die im Herbst 2015 deutlich machten, dass sie die Einreise der Migranten unterstützen.
Es gibt noch immer viele Initiativen, dass die Bereitschaft weiterhin vorhanden ist. Die Demonstrationen des Bündnisses Seebrücke sehen sich in dieser Tradition, wenn sie die Öffnung der Grenzen fordern. Unter diesem Motto sind in den letzten Tagen in verschiedenen Städten Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Allerdings reichte ihre Zahl nicht an die Unterstützer der Migranten im Herbst 2015 heran.
Wie damals hat sich auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihren bekannten migrationskritischen Positionen in einem Phönix-Interview zu Wort gemeldet. Nur ist sie heute nicht mehr Fraktionsvorsitzende, spricht also nur für sich als Abgeordnete.
Wenn Wagenknecht den Grünen vorwirft, sie könnten in der Opposition fordern, dass die Migranten aufgenommen werden, während sie in den Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, auch für Abschiebungen verantwortlich sind, hat sie Recht. Allerdings ist der Vorwurf auch wohlfeil, schließlich weiß auch die Linke, dass in der Regierung eine andere Rolle spielen muss als in der Opposition. Da erteilt ihr der einzige Ministerpräsident mit Linken-Parteibuch gerade einige Lektionen.
Nachdem sich Bodo Ramelow als Bollwerk gegen die AfD geriert hat, wählte jetzt auch einen AfD-Politiker zum Parlamentsvize. Zudem stoppte er ein Gesetz, das allerdings besser hätte gar nicht erst verabschiedet werden sollen. Es ging darum, dass eine Parlamentsmehrheit von SPD, Linken und Grünen allen Parteien, auch denen der Opposition, vorschreiben wollte, dass sie ihre Listen paritätisch mit Männern und Frauen besetzen müssen.
Es ist ja auch mal gut, wenn ein Politiker sich nicht erst von Gerichten bestätigten lässt, dass das Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Schließlich kann ein juristischer Laie erkennen, dass es in die Autonomie der Parteien eingreift. Warum aber soll eine Partei, die nichts von Geschlechterparität hält und deren Mitgliedschaft sie mehrheitlich auch nicht will, dazu gezwungen werden, sie in ihrer Partei einzuführen?
Und warum sind Linke und Grüne nicht clever genug, genau diese Geschlechterparität als ihr Alleinstellungsmerkmal den Wählern schmackhaft zu machen? Dann wäre doch gerade eine Opposition, die männerdominierte Listen aufstellt, angreifbar. Oder befürchten Linke und Grüne, dass sie dafür gar keine Mehrheit bekommen? Das würde aber das Gesetz keineswegs besser machen.
Und wie steht es um die Bevölkerungsmeinung zu der Aufnahme von mehr Migranten? Da ist sich Sahra Wagenknecht scheinbar mit Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus einig, dass die „Bevölkerung“ das nicht will? Nur wer ist die Bevölkerung? Sind es die, die sich lautstark gegen Flüchtlinge positionieren? Oder sind es die, die auf Demonstrationen und auch in Leserbriefen und Diskussionen dafür plädieren, die Menschen aufzunehmen?
Würde gar, wie vor Wagenknecht schon der Taz-Kommentator befürchtete, die AfD erstarken, wenn wieder mehr Migranten nach Deutschland kämen? Wagenknecht hat dann in dem Phönix-Interview allerdings selbst vom Kontrollverlust 2015 gesprochen und damit Narrative der AfD und anderer rechter Gruppen übernommen.
Warum nicht eine EU-weite Diskussion und Abstimmung über Migration?
Tatsächlich wäre es an der Zeit, eine EU-weite Debatte über die Frage der Migration zu führen. Warum sollte nicht auch EU-weit darüber abgestimmt werden? Dazu müsste in allen Sprachen, die im EU-Raum gesprochen werden, Argumente für und gegen Migration ausgetauscht werden.
Auf dieser Basis sollte dann abgestimmt werden. Es ist durchaus möglich, dass dabei eben eine Mehrheit für mehr Migration das Ergebnis wäre. Schließlich sprechen ja neben humanitären auch wirtschaftliche und ökonomische Argumente dafür. Die Wirtschaft in Deutschland sucht händeringend nach neuen Arbeitskräften. Für sie war die Migration 2015 ein Glücksfall, nur verhindern strikte Asylgesetze, dass die Menschen auch Jobs annehmen dürfen.
Es ist auch wahrscheinlich, dass es in der Frage der Migration EU-weit ein Gefälle gibt. Es wird Länder wie Ungarn geben, die wohl mehrheitlich gegen Migration stimmen werden. Nur sollen dann schon im Interesse der Migranten, dort auch keine Menschen zwangsweise hingeschickt werden. Die Migranten sollen schließlich nicht wie Pakete irgendwo hingeschickt werden. Sie sollen selber entschieden können.
Es ist wahrscheinlich, dass sie auch in Länder wollen, wo nicht eine große Mehrheit gegen ihre Aufnahme ist. Was ist aber wenn es in der ganzen EU keine Mehrheit für die Migration gibt? Dann wäre es sehr bedauerlich vor allem für die EU. Sie hätten sich dann nicht nur gegen eine weltoffene Gesellschaft entschieden.
Ein solches Votum hätte auch wirtschaftlich fatale Konsequenzen. Aber es wäre auch ein Signal an die Migranten. Sie müssten dann nicht Geld und Leben aufs Spiel setzen, um in Länder zu kommen, die sie nicht wollen. Das hätte auf jeden Fall Auswirkungen auf das Migrationsgeschehen. Der Großteil der Migranten, die auf ein besseres Leben in Europa hoffen, würde dann überlegen, in außereuropäische Länder zu gelangen oder in ihren Ursprungsländern für ein besseres Leben zu kämpfen.
Diese Alternative haben allerdings die Menschen nicht, die in ihren Ursprungsländern Verfolgung aus den unterschiedlichen Gründen droht. Sie müssen natürlich weiterhin aufgenommen werden, wie es auch die Internationalen Menschenrechte vorschreiben. Allerdings betrifft das den kleineren Teil der Migranten.
Weil es aktuell nur über das Asylrecht möglich ist, überhaupt nach Europa zu kommen, wird in der aktuellen Diskussion der Eindruck erweckt, es handele sich bei allen Migranten um Menschen, denen Verfolgung droht und die eben keine Alternative haben.
Es wäre an der Zeit, hier auch bei Unterstützern der Migranten einen Diskurswechsel vorzunehmen. Sie sollten für das Recht auf Migration auch für Menschen, die nicht in ihren Ursprungsländern verfolgt werden, streiten.
Sie sollten gute Argumente dafür sammeln und dafür versuchen, Mehrheiten zu organisieren. Sollte es die im ersten Anlauf nicht gelingen, sind ja später weitere Versuche möglich. Schließlich spielt die ökonomische Entwicklung den Befürwortern von offenen Grenzen in die Hände. Peter Nowak