Kommentar: Ramelow ist abgewählt. Jetzt sollte auch darüber diskutiert werden, ob es für Linke sinnvoll ist, die Ablehnung der AfD zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu erklären.

Kein Bollwerk gegen die AfD in Thüringen

Selbst wenn die Ära Kemmerich in Thüringen kurz sein sollte, wird hier schon mal ein rechtes bürgerliches Bündnis geprobt. Wenn den Linken nur ein Lamento einfällt, dass damit bürgerliche Werte verraten würden, dann redet sie sich die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft nur schön.

Eine handfeste Überraschung gab es bei der Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen. Dort setzte sich im dritten Wahlgang der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich durch. Der bekam eine Stimme mehr als der Kandidat der Linken, Bodo Ramelow. Der vorher kaum bekannte Kemmerich gehört der FDP an, die gerade mal 5 Mandate hat und so mit den Grünen zu den beiden kleinsten Parteien im Thüringer Landtag gehört. Politisch brisanter ist jedoch die Tatsache,….

…. dass Kemmerich auch die Stimmen der AfD bekommen hat.

Die hatte in den ersten beiden Wahlgängen den parteilosen rechtskonservativen Thüringer Kommunalpolitiker Christoph Kindervater aufgestellt, der sich selber der Werteunion, dem rechten Flügel der CDU, verbunden fühlt. Im ersten Durchgang bekam er schon einige Stimmen von anderen Parteien, wahrscheinlich der CDU.

Die Zeit nannte ihn einen idealen Kandidaten für die AfD. Sie konnte so zeigen, dass es in der Fraktion einige Mitglieder gibt, die lieber mit der AfD als mit der Linken stimmen. Im dritten Wahlgang haben dann die AfD-Abgeordneten taktisch gestimmt und so dem FDP-Kandidaten zum Wahlsieg verholfen. Der hat sich auch gleich vereidigen lassen.

Dass Kevin Kühnert von der SPD und Bernd Riexinger von der Linken wütend sind, ist klar. Schließlich haben diese Parteien mit einem weichgespülten Programm gehofft, eine Art Bollwerk gegen die AfD aufzubauen. Sie wurde fast zur Nazipartei erklärt, mit der es keinerlei Berührungspunkte geben darf.

Selbst Stimmen von ihr darf es nach diesen Vorstellungen nicht geben. In der letzten Zeit wurde öfter daran erinnert, dass die NSDAP in Thüringen bereits 1929 an einer Landesregierung mit anderen deutschnationalen und konservativen Parteien beteiligt gewesen ist.

So wichtig solche historischen Reminiszenzen sind, so klar ist aber auch, dass es keine simple Analogie über 90 Jahre später gibt. Die AfD ist eine zeitgenössische Rechtspartei und kein Wiedergänger der NSDAP.

Es ist natürlich aus Sicht von SPD, Linken und Grünen eine sinnvolle Strategie, die AfD zu Unberührbaren zu erklären. Damit haben sie selbst mehr Regierungsoptionen. So agierten schließlich auch CDU und FDP lange Zeit, als sie die PDS und später die Linke zu den Unberührbaren erklärten, von der man keine Stimmen erhalten darf. Damit wollte man die Regierungsoptionen der SPD und der Grünen enorm einengen, daher hatten beide irgendwann das Berührungsverbot mit der linken Fraktion aufgegeben.

Schließlich hatte die Linke sich ja auch klar von der SED distanziert und war bei der sogenannten Aufarbeitung der DDR-Geschichte besonders beflissen. Zudem hatte die Linke gerade mit Bodo Ramelow einen westdeutschen Gewerkschaftler aufgestellt, der mit der Stasi in der DDR nichts zu tun hatte, aber selbst lange Zeit von Geheimdiensten der BRD beobachtet worden war.

Wie lange bleibt Kemmerich im Amt?

Ramelow ist in Thüringen auch über seine Partei hinaus beliebt. Es ist daher die Frage, ob Kemmerich lange im Amt bleiben kann und wie die bürgerlichen Parteien bei möglichen Neuwahlen abschneiden. Zudem ist auch noch unklar, ob sich in der SPD jetzt die Kräfte durchsetzen, die eine Aufkündigung des Bündnisses mit der Union in Berlin fordern.

Nur hätte es dazu viele andere Gelegenheiten gegeben. Zudem betont der CDU-Vorsitzende von Thüringen, Mike Mohring, man habe einen Mann der Mitte gewählt und sei für das Wahlverhalten anderer Parteien nicht verantwortlich. Es sei nur jetzt wichtig, dass Kemmerich keine Koalition mit der AfD eingeht, betont der CDU-Politiker. Genau das wollen große Teile der AfD zurzeit selbst nicht.

Sie kann sich jetzt feiern lassen als eine Partei, die Ramelow verhindert hat. Dabei kann sie sich auf Anhänger der CDU, der FDP und ehemalige DDR-Bürgerrechtler stützen, die bereits vor der ersten Kandidatur von Ramelow 2014 gemeinsam auf die Straße gegangen sind, um eine angebliche Wiederkehr der DDR in Thüringen zu verhindern.

Nun hatte Ramelow durch seine Politik gezeigt, dass er für eine gemäßigte Sozialdemokratie steht. Doch viele sehen in ihm trotzdem das personifizierte Feindbild. Sie hassen Ramelow nicht, weil er angeblich die DDR zurückbringt, sondern weil er sich verbal zu linksliberalen Werten bekannt hat und eine klare Absage an rechte Positionen vertritt.

Ramelow und seine Regierung ordneten diesen Minimalkonsens gegen rechts alles andere unter. Nur wenige Linke wagten zu kritisieren, ob man dann nicht Teil eines linksliberalen Blocks werde, der für die vielen Abgehängten keine wirkliche Alternative ist. Es wäre zu hoffen, dass diese Diskussion nach der Abwahl von Ramelow an Fahrt gewinnt. Schließlich gab es in der Ära Ramelow keine linke Opposition im Parlament.

So mussten kleine außerparlamentarische Gruppen aktiv werden, wenn auch in Thüringen Migranten abgeschoben wurden. Sie mussten sich teilweise aus den eigenen Reihen anhören, sie sollen mit ihrer Kritik nicht zu weit gehen, weil es ja schließlich am Wichtigsten sei, dass die AfD außen vor bleibt.

Dabei war allen klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis FDP und CDU nicht mehr bereit sind, eine Art Neuauflage der „Nationalen Front der DDR“ gegen die AfD zu spielen. Aber man hat wohl erwartet, dass es noch einige Jahre dauert – wie in Schweden. Dort brauchte es einige Jahre, bis die Konservativen auch mit den rechten Schwedendemokraten, einem Bündnispartner der AfD im EU-Parlament, zunächst mit Bedauern kooperierten. Mittlerweile bekennen sie sich offen dazu.

Gemeinsame Sache mit den rassistischen Schwedendemokraten zu machen gehört nun offenbar fest zur Politik seiner konservativen Oppositionspartei. Ein Jahrzehnt lang galt jegliche Zusammenarbeit mit dieser Rechtsaußenpartei allen anderen sieben Parlamentsparteien als No-Go. Im neuen Jahrzehnt soll das nicht mehr gelten. „Bürgerlich“ soll sich der Block nennen, zu dem man sich zusammentun will.

Taz

Selbst wenn die Ära Kemmerich in Thüringen kurz sein sollte, wird hier schon mal ein rechtes bürgerliches Bündnis geprobt. Wenn den Linken nur ein Lamento einfällt, dass damit bürgerliche Werte verraten würden, dann redet sie sich die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft nur schön. (Peter Nowak)