Am 3. Oktober werden von Politiker*innen fast aller Parteien mit salbungsvollen Worten der Sieg der Demokratie vor 29 Jahren beschworen und die Menschenrechtsverletzungen in der DDR gegeißelt. Zwei Tage später, am 5. Oktober, soll in Frankfurt am Main der bundesweite Ratschlag »Demokratie wagen« stattfinden. Vorbereitet wird die Veranstaltung vom »Arbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte«. Dort haben sich Menschen zusammengeschlossen, die Opfer von…..
….. Menschenrechtsverletzungen in der BRD geworden sind, über die kaum gesprochen wird.
Dass der Ratschlag zwei Tage nach dem 3. Oktober stattfindet, sei Zufall, betont Klaus Lipps gegenüber »nd«. Der Sprecher der Initiative, die zum Ratschlag einlädt, wollte eigentlich Lehrer für Mathematik, Französisch und Sport werden. Doch weil er Mitglied der DKP war, durfte er seinen Beruf nicht ausüben. Ihm ging es wie vielen junge Lehrer*innen, Erzieher*innen, Postbot*innen und Busfahrer*innen. Sie alle waren Opfer des 1972 in der Ära des Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) von den Ministerpräsidenten der Länder beschlossenen Radikalenerlasses. Die Kritiker*innen bezeichneten ihn bald als Berufsverbot.
Noch immer wird Brandt eher mit seinem Wahlkampfslogan »Mehr Demokratie wagen« als mit den Berufsverboten in Verbindung gebracht. Die Initiative hat für ihren Ratschlag »Demokratie wagen« dieses Motto aufgegriffen. Für Klaus Lipps handelt es dabei keineswegs nur um eine historische Angelegenheit. »Viele vom Berufsverbot Betroffene haben heute noch materiell und psychisch darunter zu leiden«, betont er. So mussten sich viele von ihnen mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten und beziehen nun geringe Renten.
Lipps will darüber hinaus aber auch an die starke Bewegung gegen die Berufsverbote erinnern. Es gab zahlreiche bundesweite Demonstrationen und das Kampagnenmotto »Sei keine Duckmaus. Gemeinsam gegen Berufsverbote« schmückte vor 40 Jahren viele Wohngemeinschaften, aber auch manche Gewerkschaftsbüros. Klaus Lipps kämpfte zwölf Jahre gegen sein Berufsverbot und gewann drei Gerichtsprozesse.
»Unsere Erfahrungen aus dem Widerstand können nützlich sein für andere, jüngere Bewegungen«, erklärt er und erinnert daran, dass es immer wieder Versuche gibt, die Berufsverbotspraxis zu reaktivieren. So mussten sich der Heidelberger Antifaschist Michael Csaszkóczy und der in der Kurdistansolidarität aktive Münchner Wissenschaftler Kerem Schamberger in den letzten Jahren politisch und juristisch gegen ein Berufsverbot wehren.
Auf dem Ratschlag wird es aber auch um andere Fälle von Menschenrechtsverletzungen gehen. So wird Andrea Kocicz vom ver.di-Bundesvorstand über Repressalien gegen Gewerkschafter*innen in Betrieben referieren. Matthias Maler berichtet über die Kriminalisierung der Seenotrettung. Vertreter*innen von Fridays for Future informieren, wie von Staat und Justiz Profitinteressen verteidigt werden, beispielsweise bei der Räumung des Hambacher Forstes im letzten Jahr. So könnte dem Ratschlag »Demokratie wagen« ein Brückenschlag gelingen zwischen einer außerparlamentarischen Bewegung vor 40 Jahren und jungen Aktivist*innen.
Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126236.ratschlag-der-anti-duckmaeuse.html