CDU-Politiker lobt Parlamentsblockaden in Sofia
Demokratisch gewählte Politiker werden über Stunden im Parlament eingeschlossen, weil Demonstranten das Gebäude blockieren, Barrikaden errichten und die Abgeordneten und Minister am Verlassen des Gebäudes hindern. Als die Polizei nach Stunden die Blockade auflöst und die Eingeschlossenen befreit, werden sie von den Demonstranten angegriffen. Solche Szenen waren am Dienstag in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zu sehen.
Eigentlich ist die Reaktion der Politiker in aller Welt vorhersehbar. Sie gratulieren den befreiten Politikern und versprechen ihnen Unterstützung im Kampf gegen die Straße, Vielleicht offerieren sie sogar Polizeiunterstützung. Lediglich einzelne Politiker vom linken Flügel geben zu bedenken, dass die Proteste vielleicht eine soziale Ursache haben könnten und werden dafür von den Demokraten aller Parteien gescholten, dass sie Verständnis für „Extremisten“ aufbringen. Daher sind die Äußerungen des nicht einflusslosen CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok in einem Interview [1] mit dem Deutschlandfunk schon bemerkenswert.
Auf die Frage des Journalisten, ob Brok die Situation in Sofia als ernst oder sehr ernst charakterisieren würde, antwortete der Politiker: „Ich würde es als ein gutes Zeichen sehen, dass doch große Teile der Bevölkerung einen Staat mit Rechtsstaatlichkeit und vor allen Dingen ohne Korruption erkämpfen wollen und dass so dauerhaft dafür demonstriert wird. Das zeigt, dass die Bürger in Bulgarien große Hoffnung auch auf die Europäische Union setzen, dass dort die Dinge endlich in Ordnung gebracht werden.“
Wer erwartet hatte, dass spätestens danach eine klare Distanzierung von den Protestierern kommt, die Politiker im Parlament eingeschlossen und Barrikaden gebaut haben, sah sich getäuscht. Vielmehr gab es weiteres Politikerlob für die Ausdauer der Protestierer. „Das geht ja jetzt schon seit Wochen, und über Wochen solche Demonstrationen am Leben zu halten, ist schon außergewöhnlich. Und ich glaube, dass die Parteien sich daran gewöhnen müssen, einen normalen demokratischen Prozess in Gang zu setzen.“
Wenn Brok dann noch etwas nebulös äußert, „dass von daher diese demokratischen Prozesse sehr viel stärker gefördert werden sollten“, bleibt man etwas ratlos zurück. Sollen jetzt Sturmhauben und Molotow Cocktails nach Sofia geschickt werden? Sollte das Blockuppy-Bündnis Elmar Brok als Berater einstellen, wenn es in Frankfurt/Main die nächsten Protestaktionen plant? Dort hatten bekanntlich Broks christliche Parteifreunde eine angemeldete Demonstration am 1. Juni stundenlang eingekesselt. Dabei hatte niemand auch nur daran gedacht, Politiker oder Bankier irgendwo einzuschließen.
Gemeinhin sind sich fast alle Politiker einig, dass sie sich nicht von der Straße erpressen lassen sollen. Parlamentarier sollen besonders wenig von Protesten behelligt werden. Dafür sorgt in Berlin schon eine Bannmeile, die Demonstrationen und andere Proteste auf Abstand zu den Volksvertretern hält. Wenn dann doch einmal Protestgruppen auf die Idee kommen, ihre Anliegen in Parlamentsnähe zu verlegen und das ganze gar Blockade zu nennen, dann sorgen Polizei und Justiz, dass darauf höchstens eine Kundgebung in gebührender Entfernung von allen staatlichen Instanzen wird. Die Politiker aller größeren Parteien, an vorderster Front die CDU/CSU empören sich auch immer besonders über Druck auf das Parlament, wenn auch nur eine Ankündigung für Parlamentsproteste bekannt wird.
Die ungewöhnlichen Äußerungen eines konservativen Politikers zur Unterstützung von Parlamentsblockierern in einem EU-Land werden vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation Bulgariens nach den letzen Wahlen deutlich.
Die deutschfreundliche konservative vormalige Regierungspartei GERB [2] unter ihrem als rechten Macher hochgelobten [3] Vorsitzenden Borrisow wurde zwar auch bei den letzten Wahlen wieder stärkste Partei, fand aber keinen Koalitionspartner. Dafür gelang den Sozialdemokraten [4] eine Regierungsbildung in einer äußerst heterogenen Koalition.
Viele Demonstranten aus der bulgarischen Mittelschicht wollen mit ihren Protesten die Konservativen zurück an die Macht bringen und scheuen dabei auch nicht vor Maßnahmen zurück, die hierzulande von Politik und Justiz in die Nähe des politischen Terrorismus gerückt würden. Zuvor hatten Proteste zum Rücktritt der Regierung Borissow geführt (Bulgariens kurzer Winter der Anarchie [5]). Begonnen hatten die Proteste nach der Wahl, weil Ministerpräsident Plamen Orescharski Deljan Peevski zum neuen Chef der „Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit“ (DANS) machen wollte. Der Besitzer eines Medienkonzerns personifiziert wie kaum ein anderer die „Schurobadschanaschtina“, die bulgarische Abart von Cliquenwirtschaft und Verflechtung von Politik und Kapital und seine Medien praktizieren eine Höchstform der Pervertierung von Journalismus, schrieb im Juni Frank Stier (Wahl eines Medien-Oligarchen zum Geheimdienstchef trieb Bulgaren auf die Barrikaden [6]).
Peter Nowak 25.07.2013
Links
[1]
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2189296
[2]
http://www.gerb.bg/
[3]
http://www.n-tv.de/politik/dossier/Borissow-raeumt-auf-article482144.html
[4]
http://pbs-d.bg/home-2/
[5]
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39040/1.html
[6]
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39366/1.html
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154692
Peter Nowak
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