Eine Analyse aus dem transcript-Verlag:
In Wählerumfragen rangiert die Piratenpartei erstmals seit Monaten hinter der LINKEN. Doch von einem Ende der Piraten zu sprechen, wäre verfrüht. Der Gegenwind ist ein Zeichen, dass die Partei auch für die Öffentlichkeit in den Niederungen der Politik angekommen ist.
Während die Grünen in ihrem ersten Jahrzehnt mit dieser Rolle haderten und ein einflussreicher linker Flügel vergeblich dagegen ankämpfte, haben die Piraten schon kurz nach ihrer Gründung die Rolle als Systemstabilisierer anerkannt und werben offensiv damit. Dieser Befund…
…zieht sich durch die 18 Aufsätze des kürzlich im transcript-Verlag von den Politikwissenschaftern Christoph Bieber und Claus Leggewie herausgegebenen Buches mit dem Titel „Unter Piraten, Erkundungen in einer neuen politischen Arena“. Die Frage, ob die neue Partei etwa zur Transformation des kapitalistischen Systems beitragen könnte, wird dort gar nicht erst gestellt. Sie wäre auch absurd bei einer Partei, die zu vielen Themen eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, nur nicht zur weltweit durchaus heftig diskutierten Frage des Computersozialismus. In dem Buch sind viele Aufsätze aus dem Bereich von Politikwissenschaftern versammelt, die gerne und mehrmals daran erinnern, dass sie in der Süddeutschen Zeitung, der Zeit und Spiegel-Online publizieren und die ihre Arbeit auch als Politikberatung verstanden wissen wollen. Die Stärke der meisten Aufsätze, die sich mit der Vorgeschichte der Piraten, sowie mit ihrem Nah- und Fernumfeld befassen, besteht in der oft treffenden Einordnung der neuen Partei in das bundesdeutsche Parteiensystem. Die Autoren nehmen die Metaphern vom neuem Betriebssystem, das die Piratenpartei liefern will, um einen Neustart und eine Optimierung des Systems durchzuführen, durchaus ernst. Der Exkurs zu der kurzen Geschichte der Barcamps, den 2005 in den USA entstandenen Konferenzen der Internetgemeinden, die sich bald über den Globus ausbreiteten ist lehrreich. Dort wurden die Managementerfahrungen der um das Internet zentrierten Unternehmen ausgetauscht. Er ist eine von den Buchbeiträgen, die den Blick für die ökonomischen Veränderungen schärfen, die eine Voraussetzung für das Entstehen der Piratenparteien in vielen Ländern sind.
Soziale Blindheit der Piraten wird nicht hinterfragt
Während sich ein ausführliches Kapitel von Jasmin Siri und Paula Irena Villa kenntnisreich mit der angeblichen Geschlechtsblindheit der Piraten auseinandersetzt, wird die weitgehende Ignoranz der Partei gegenüber der sozialen Frage in dem Buch nicht weiter hinterfragt, sondern von den meisten Autoren übernommen.
Lediglich der Essener Politikwissenschaftler Claus Leggewie kritisiert im Schlussbeitrag, dass das Piratenumfeld gegen staatliche Überwachung aktiv ist, aber die Produzenten und Haupteigner der Netzmedien kaum kritisiert. Er sieht die Meinungsfreiheit heute weniger von staatlichen Institutionen sondern „vom Konformismus und von der Chuzpe eines kultur-industriellen Komplexes in privaten Händen“ bedroht. Hier, wie in der Interessenvertretung des bei den Piraten ebenfalls kaum beachteten Prekariats im IT-Bereich, liegen e Ansätze für eine linke Politik, die allerdings weder Thema des Buches war noch auf der Agenda der meisten Politiker der Piraten steht.
Bieber Christoph, Leggewie Claus (Hg.), „Unter Piraten“, Erkundgung in einer neuen politischen Aren, transript , Reihe X-Texte, Juni 2012, 248 S., kart., 19,80 € ISBN 978-3-8376-2071-9
https://www.neues-deutschland.de/artikel/237356.die-piraten-und-der-systemerhalt.html
Peter Nowak