Ein irischer Historiker verortet die Wurzeln der Nato in den Kämpfen gegen Napoleon und die Errungenschaften der französischen Revolution
„Ein einzigartiges Gedenkprogramm, das sie bestimmt nicht verpassen dürfen“ – mit dieser Botschaft [1] wird vom 18. – bis 20. Juni zum großen Reenactment in das belgische Örtchen Waterloo in der Nähe von Brüssel eingeladen. An drei Tagen im Juni soll die Schlacht nachgespielt werden, die vor 200 Jahren die endgültige Niederlage Napoleons bedeutete. Doch jenseits solcher Reenactmentspielen wird schon zu Beginn des Jubiläumsjahrs versucht, aus der Schlacht von Waterloo Sinnstiftendes für die Gegenwart herauszudeuten.
Welche Lehren liefert uns die Schlacht von Waterloo für die heutige EU, fragt [2] der in Cambridge lehrende irische Historiker Brendan Simms [3]. Am Wochenende wurde der Text erstmals in der Taz auf Deutsch veröffentlicht [4].
Im Geist von Waterloo gegen IS und Putin
Gleich im ersten Absatz macht der Historiker klar, was er mit der eigenwilligen Geschichtskonstruktion bezweckt:
Die letzten Jahre waren keine guten für die deutsch-britischen Beziehungen. Großbritannien und Deutschland sind über die Zukunft der Europäischen Union wiederholt aneinandergeraten. Ein robuster auftretendes London und ein vorsichtiges – sogar versöhnliches – Berlin bleiben weit auseinander in der Frage, wie mit Bedrohungen umzugehen ist, die so verschieden sind wie der IS im Nahen Osten oder Russland unter Wladimir Putin.
Dann greift Simms zurück in die Zeit, als im 19. Jahrhundert „britische und deutsche Liberale vereint in Opposition zur zaristischen Autokratie und im Glauben an den Fortschritt standen“ und „Respekt vor deutscher Gelehrsamkeit oder Musik“ in Großbritannien weit verbreitet waren. Dass damals Menschenrechte ein Fremdwort in diesen Regionen waren und Oppositionelle schnell im Kerker landeten, ist Simms keine Rede wert.
Von den Kolonialverbrechen dieser Zeit findet sich natürlich bei ihm auch kein Wort. Für ihn sind Menschenrechte nur dienlich, wenn sie den Kampf gegen das Böse in Gestalt von Putin oder den IS geht. Die höchste Form der deutsch-britischen Kooperation ist für Simms die Zeit nach 1714 als Georg I in Personalunion in Hannover und England regierte. Natürlich wurde er nicht von der Bevölkerung gewählt, und wenn es jemand auch nur gewagt hätte, so etwas auch nur zu fordern, was es durchaus schon gab, hätte er die Feudalgewalt kennen gelernt.
Doch Simms hat damit keine Probleme. Seine Eloge auf die feudale Herrscherclique geht so:
Bürgerliche oder gar Bauern zählen natürlich nicht. Doch die Obrigkeit machte ihre Sache gut und Simms kann Sätze zu Papier bringen, die man eher bei einem PR-Spezialisten als bei einen Historiker vermutet:
Die Nato als konterrevolutionäres Bündnis
Dass heute ein Historiker wieder ernst genommen wird, der Geschichte als Herrschaftsgeschichte gekrönter Häupter und ihres Anhangs herunterbetet und Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ [5] nicht mal zu kennen scheint, ist ein Zeichen der gesellschaftlichen Regression. Dass der Historiker nun aber in dem antinapoleonischen Bündnis, das das Ziel hatte, möglichst alle Errungenschaften der französischen Revolution rückgängig zu machen und die alten Verhältnisse wieder herzustellen, als erste Nato-Operation darstellt, gibt den Natokritikern recht.
Die haben das Militärbündnis häufig mit dem Attribut konterrevolutionär belegt und jetzt stellt es ein vehementer Natoverteidiger freiwillig in den historischen Kontext der Bewegung gegen die französische Revolution. Da braucht man nur Simms selbst zu Wort kommen zu lassen:
Dabei ist dem Historiker schon klar, dass es vor allem die herrschenden Feudalmächte und der Klerus waren, die in de französischen Revolution und der Schrumpfform davon, die unter der Napoleonischen Ägide in anderen Ländern verbreitet wurden, bedroht sahen. Große Teile der Unterklassen sahen in der Französischen Revolution und anfangs auch noch in den Kriegen Napoleons eine Hoffnung auf Minderung der Unterdrückung und der Anbruch einer neuen Zeit.
Große und auch begründete Hoffnungen setzten vor allem die in allen europäischen Ländern drangsalierten Juden auf den Vormarsch Napoleons. Dadurch erlangten sie die Bürgerrechte. Diese napoleonische Errungenschaft kommt bei Simms überhaupt nicht vor. Sonst könnte er ja auch nicht sein Dogma durchhalten, dass Napoleon der Usurpator und Zerstörer Europas war, dem sich die alten Mächte schließlich so entgegen stellten, wie es Simms sich heute im Kampf gegen Putin und den IS wünscht.
Besonderen Respekt zollte Simms dem Agieren jener Deutschen Legion, die „als ideologische Krieger gegen Napoleon und die französische Vorherrschaft“ auftrat. Ausgerechnet diese besonders gefürchtete Speerspitze der Reaktion ist für den Historiker nun ein besonderes Vorbild für die heutige Zeit:
Neue Interventionisten und Ernstfall
Eine modernisierte Nato, die sich offen in den historischen Kontext der restaurativen Kräfte stellt, die die französische Revolution bekämpft haben, dass ist es, was Simms hier zum 200ten Jubiläum propagiert.
Vor 100 Jahren war ein solches Bündnis nicht möglich, bedauert der Historiker. Schließlich waren im 1. Weltkrieg die Bündniskonstellationen ausgetauscht. Was Simms nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass in Belgien damals ein deutsch-britisches Bündnis eine Horrorvorstellung gewesen wäre. Schließlich sorgte der Überfall deutscher Truppen auf das neutrale Belgien und die dort verübten vielfältigen deutschen Kriegsverbrechen weltweit für Schrecken und Empörung. Zum 100ten Jahrestag des 1. Weltkriegs wurde zumindest in Ansätzen über den Terror, den deutsches Militär über Belgien brachte, berichtet.
Im neuen Jahr soll mit solchen kritischen Fragen nun Schluss sein, wenn es nach Simms geht. Jetzt soll 200 Jahre nach Waterloo das neue deutsch-britische Bündnis unter dem Dach der Nato geschmiedet werden. Es ist nur zu hoffen, dass solche Pläne ihr Waterloo erleben, bevor es wieder zum Ernstfall kommt und Millionen ihr Leben verlieren.
Nur sind die Gegenkräfte, die dazu in der Lage wären, nicht zu sehen. Dass Simms ausgerechnet in der Taz, die sich einmal der Friedensbewegung zugehörig fühlte, abgedruckt wurde, diente nicht dazu, den Gegner besser kennen zu lernen, sondern war als ernst gemeintes Gesprächsangebot verstanden worden. Schließlich hat der Auslandsressortleiter Dominik Johnson schon öfter seine Sympathien mit den neuen Interventionisten im Geiste von Tony Blair geäußert [6]. Simms liefert nun die historische Erdung aus dem Geist der Restaurationsbewegung gegen die französische Revolution.
http://www.heise.de/tp/news/War-die-Schlacht-von-Waterloo-die-erste-Nato-Operation-2508125.html
Peter Nowak
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