Das neu gegründete Zentrum für Emanzipatorische Technikforschung beschäftigt sich mit Fragen der technologischen Entwicklung. Zu den Adressaten des Think Tanks gehören auch die Beschäftigten, deren Arbeitsleben immer stärker von der Digitalisierung geprägt wird.
»Wir sind keine Technologiekritiker, sondern verstehen uns als Technologieforscher«, sagt Simon Schaupp. Er gehört zu den Gründern des Zentrums für Emanzipatorische Technikforschung (ZET) in München. Die Wissenschaftler, die sich Anfang September in diesem Think Tank zusammengeschlossen haben, kommen aus verschiedenen Fachrichtungen und wollen »in den gesellschaftlichen Diskurs um die technische Entwicklung intervenieren«, wie es in einer ersten Selbstdarstellung heißt.
Das Zentrum solle neue Akzente in der linken Technikdebatte setzen, sagt Schaupp im Gespräch mit der Jungle World. »Im linken Diskurs wird die Digitalisierung oft als Angriff auf das gute Leben interpretiert. Wir haben einen anderen Blick auf die Digitalisierung.
Wir sehen Technologie als Ergebnis von Machtkämpfen. Das bedeutet auch, dass unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen einer marktradikalen Dominanz die Auswirkungen der Technologie nicht gerade positiv für die abhängig Beschäftigten sind. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Technologie selbst, sondern in deren politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen.«
Das ZET soll künftig aber nicht nur Diskurse, sondern auch Arbeitsbedingungen verändern. Dementsprechend fand der Gründungskongress im Münchner DGB-Haus statt. In einer Diskussionsrunde sprachen Wissenschaftler und politisch engagierte Computerfachleute über die Möglichkeiten einer »Technikpolitik von unten« am Beispiel der Hacker-Bewegung. In einem zweiten Panel referierten die Geschäftsführerin des Karlsruher Instituts für Technikzukünfte, Alexandra Hausstein, und Andreas Boes vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung über die Digitalisierung der Arbeitswelt.
Dieses Themenfeld soll auch in Zukunft für die Arbeit des ZET zentral bleiben. »Die Debatte über eine drohende technologische Arbeitslosigkeit wird in der Wissenschaft wie auch in der breiteren Öffentlichkeit mit einigem Elan geführt. Einmal einen Schritt zurückzutreten und grundsätzlich zu werden, würde hier – wie auch in vielen anderen Technikdebatten – sicherlich nicht schaden«, sagte der ZET-Vorsitzende Philipp Frey. Die Automatisierung werde oft als Naturgewalt und Sachzwang dargestellt. »Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der die emanzipatorischen Möglichkeiten der modernen Technologie im Interesse der Mehrheit der Menschen zur Geltung kommen. Beispielsweise macht die moderne Technologie eine radikale Arbeitszeitverkürzung nötig. Dass Menschen weniger Lohnarbeit verrichten müssen, ist eigentlich sehr positiv, wird aber zum Fluch, wenn – wie das heutzutage der Fall ist – für alle, die nicht von ihren Vermögen leben können, ein allgemeiner Arbeitszwang herrscht«, sagt Schaupp.
Der Soziologe nennt als Beispiel für konkrete negative Folgen technologischer Entwicklungen die digitalen Assistenzsysteme, die in den verschiedenen Branchen, vom Bau bis zum Einzelhandel, Einzug in die Arbeitswelt halten: »Die Arbeitsschritte werden den Beschäftigten dort bis ins Detail vorgegeben. Abweichungen, selbst Nachfragen sind nicht mehr möglich. Das sorgt für eine Dequalifizierung der Lohnarbeit. Dies wiederum trägt zu einer Prekarisierung bei, weil die Beschäftigten leichter austauschbar sind.«
Adressaten der Erkenntnisse sollen auch die Beschäftigten sein. Das ZET möchte Lohnabhängigen in Seminaren beispielsweise verdeutlichen, dass die den Betriebsalltag bestimmenden Algorithmen eine Folge politischer Entscheidungen sind. Eine realpolitische Forderung der Wissenschaftler ist, Algorithmen und deren Funktionsweise transparent zu machen. Zudem sollen die Beschäftigten auch im Bereich der technologischen Ausgestaltung Mitbestimmungsrechte erhalten.
Mit dieser Zielsetzung unterscheidet sich das ZET vom Capulcu-Redaktionskollektiv, das im vergangenen Jahr ein Buch mit dem programmatischen Titel »Disrupt – Widerstand gegen den technologischen Angriff« herausgegeben hat. Das Redaktionskollektiv sieht in der Digitalisierung vorwiegend ein Instrument zur Überwachung und Ausforschung, das die Autonomie des Menschen bedrohe. Es fordert einen »Gegenangriff auf die Praxis und die Ideologie der totalen Erfassung«. Diese Form der Technikkritik ist in der außerparlamentarischen Linken weit verbreitet. Mit dem ZET könnte sich künftig auch in Deutschland eine Strömung in der Linken herausbilden, die der technischen Entwicklung grundsätzlich positiv gegenübersteht.
https://jungle.world/artikel/2018/39/digital-ist-besser
Peter Nowak