Wie hältst du es mit der Gewalt? Diese Frage beschäftigt Linke seit Dezennien. Mehrheitlich unterscheiden sie explizit zwischen Gewalt gegen Sachen und gegen Menschen. Zu allen Zeiten gab es unter Linken aber auch Anhänger*innen der totalen Gewaltfreiheit. Deren Protagonist*innen waren überzeugt, dass …..
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…. mit Gewalt keine emanzipative Gesellschaft errichtet werden könne. Doch selbst Gewaltfreie gingen zuweilen militant vor, zerstörten beispielsweise in den USA Waffenlager und ließen sich danach widerstandslos von der Staatsgewalt festnehmen.
Dass oft eine klare Trennung in Gewaltfreie und Anhänger*innen revolutionärer Gewalt nicht möglich war, zeigt das Cover eines Buches, das sich mit dem Dilemma »Gewalt« befasst. Es zeigt das letzte Foto von Salvador Allende vor dem Präsidentenpalast in der chilenischen Hauptstadt Santiago am Morgen des 11. September 1973, als der faschistische Putsch gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten begann. Neben ihm sind bewaffnete Männer zu sehen, die Leibgarde des Präsidenten. Auch Allende, der stets für einen gewaltfreien Weg zum Sozialismus eingetreten ist, hat eine Waffe in der Hand. Sie war ihm bei einem Staatsbesuch von Fidel Castro überreicht worden. Die Szene bringt die Position der Herausgeber*innen des Buches, Titus Engelschall, Elfriede Müller und Krunoslav Stojaković, gut zum Ausdruck, die es sich nicht leicht gemacht haben mit ihrer Bewertung von revolutionärer Gewalt in der Geschichte.
Sie sei nie eine gute Lösung; manchmal könne man auf sie aber im Kampf für den Fortschritt nicht verzichten, erklärte Elfriede Müller bei der Buchvorstellung in Berlin. Sie bezog sich dabei auf die undogmatische Sozialistin Carola Bloch, die 1988 erklärte: »Also ich glaube, dass man ganz ohne Gewalt nicht auskommt.« Ihre Position untermauern die Autor*innen insbesondere, aber nicht nur in dem ausführlichen Kapitel über die Allende-Regierung in Chile. Allende ist immer wieder auf die Opposition zugegangen, um einen blutigen Bürgerkrieg im Land zu verhindern. Doch seine Gegner gingen nicht darauf ein, zielten mit Unterstützung der USA auf den blutigen Sturz der linken Regierung und die Zerschlagung jeglicher linker Opposition. Noch wenige Wochen vor dem Putsch waren fast eine Million Menschen in Chile zur Verteidigung der Allende-Regierung auf die Straße gegangen. Sie konnten den faschistischen Staatsstreich nicht verhindern, da sie nicht bewaffnet waren.
Nicht nur anhand des in den 70er Jahren in der transnationalen Linken viel diskutierten chilenischen Beispiels zeigen die Autor*innen, dass von Linken proklamierte Gewaltfreiheit mitunter an ihre Grenzen stößt. Sie untersuchen die Rolle der Gewalt an elf historischen Fällen. Dazu gehört auch der Widerstand gegen den deutschen Faschismus und dessen Satrapen. »Angesichts der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft war der Einsatz von Gewalt vonseiten des Widerstands zwingend und emanzipatorisch«, wird hier betont. Anders als etwa in der Französischen oder der Russischen Revolution sei es im Kampf gegen Hitler und Konsorten aber nicht zu einer Verselbstständigung der Gewalt gekommen.
Zu Russland bemerken sie: »Den Bolschewiki war es nicht gelungen, die Kontinuität der bürgerlichen Geschichte zu sprengen. Dennoch sollte das Resultat nicht mit dem Prozess verwechselt werden, denn der Staatsterror hob die revolutionäre Gewalt und die revolutionäre Haltung der Bolschewiki zwar auf, machte sie aber nicht ungeschehen.«
Ausführlich widmen sich die Autor*innen auch der heute fast vergessenen Revolution in Haiti, als zwischen 1789 und 1825 Sklav*innen und farbige Zwangsarbeiter*innen die Postulate der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in die Realität umsetzen wollten und sich selbst befreiten. Das Buch ist eine Fundgrube auch für aktuelle Diskussionen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133947.zwingend-und-emanzipatorisch.html