Die Hamburger Linke will einen Kandidaten loswerden und auch die Klimaaktivisten distanzieren sich. Dabei sollte über die ideologischen Versatzstücke geredet werden, die dahinterstehen

Von der Shoah zum CO2-Ausstoß

Niemand verwendet für Menschen, die feministische Positionen ablehnen, den Begriff "Patriarchatsleugner" und für Menschen, die nicht von einer Klassengesellschaft ausgehen, gibt es auch nicht den Begriff "Ausbeutungsleugner". Wenn nun aber in der Klimabewegung der Begriff "Klimaleugner" verwendet wird, rückt man den Klimawandel zumindest in die Nähe des Holocaust. Deshalb ist es inkonsequent, sich reflexartig von einem Mitglied zu distanzieren, das den Begriff Holocaustleugner verwendet, aber zugleich mit dem Begriff "Klimaleugner" weiter zu operieren.

Eigentlich ist der Schüler Tom Radtke ein Kandidat, wie ihn sich die Linke nur wünschen kann. Ein 18-jähiger Umweltaktivist, der in der Klimajugendbewegung mitarbeitet, sich für Netzpolitik engagiert und in der Hamburger Linkspartei aktiv ist und dort auch für die Bürgerschaftswahlen auf Platz 20 kandidiert. Doch nun will die Linke ausgerechnet ein für sie hoffnungsvolles Mitglied ausschließen, weil er …

….. es für eine gute Idee hielt, anlässlich des Holocaust-Gedenktages die Shoah mit der Klimapolitik zu verbinden. In einem Tweet erklärte er am 27. Januar: „Heute vor 75 Jahren wurde Auschwitz befreit. Der Holocaust wurde eines der größten Verbrechen im 2. Weltkrieg.“ Dann wollte er unbedingt das Klimathema noch mit reinbringen, in dem er schrieb: „Die Nazis gehören auch zu den großen Klimasünder*innen, da ihr Vernichtungskrieg und ihre Panzer riesige Mengen an CO2 produziert haben.“

Dann radikalisiert Rathke seine Position noch, wenn er in Bezug auf die Shoa schreibt: „Viele Politiker sagen, dass sich das nicht wiederholen darf. Aber was tun sie gegen den Klima-Holocaust, der in diesem Moment Millionen Menschen und Tiere tötet?“ Es gelte, die Klimaerwärmung jetzt zu stoppen, „damit sich ein Holocaust nicht wiederholt“.

Nach der heftigen Kritik aus seiner Partei und auch von Teilen der Jugendumweltbewegung präzisierte Radtke seine Position:

Ich hätte aber besser erklären sollen, was ich meine. Auschwitz können wir nicht rückgängig machen. Aber den Klimawandel können wir noch stoppen.

Tom Radtke

Wer den Begriff Klima-Holocaust kritisiert, sollte auch den Begriff Klimaleugner meiden

Eine scharfe politische Kritik an diesen Positionen ist natürlich berechtigt. Unverständlich ist der Versuch der Linken, Radtke aus der Partei auszuschließen. Wollte die Partei nicht die Zeiten hinter sich lassen, wo man sich mit Schnellausschlüssen politischen Debatten um Inhalte schnell aus dem Weg gehen will?

Dabei geht es eben nicht darum, die Position von Radtke zu verteidigen. Im Gegenteil, es geht darum, die dahinterstehenden politischen Prämissen zu kritisieren und nicht durch einen schnellen Ausschluss die Diskussion zu beenden. Wer sich jetzt mit Recht über den von Rathke verwendeten Begriff des „Klima-Holocaust“ echauffiert, sollte wissen, dass jahrelang ohne große Kritik vom „atomaren Holocaust“ gesprochen wurde, wenn die Atomwaffenrüstung gemeint war.

Eine besondere Note bekam die Bezeichnung in Deutschland, wenn damit die ehemaligen Alliierten in der Anti-Hitler-Koalition nun eines Holocaust beschuldigt worden. Zu den wenigen Kritikern gehörte der Deutschlandkritiker Wolfgang Pohrt. Merkwürdig ist auch, dass in der Klimabewegung sehr freigiebig mit dem Wort „Klimaleugner“ umgegangen wird.

Damit werden Menschen bedacht, die angeblich oder tatsächlich den Klimawandel infrage stellen oder behaupten, er hätte Ursachen, auf die die Menschen keinen Einfluss haben, beispielsweise Sonnenfleckenaktivitäten. Es ist sicher richtig, solche Positionen kritisch zu hinterfragen. Nur wird mit dem Begriff „Klimaleugner“ sehr bewusst an die Holocaustleugnung angeknüpft.

Niemand verwendet für Menschen, die feministische Positionen ablehnen, den Begriff „Patriarchatsleugner“ und für Menschen, die nicht von einer Klassengesellschaft ausgehen, gibt es auch nicht den Begriff „Ausbeutungsleugner“. Wenn nun aber in der Klimabewegung der Begriff „Klimaleugner“ verwendet wird, rückt man den Klimawandel zumindest in die Nähe des Holocaust.

Deshalb ist es inkonsequent, sich reflexartig von einem Mitglied zu distanzieren, das den Begriff Holocaustleugner verwendet, aber zugleich mit dem Begriff „Klimaleugner“ weiter zu operieren.

Auschwitz – Krieg- Umwelt – kein willkürlicher Zusammenhang

Zudem hat der Tweet von Radtke wahrscheinlich gegen seine Intention mehr innere Logik als manche, die sich jetzt reflexhaft distanzieren, wahrhaben wollen. Rathke relativiert nicht die Shoah und er wirft auch nicht Israel oder den Alliierten gegen den NS-Staat vor, selber einen Holocaust zu veranstalten. Auch ist sein Verweis auf Holocaust und den Krieg nicht falsch.

Tatsächlich war die Shoah nur durch den deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieg möglich, was schon durch den Standort des Vernichtungslagers Auschwitz deutlich wird. Das dieser Weltkrieg eine beispielslose Zerstörung von menschlichen Leben und auch von Natur war, dürfte eigentlich niemand bestreiten. In den letzten Monaten haben Aktivisten der Friedensbewegung häufiger besonders herausgestrichen, dass Kriege auch immer Verbrechen an der Umwelt sind.

Das taten sie deshalb, um die Jugendumweltbewegung für die Frage Krieg und Frieden zu sensibilisieren, und sie für Bündnisse zu gewinnen. Nichts anderes war wohl auch die Absicht von Radtke mit seinen Erklärungen bezwecken. Dass er dann besonders tagesaktuell sein wollte und die Wehrmacht als CO2-Sünder darstellte, ist natürlich peinlich.

Insgesamt ist aber die Koppelung von Shoah, deutschem Eroberungskrieg und Umwelt politisch weniger falsch als die beliebte Verbindung von Auschwitz mit der Absage an jeden Krieg. Aber diese Verbindung wurde zumindest impliziert auch in großen Teilen der Friedensbewegung öfter gezogen.

Dabei wurde vergessen, dass Auschwitz wie die anderen deutschen Vernichtungslager nicht von einer Anti-Nazi-Bewegung aus Deutschland, sondern von den Soldaten der Anti-Hitler-Armee befreit werden mussten. Diesen Fakt hielten konservative Politiker in den 1980er Jahren der westdeutschen Friedensbewegung gerne vor.

Dabei könnte man beiden Seiten die Instrumentalisierung der Geschichte vorwerfen – der Friedensbewegung, die suggerierte, es gebe keine unterstützenswerte Kriege – und deren Kritiker, die die Stationierung neuer Atomraketen durchsetzen wollten.

KFZ und KZ

Abgesehen von der peinlichen Konzentration auf das CO2 ist auch die Verbindung von Automobilproduktion und deutschem Nationalsozialismus nicht so abwegig, wie jetzt die Kritiker von Radtke es hinstellen. Tatsächlich haben Historiker und Soziologen am Beispiel des Volkswagen den Zusammenhang von KFZ und KZ herausgearbeitet.

In polemischer Form hat sich der Deutschlandkritiker Eike Geisel den Begriff „Otto Normalvergaser“ für die ganz gewöhnlichen Deutschen ausgesucht, ohne die die Shoah nicht möglich gewesen wäre.

„Jüdisches Leben in Deutschland – völlig normal mittlerweile? “Zumeist ein Hochsicherheitstrakt, vom Kindergarten bis zum Synagogenbesuch.“ Deutsche Intellektuelle? “Immer auch Stellenanwärter.“ Die Bürger? “Otto Normalvergaser“ glaubte, “dass Auschwitz gewissermaßen ein – vielleicht etwas überzogener – Akt putativer Selbstverteidigung gewesen war“

Eike Geisel

Damit wandte sich der Publizist schon sehr früh gegen eine bestimmte Form des deutschen Shoah-Gedenkens, dass nicht im Interesse der Jüdinnen und Juden, sondern der deutschen Staatsraison zelebriert wird. Dagegen wendet sich auch der israelische Soziologe Nathan Sznaider, der in einem Taz-Interview erklärte, er fände es sinnvoller, wenn über den Orten der deutschen Vernichtung Gras wachsen würde, als wenn sie immer wieder restauriert werden. Auf Nachfrage des konsternierten Journalisten bekräftigte Sznaider:

Ich glaube nicht, dass die Erinnerung an diese Schrecken wachgehalten wird, indem man sich Attrappen von Gaskammern oder Baracken oder Schienen am Originalschauplatz anguckt. Das ist so eine Fetischisierung des Materials. Ich empfinde das eher sogar als eine merkwürdige Form von Gegenerinnerung. Weil es ja wirklich der Ort war, an dem Menschen zu Material gemacht worden sind. Und jetzt materialisieren wir die Erinnerung. Für mich ist das eine primitivere Form der Erinnerung. Von mir aus können diese Orte einfach verschwinden.

Und stattdessen – Gras drüber wachsen lassen?

So wie es sprichwörtlich heißt. Das heißt nicht, dass man es vergessen soll, aber über den Ort soll Gras wachsen. Es gibt dort einen Berg von Brillen, den man sich anschaut. Das grenzt meiner Meinung nach an äußerste Geschmacklosigkeit.

Nathan Sznaider, Taz

Würde ein Wahlkandidat einer Partei in Deutschland solche Überlegungen anstellen, wäre die Empörung groß und Austrittsforderungen nicht weit. Nun sollen die deutschlandkritischen Betrachtungen eines Nathan Sznaider nicht mit den populistischen Schnellschüssen eines deutschen Jungpolitikers auf eine Stufe gestellt werden.

Doch die wohlfeile Empörung und die Forderung nach einem schnellen Parteiausschluss, ohne sich erst einmal die Mühe zu machen, die Äußerungen von Radtke zu sichten und zu bewerten, zeigen, dass hier keine politische Auseinandersetzung stattfinden soll. Hier hat jemand die deutsche Staatsräson gestört und dafür soll er gemaßregelt wurden. Mit einem aufklärerischen Umgang mit regressiven Inhalten in der Linken und in der Klimabewegung hat das nichts zu tun.

Aufklärung statt Ausschluss

Da hätte die Partei ihren Junggenossen tatsächlich mal etwas historisches Wissen angedeihen lassen können. Empfehlenswert wäre ein Besuch des Films Nacht und Nebelvon Alain Resnais. Es war einer der ersten Filme über die Shoah, und er war so eindringlich, dass die damals mit Altnazis durchsetzte westdeutsche Botschaft in Frankreich gegen den Film intervenierte.

Eine Aufführung des Filmes vor wenigen Tagen in der Berliner Volksbühne zeigte, dass der Film auch heute noch nichts von seiner Eindringlichkeit verloren hat. Er hätte vielleicht den jungen Klimaaktivisten vor Augen geführt, wie absurd es ist, von der Shoah zum CO2-Ausstoß zu kommen.

Peter Nowak