Die Ergebnisse einer UN-Studie sollen auch in der Bewegung zur Flüchtlingsunterstützung für Diskussionen sorgen

„Migration ist ein Schritt, der erst durch eine ökonomische oder gesellschaftliche Verbesserung möglich wird“

Wäre es aus einem Gedanken der Solidarität nicht sinnvoller, wenn Menschen mit guten Schulabschluss mit dazu beitragen, dass genügend Ärzte, Apotheker, Lehrer etc. in den Ländern mit dafür sorgen, dass sich der Lebensstandard erhöht. Solche Fragen, wie sie in Afrika schon länger gestellt werden, haben eben nichts mit europäischen Grenzschließungsvorstellungen zu tun und sollten ganz klar davon getrennt werden.

Eine rassistische Äußerung des AfD-Politikers Nicolas Fest, in der er Arbeitsmigranten als Gesindel bezeichnet, ist schon einige Jahre alt, macht jetzt aber erneut Schlagzeilen, weil eine Medieninitiative gegen rechts daran erinnerte. Als Reaktion posten viele Migranten Fotos von den sogenannten Gastarbeitern bei der oft harten Fabrikarbeit. In der Taz fragt sich Erica Zingher, warum nicht über den Rassismus der AfD geredet wird, sondern sich vielmehr …..

….. Migranten rechtfertigen müssen, indem sie dokumentieren, wie hart sie gearbeitet haben. Wäre der rassistische Spruch denn gerechtfertigt, wenn sie nicht immer fleißig gewesen wären und die schwere und schmutzige Arbeit gemacht haben, die zumindest in Zeiten der Hochkonjunktur oft von Menschen mit deutschen Pass nicht angefasst wurde? Vielleicht könnten ja auch an die Septemberstreiks im Herbst 1969, also vor 50 Jahren, und an andere Arbeitskämpfe der vergangenen 40 Jahren erinnert werden, bei denen sich Arbeitsmigranten oft führend beteiligten und so auch etwas zur Hebung, der in Deutschland, dem Land der Volksgemeinschaft und formierten Gesellschaft, darniederliegenden Klassenkampfkultur beigetragen haben.

Die Besten für die deutsche Wirtschaft kommen

Nun hat eine aktualisierte Debatte über den Wert begonnen, den die Migration aus Afrika hat. „Die Besten kommen“ titelte der Spiegel mit Bezug auf die UN-Studie Scaling Fences, in der afrikanische Migranten in Europa über ihre Bildungsbiographie befragt wurden. Es wurden explizit keine Geflüchteten befragt, die politische Verfolgung als Grund ihrer Migration angeben, sondern Menschen, die angaben, wegen eines besseren Lebens ihr Land verlassen zu haben.

Befragt wurden rund 3000 Erwachsene aus 43 afrikanischen Ländern. Fast drei Viertel (71 Prozent) der befragten Einwanderer kommen aus dem vergleichsweise wohlhabenden und friedlichen Westafrika, allen voran aus Nigeria und dem Senegal. Zudem sind die Einwanderer besser gebildet als der Bevölkerungsdurchschnitt in ihren Heimatländern: 58 Prozent gingen in ihrer Heimat einer regelmäßigen Arbeit nach oder waren in einer Schulausbildung, ehe sie aufbrachen. Ihr Verdienst war höher als im Landesdurchschnitt.

Das Fazit der Migrationsforscher war eindeutig: Migration ist ein Schritt, der erst durch eine ökonomische oder gesellschaftliche Verbesserung möglich wird. Steigt der Wohlstand, kommen die Menschen erst auf die Idee und erhalten die Möglichkeit, sich auf die Reise zu machen. Die Ergebnisse sind nicht überraschend. Es gibt mittlerweile genügend Filme und Berichte, die bestätigen, dass die Migration von Afrika nach Europa schon aus finanziellen Gründen von den Ärmsten in den afrikanischen Ländern gar nicht finanzierbar ist.

Armutsbekämpfung kein Mittel gegen die Migration

Die Ergebnisse der Studie zeigen den Denkfehler von europäischen Politikern, die Armutsbekämpfung in den afrikanischen Ländern als Mittel zur Eindämmung der Migration anpreisen. Die Logik, dass die Menschen, wenn sie ein Auskommen in ihrem Land haben, auch dort bleiben würden, stimmt offensichtlich nicht. Der auf Fragen der Migration spezialisierte Journalist Christian Jakob fasst in der Taz die Zusammenhänge knapp so zusammen:

Doch falls Entwicklungszusammenarbeit in dem Sinne erfolgreich ist, dass mehr Menschen aus extremer Armut befreit werden, dann wächst genau jenes gesellschaftliche Segment, aus dem sich irreguläre ArbeitsmigrantInnen rekrutieren. Mehr Familien sind in der Lage, einzelnen ihrer Angehörigen, die im Land keine Arbeit finden, die Reise zu bezahlen. In der Forschung spricht man vom Migration Hump, dem „Migrationsbuckel“: Steigt das Einkommen in einer Region, steigt erst einmal auch die Migration – ein Prozess, der etwa auch in Osteuropa zu beobachten war.

Christian Jakob

Haben migrationskritische Linke doch Recht?

Das Ergebnis sollte auch für Diskussionen in der Szene der Flüchtlingsunterstützer führen. Denn es ist noch nicht lange her, dass dort die Politiker der Linken Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine heftig kritisiert wurden, weil sie daran erinnerten, dass viele Migranten eher aus dem Mittelstand kommen.

Der Befund war berechtigt, doch die Kritik an Wagenknecht und Co. war auch berechtigt, weil die Politiker daraus die Konsequenz zogen, den Menschen das Recht abzusprechen, auch auf der Suche nach einem besseren Leben nach Europa zu kommen. Aber es ist möglich, für offene Grenzen einzutreten, ohne die Migration als Hort der Freiheit und Selbstbestimmung zu feiern. Denn natürlich ist es berechtigt, wenn sich Aktivisten in den afrikanischen Ländern nach den Konsequenzen für die Herkunftsländer fragen, wenn vor allem gut ausgebildete Menschen migrieren. Was bedeutet das vor allem für die Ärmsten in diesen Ländern, für diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben zu fliehen?

Wäre es aus einem Gedanken der Solidarität nicht sinnvoller, wenn Menschen mit guten Schulabschluss mit dazu beitragen, dass genügend Ärzte, Apotheker, Lehrer etc. in den Ländern mit dafür sorgen, dass sich der Lebensstandard erhöht. Solche Fragen, wie sie in Afrika schon länger gestellt werden, haben eben nichts mit europäischen Grenzschließungsvorstellungen zu tun und sollten ganz klar davon getrennt werden.

Es geht um die Folgen der Migration gut ausgebildeter Menschen für die Länder im globalen Süden. Da ist es schon berechtigt, daran zu erinnern, dass hier ein neokoloniales Verhältnis fortgesetzt wird. Die Bodenschätze, Kunstwerke etc. flossen einseitig aus dem globalen Süden in den globalen Norden. Die Sklaverei war nur der grausame Höhepunkt. Heute leben wir in einer Zeit, wo in liberalen Teilen der Gesellschaft schon die Rückgabe von einst geraubten Kulturgütern gefordert wird. Doch viel weniger bekannt ist, dass der Brain Drain, die Abwanderung der oft mit Geldern der afrikanischen Länder ausgebildeten Menschen aus dem globalen Süden in den globalen Norden, weiterhin anhält.

Wenn der Spiegel schreibt „Die Besten kommen“ ist das aus der Perspektive der Wirtschaftsbranchen geschrieben, die sich mit Diversity-Parolen ein buntes Image geben, aber in Zeiten der geburtenschwacher Jahre schon auf „die Besten auf Afrika“ freuen. Dass dann ein nicht unerheblicher Teil der Menschen in völlig unterqualifizierten Jobs arbeiten müssen, gehört ebenso zum Geschäft wie der beschwerliche, oft todbringende Fluchtweg. Man will die Menschen gar nicht eine möglichst gefahrlose Migration gönnen.

Man setzt darauf, wer die schwierige Flucht hinter sich gebracht hat, hat sich im Kampf der Fittesten bewährt und ist dann noch brauchbar für den Konkurrenzkampf in der Wirtschaft. Tatsächlich gibt es schon Werbematerial, in dem die besonderen Qualitäten der Migranten, die die gefahrvolle Flucht überlebt haben, beschworen wird. Sie werden sich auch im kapitalistischen Kampf der Fittesten besser durchsetzen.

Doch die Konsequenz aus diesen migrationskritischen Betrachtungen kann nicht sein, die Fluchtwege noch gefährlicher und die Grenzen noch dichter zu machen. Vielmehr muss es darum gehen, dass sich kein Mensch, egal, woher er kommt, für ein besseres Leben in Gefahr begeben soll. Und es sollte in den Ländern des globalen Südens eine größere Bewegung geben, die direkt an die Menschen herantritt, die sich mit Migrationsplänen befassen, und sie motiviert, ihre Fähigkeiten und Talente für die Menschen in ihren Herkunftsländern einzusetzen. Das gelingt in den Ländern am besten, in denen es relevante linke Bewegungen gab und gibt, die konkrete Pläne für eine soziale Umgestaltung des Landes haben. Inhalt solcher Bewegungen könnte die Losung sein: „Wir kehren Europa den Rücken. Europa hat uns nicht verdient.“

„Europa ist nicht das Eldorado“, sagt der senegalesische Rapper Negga Dou Tamba in dem von dem von Mario Pfeiffer erstellen Video „Backways“, das vor einigen Wochen in der Ausstellung „Seeds for Future Memoires in der Berliner IFA-Galerie zu sehen war. Das ist eine migrationskritische Sicht aus afrikanischer Perspektive, die nichts mit dem rassistischen Diskurs in Deutschland und anderen EU-Staaten zu tun hat. Es wäre zu wünschen, wenn die Ergebnisse der UN-Studie dazu beitragen, dass auch diese Perspektive „Europa den Rücken kehren“ in die Debatte um die Migration mit einbezogen wird. Denn dahinter steht, dass jeder das Recht hat, dort zu leben, wo er will – und das kann auch sein Herkunftsland sein.

Peter Nowak