… und niemand über Antisemitismus und Neonazis. Kommentar zu den geplanten Gesetzesverschärfungen zur effektiveren Bekämpfung der Hasskriminalität

Alle reden über den Kampf gegen den Hass …

In Bielefeld haben Gerichte ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der Pogrome gegen Juden, eine Neonazidemonstration gestattet, die sich mit einer dort inhaftierten Holocaustleugnerin solidarisieren will. Ende Oktober entschied das Oberverwaltungsgericht Münster die Parole "Nie wieder Israel", die auf einer Neonazidemonstration skandiert wurde, sei nicht strafbar und könne daher von der Polizei nicht verboten werden. Dabei würde mit einem Verbot gerade der mörderische Antisemitismus bekämpft, der als Triebkraft hinter dem Anschlag in Halle steht.

Die geplanten Gesetzesverschärfungen nach den rechten Anschlägen der letzten Wochen nehmen Gestalt an. Sie werden als …..

…. Gesetzesinitiativen gegen Rechtsextremismus und Hass vorgestellt. Bundesjustizministerin Lambrecht spart nicht mit entschlossenen Ankündigungen:

Wir erhöhen den Verfolgungsdruck weiter: Wer im Netz hetzt und droht, wird künftig härter und effektiver verfolgt. Die Meldepflicht der Plattformen, die wir im Netzwerkdurchsetzungsgesetz schaffen, leistet hierzu einen wesentlichen Beitrag. Von Hass und Drohungen Betroffene werden künftig besser geschützt, auch durch Änderungen im Melderecht. Wir müssen zudem unter allen Umständen verhindern, dass Waffen legal in die Hände von Extremisten gelangen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht

„Das ist ein Gesetz, was wir schon seit einiger Zeit gefordert haben“

Auch der Vorsitzende des Richterbundes Jens Gnisa spart im Deutschlandfunk nicht mit starken Worten. „Wir wollen systematisch aufräumen“, erklärt der Richter.

Dabei ist auffällig, dass zu den zentralen Verschärfungen, die jetzt als Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet verkauft wird, die stärkere Reglementierung im Netz gehört, die von den Law and Order-Politikern fast aller Fraktionen schon lange gefordert werden. So scheint es, als ob die rechten Anschläge nur der Vorwand sind, um die Verschärfungen aus der Schublade zu holen.

Zur effektiveren Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet soll eine Meldepflicht für Provider nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz an eine neu zu errichtende Zentralstelle im BKA eingeführt werden. Zudem soll eine Auskunftsbefugnis gegenüber Telemediendiensteanbietern im BKA-Gesetz und der Strafprozessordnung geschaffen werden. Richter Gnisa sagt im Deutschlandfunk-Interview auch ganz klar, dass jetzt umgesetzt werden soll, was sich bisher nicht so recht durchsetzen ließ.

May: Sie sagen, dass Facebook jetzt dazu verpflichtet wird, nicht einfach nur zu löschen, sondern auch aktiv den Finger zu heben, das ist richtig?
Gnisa: Das ist absolut richtig, denn bisher laufen wir vor eine Wand, weil wir diese Auskünfte nicht bekommen, fast niemals. Man hat zwar vor einiger Zeit das Gesetz geändert, dass Facebook und Co. Personen benennen müssen, die überhaupt Auskünfte geben. Aber diese Auskünfte sind völlig inhaltsleer und wir bekommen keine Namen, keine Bestandsdaten, gar nichts, und das geht so nicht, wenn man die Strafen auch wirklich verfolgen möchte.

Jens Gnisa im Gespräch mit Philipp May, Deutschlandfunk

Gleich in der nächsten Antwort, bekräftigt der Richter dann noch einmal: „Das ist ein Gesetz, was wir schon seit einiger Zeit gefordert haben, weil wir gemerkt haben, dass hier Strafverfolgung ins Leere läuft.“ Nun hätte man von einem kritischen Fragesteller erwartet, dass er dieses ehrliche Bekenntnis aufgreift, um zu fragen, ob also nur der richtige Zeitpunkt abgewartet werden musste, um zu weiteren Gesetzesverschärfungen zu kommen.

Aber der interviewende Reporter denkt gar nicht an eine solch kritische Frage. Er ist mit Gnisa einer Meinung, dass die Gesetzesverschärfungen so schnell wie möglich umgesetzt werden müssen, auch wenn dann eben das Personal bei Gerichten gewaltig aufgestockt werden muss.

May: Und Sie plädieren auch für eine Neuaustarierung im Sinne von härterer Rechtsprechung in diesem Fall?
Gnisa: Das ist natürlich dem Richter im Einzelfall überlassen. Ich habe jedenfalls das Gefühl, grundsätzlich, dass der Staat jetzt die klare Kante zeigen muss, dass er die Täter ermitteln muss, dass die Rechtsprechung auch geklärt werden muss, damit deutlich wird, was darf man und was darf man nicht.

Jens Gnisa im Gespräch mit Philipp May, Deutschlandfunk

Auch den Grünen, die sich zumindest da, wo sie in der Opposition sind, noch als Verteidiger der Grundrechte inszenieren, können die Verschärfungen nicht schnell genug gehen. Konstantin von Notz sorgt sich nur, dass die Gerichte personell nicht gut genug ausgestattet sind, um klare Kante zu zeigen:

Kaess: Herr von Notz, macht die Bundesregierung beim Kampf gegen rechts und gegen Hasskriminalität gerade alles richtig?
Von Notz: Na ja. Es ist auf jeden Fall gut, dass sie das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz angeht. Das war erst für 2020 geplant und durch die schrecklichen Ereignisse von Halle hat man sich da jetzt früher dran gemacht. Wir fordern seit Einsetzung dieses Gesetzes am Ende der letzten Legislatur, dass man hier vor allen Dingen im Hinblick auf die Inpflichtnahme der Betreiber dieses Gesetz schärfer stellt. Insofern ist das auf jeden Fall ein richtiger Schritt.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Christiane Kaess, Deutschlandfunk

Da wird auch von den Grünen gar nicht mehr erwähnt, dass sich zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Verein Digitalcourage und das Grundrechtekomitee aktuell mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Polizeigesetz in NRW der Telekom-Überwachung ohne Grenzen einen Riegel vorschieben wollen.

Wird die Linke nicht als erstes unter den Verschärfungen leiden?

Es wird jetzt überall so auffällig betont, dass es diese Verschärfungen als Teil des Kampfes gegen rechts braucht. Die Widersprüche, dass sie schon länger geplant waren und die rechten Anschläge nur der Vorwand sind, die Gesetze aus der Schublade zu holen, werden gar nicht angesprochen. Dabei könnte man aus den Erfahrungen zahlreicher Gesetzesverschärfungen in der Vergangenheit wissen, dass sie in erster Linie gegen Linke angewandt wurden. Schließlich gehörten Maßnahmen, die heute kriminalisiert werden sollen, auch zum Repertoire linker Gegenöffentlichkeit.

Dazu gehörte beispielweise das gezielte Verteilen von gefälschten Zeitungen, die beispielsweise vermelden, die Vertreter führender Industrienationen hätten sich auf ein globales System sozialer Sicherheiten verständigt und die Konzerne würden dafür bezahlen. Es dauerte eine Zeit, bis klar war, dass viele Medien weltweit auf eine Satire hereingefallen sind.

Heute würde man dazu auch Fake News sagen und könnte dafür ins Gefängnis gehen. So gibt es eine Reihe von Beispielen, die deutlich machen, dass die Gesetzesverschärfungen klar auch eine kritische Gegenöffentlichkeit kriminalisieren könnten.

Der Soziologe Bernd Drücke hat sich in seiner 1998 veröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchung der libertären Presse unter dem Titel „Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland“sehr ausführlich auch mit den verschiedenen Formen der Medienguerilla und mit der staatlichen Repression gegen kritische Medien beschäftigt. Die geplanten Verschärfungen könnten auch diese Medienarbeit treffen.

Warum redet niemand über Antisemitismus?

Auffallend ist auch, dass nach dem antisemitischen Anschlag von Halle und den zahlreichen weiteren neonazistischen Aktionen jetzt fast unisono davon geredet wird, der Hass im Internet und auch anderswo müsse bekämpft werden.

Nun ist Hass nicht unbedingt ein guter Ratgeber. Er gehört aber auch zum Menschen und kann nicht einfach per Gesetz für illegal erklärt werden. Wenn dann noch Kommunalpolitiker unter besonderen Schutz gestellt werden sollen, dann drängt sich der Verdacht auf, hier werde die Gelegenheit genutzt, grundsätzliche Kritik an Politik und Staat überhaupt unmöglich zu machen.

Dabei sollte nach den Anschlägen der letzten Woche über Antisemitismus und Neonazismus geredet werden. Das wäre die Konsequenz, die nach der Selbstenttarnung des NSU eigentlich selbstverständlich sein müsste. Doch davon hört man nicht viel. Im Gegenteil.

In Bielefeld haben Gerichte ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der Pogrome gegen Juden, eine Neonazidemonstration gestattet, die sich mit einer dort inhaftierten Holocaustleugnerin solidarisieren will. Ende Oktober entschied das Oberverwaltungsgericht Münster die Parole „Nie wieder Israel“, die auf einer Neonazidemonstration skandiert wurde, sei nicht strafbar und könne daher von der Polizei nicht verboten werden. Dabei würde mit einem Verbot gerade der mörderische Antisemitismus bekämpft, der als Triebkraft hinter dem Anschlag in Halle steht. Doch während so viel von Hass geredet wird, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss, weswegen Grundrechte noch weiter ausgehöhlt werden, wird der Antisemitismus, der sich in unterschiedlichen Arten ausdrückt, völlig ignoriert.  Peter Nowak