Die CSU-Kampagne zeitigt erste Erfolge, dabei wäre eine Kommission erforderlich, die untersuchen soll, wie Diskriminierungen bei der medizinischen Versorgung, den Lohn und Arbeitsbedingungen möglichst schnell abgebaut werden
Für CSU-Chef-Seehofer mag in den letzten Wochen nicht alles rund gelaufen sein. In der großen Koalition ist der direkte Einfluss der konservativen Regionalpartei gesunken, wie sich an der Ausstattung ihrer Ministerien feststellen lässt. Dann gab es auch noch einen parteiinternen Streit um die Finanzierung der Energiewende, bei der Seehofer erst einmal deutlich machen musste, wer der Chef ist.
Doch mit der populistischen Kampagne gegen die angebliche Armutseinwanderung, die sich in der Formel „Wer betrügt, der fliegt“ ausdrückte, haben die Christsozialen auf jeden Fall schon einen Erfolg errungen. Dabei ist die massive Kritik von Oppositionsparteien und Flüchtlingsorganisationen schon mit einkalkuliert. Die CSU hat es mit ihrer Kampagne geschafft, die Diskussion in der EU-Freizügigkeit und der Zuwanderung auf das Thema Missbrauch der Sozialsysteme durch angebliche Armutszuwanderer zu fokussieren.
Wenn nun die Bundesregierung auf der Ebene der Staatssekretäre eine Kommission einberufen hat, die erkunden soll, ob es einen Missbrauch der deutschen Sozialsysteme durch „Armutseinwanderung“ gibt und welche Maßnahmen dagegen zu treffen sind (vgl. Zuwanderungsangst: Merkel will Ruhe in der Großen Koalition), hat die CSU genau das erreicht, was sie wollte.
Da mag auch aus den Reihen der Sozialdemokraten in den letzten Tagen moniert worden sein, dass manche Formulierungen aus der CSU die Trennschärfe nach Rechtsaußen vermissen ließen. Dabei gilt dort schon seit den Zeiten von Franz Joseph Strauß der Grundsatz, dass es eine Partei rechts von der CSU nicht geben dürfe und die Christsozialen daher deren Positionen gleich mitvertreten sollen.
Schon Koalitionsvertrag positioniert sich gegen „Armutsflüchtlinge“
In dem Prüfauftrag werden die inkriminierten Formulierungen der CSU sicher nicht zu finden sein, und schon sind die Sozialdemokraten wieder mit im Boot. Schließlich hatten Unionspolitiker ihre sozialdemokratischen Regierungspartner mit Recht darauf hingewiesen, dass sie im Koalitionsvertrag mit von der Partie waren und man gemeinsam festgelegt habe, dass die Bundesregierung gegen den angeblichen Missbrauch der deutschen Sozialsysteme Maßnahmen ergreifen will. Genau in diesem Sinne soll die nun gebildete Kommission tätig werden.
Wenn Unionspolitiker das Gremium nun zu schnellen Entscheidungen auffordert, ist abzusehen, dass die Auseinandersetzung weiter von rechts angetrieben wird. Schließlich ist ja nicht erst seit der für die hessische CDU unter Roland Koch so erfolgreichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft im Jahr 1999 bekannt, wie man mit Ressentiments gegen Migranten und Zuwanderer in Deutschland Stimmen gewinnt.
Eine Kommission gegen Armut und Diskriminierung wird es nicht geben
Dabei wäre eine Kommission nicht nur auf Staatssekretärsebene sicher erforderlich, die untersuchen sollte, warum es in einem angeblichen Boomland wie Deutschland auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen Diskriminierungen von Zuwanderern gibt und wie sie möglichst schnell abgebaut werden.
Das beginnt mit der Frage, warum in vielen deutschen Städten Menschen aus anderen Ländern in Abbruchhäusern überwintern müssen und warum ihnen selbst die medizinische Grundversorgung oft verweigert wird, worauf das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe in einem Aufruf aufmerksam macht. Ein anderes wichtiges Thema, das diese Kommission untersuchen müsste, wären die vielfältigen Diskriminierungen und die Extraausbeutung, der Zuwanderer in vielen Branchen ausgesetzt sind.
In vielen Städten haben sich Betroffene mittlerweile zusammengeschlossen und suchen Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Als aktuelle Beispiele sei nur auf die Arbeitsbedingungen von Werksvertragsarbeitern aus Osteuropa in der Fleischindustrie verwiesen. In einer WDR-Sendung wurde über das „Geschäftsmodell Ausbeutung“ bei einem Geflügelschlachter gesagt:
„Wir haben den Verdacht, dass die Arbeiter zu Hungerlöhnen beschäftigt werden und dass von den Gehältern noch Mieten einbehalten werden für die Unterkünfte, in denen sie untergebracht sind. Und dass Verstöße gegen die Arbeitszeiten vorgenommen werden.“
Die Koppelung von schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen macht es vielen Zuwanderern besonders schwer, sich zu wehren. Schließlich drohen sie dann auch ihre Unterkunft zu verlieren. Manche Zuwanderer werden unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und dann in die Obdachlosigkeit entlassen.
Hier gäbe es also eine große Aufgabenpalette für die Kommission einer Bundesregierung. Doch die jetzt eingesetzte Runde hat nicht die Aufgabe, den Zuwanderern bessere Bedingungen zu schaffen. Im Gegenteil sollen die Betroffenen zum Problem erklärt werden. Diesen Diskurs kennen wir seit Langem auch im Zusammenhang von Erwerbslosen und Armen. Sie und nicht die Bedingungen, unter denen sie Leben müssen, werden zum Problem erklärt.
Das wäre eigentlich ein vernünftiger Grund, dass sich Einkommensarme der verschiedenen Ländern nicht an ihren Aufenthaltsstatus spalten lassen. Eine Initiative, die für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus eintritt, liefert hier ein seltenes Beispiel. Doch leider ist die Realität überwiegend eine andere. Gerade viele Menschen, die selbst große Probleme damit haben, in Deutschland über die Runden zu kommen, wollen sich nicht mit Menschen mit anderem Pass solidarisieren. Deshalb sind die Kampagnen der Kochs und Seehofers auch so erfolgreich.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155639
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155614
[2]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155584
[3]
http://www.taz.de/!129991/
[4]
http://www.medibuero.de/de/Aufruf.html
[5]
http://www.wdr.de/tv/westpol/sendungsbeitraege/2013/1006/fleischindustrie.jsp
[6]
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/auszubildende-spanien-arbeitsvermittler
[7]
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf
Kommentare sind geschlossen.