Vorwärts und nicht vergessen: die Solidarität«, lautet der Refrain des berühmten Song, den Ernst Busch für den Film »Kuhle Wampe« von Slatan Dudow (1932) geschrieben hat. Die Nazis sprachen nicht von Solidarität, sondern von »Volksgemeinschaft«, was Unterordnung bedeutete. Heute skandieren die Rechten: »Hoch die nationale Solidarität. «Was meint linkes solidarisches Handeln im Jahr 2019, insbesondere in Bezug auf Kultur und Literatur? Diese Frage wurde am Dienstag im…
…. Berliner Brecht-Haus diskutiert, eingeladen hatte das Literaturforum des Hauses in Kooperation mit dem Bildungsverein Helle Panke – unter dem Titel »Poetik der Solidarität«. Es gab einen halbstündigen Vortrag des Kulturwissenschaftlers Patrick Eiden-Offe, der das Buch »Poetik der Klasse« veröffentlicht hat, in dem er den Wandel des Begriffs »Solidarität« untersucht. Seiner Meinung nach ist dieser mittlerweile zu einem Füllwort für Sonntagsreden herabgesunken. »Googeln sie mal die Begriffe ›Solidarität‹ und ›Bundespräsident Steinmeier‹. Da werden sie einiges finden«, sagte er.
Eiden-Offe plädierte dafür, den Begriff von moralinsauren Belehrungen abzugrenzen. »Wer solidarisch sein will, muss spalten«, meinte er, man könne auch »Klassenkampf« dazu sagen. Denn wenn Arbeiter*innen sich in Arbeitskämpfen solidarisieren, müssen sie die Loyalität zu ihrem Chef aufkündigen. Das könne man auch weiter fassen: Geht es um den Kampf gegen Kriege weltweit müssten die werktätigen Menschen die Loyalität mit »ihrem« Staat aufkündigen. Dem schloss sich der Sozialwissenschaftler Ingar Solty weitgehend an. Er betonte, dass Solidarität im Eigeninteresse der Arbeiter*innen liege, auch wenn sie dies selbst mitunter nicht erkennen. »Wer humane Arbeitsbedingungen anstrebt, handelt zugleich im Interesse aller anderen, die auch lohnabhängig sind.«
Mit der unterschiedlichen Verwendung des Begriffes »Solidarität« unter Arbeiter*innen und in bürgerlichen Kreisen setzte sich die Autorin Daniela Dröscher auseinander. Die Schriftstellerinnen Kathrin Röggla und Maxi Obexer diskutierten, inwieweit sich dies in der in der Literatur widerspiegele. Beide waren sich mit Eiden-Offe einig, dass die Erzählung vom »solidarischen Helden« oftmals bei Leser*innen nicht ankommt, weil die sich vielfach belehrt fühlten.
Eiden-Offe schlug die literarische Figur des Nonkonformisten vor, mit Verweis auf Bertolt Brechts Verdikt »In mir habt ihr einen, auf den ihr nicht bauen könnt«. Solty wiederum hielt nichts von einer »literarischen Randgruppenstrategie« und forderte dazu auf, keine Scheu zu haben, solidarische Menschen auch literarisch darzustellen. »Wo bleibt ein Roman über Emmely?« fragte er und forderte, eine Erzählung über jene 2015 verstorbene Supermarktkassiererin, die sich jahrelang und letztlich erfolgreich gegen ihre Kündigung gewehrt hatte, nachdem man ihr vorgeworfen hatte, sie hätte zwei Flaschenpfandquittungen im Wert von 1,30 Euro unterschlagen.
Allgemein wurde auf der Veranstaltung konstatiert, dass Menschen aus der Arbeitswelt heutzutage in literarischen Werken selten zu finden seien. Das war vor einem halben Jahrhundert noch anders, als beispielsweise Erika Runge in ihren »Bottroper Protokollen« Arbeiterinnen zu Wort kommen ließ. Aber vielleicht ändert sich das ja, war die Veranstaltung doch Teil der Reihe »Richtige Literatur im Falschen«, die auf eine Initiative von Autor*innen zurückgeht, mehr »engagierte Literatur« zu fordern, zu schreiben und zu veröffentlichen.
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