Über die tödlichen Folgen deutscher Asylpolitik

Im August 2009 brachte sich der 26 Jahre alte Mahmud O. auf die selbe Weise in einer Einzelzelle der JVA Nürnberg ums Leben. Der Iraker war wegen Bedrohung eines Landesmannes verhaftet worden, obwohl er wegen psychischer Probleme in Behandlung war.

Anfang März dieses Jahres erhängte sich der georgische Flüchtling David M. in einem Hamburger Gefängniskrankenhaus. Er hatte Asyl gesucht – und war in Abschiebehaft gelandet.
Im gleichen Monat stirbt die 32-jährige Libanesin A. T. im sächsischen Mittweida, nachdem sie eine große Menge Medikamente geschluckt hat. Zuvor hatte die zweifache Mutter die Ausländerbehörde vergeblich angefleht, auf den geplanten Zwangsumzug der Familie aus dem Flüchtlingsheim Frankenau ins abgelegene Mobendorf zu verzichten. Noch während die Frau in der Klinik mit dem Tode rang, wurde der Ehemann angewiesen, den Umzug fortzusetzen.

Drei Flüchtlingsschicksale, von denen zwei in der dieser Tage erschienenen 17. Auflage der Dokumentation

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen nach-zulesen sind. Seit 1993 recherchiert die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) für den Report ganz verschiedenen Formen von Gewalt gegenüber Flüchtlingen. Im Zuge staatlicher Maßnahmen kamen nach Angaben der Initiative seit 1993 mindestens 378 Flüchtlinge ums Leben; durch rassistische Übergriffe und Brände in Asylunterkünften starben weitere 82 Menschen.

Dunkelziffer vermutet
Lag in den ersten Jahren der Schwerpunkt der ARI-Beobachtungen auf rechter Gewalt, überwiegen inzwischen die Berichte über die dramatischen Folgen der deutschen Asylpolitik. So sind allein im letzten Jahr 25 Suizidversuche von Flüchtlingen aus Angst vor einer drohenden Abschiebung dokumentiert. Die Unterbringung in Lagern, das Verbot, zu arbeiten und ohne Genehmigung den zugewiesenen Landkreis zu verlassen, sowie andere behördliche Schikanen hätten einen wesentlichen Anteil an den Verzweiflungstaten der Flüchtlinge, heißt es in der ARI-Dokumentation. Eine zusätzliche Belastung sind die sprunghaft angestiegenen Asyl-Widerrufsverfahren. Zwischen 2003 und 2009 gab es 62.385 Fälle, die meistens mit einer politischen Neueinschätzung der Herkunftsländer der Flüchtlinge verbunden ist. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl von minderjährigen Flüchtlingen in Abschiebehaft. Allein in Berlin sind für das letzte Jahr neun Fälle bekannt geworden.

Elke Schmidt vermutet eine noch höhere Dunkelziffer. „Von einigen Bereichen, in denen es sich bundesdeutsche Flüchtlingspolitik abspielt, haben wir kaum Informationen“, betont die ARI-Sprecherin. Das gelte vor allem für Abschiebegefängnisse, aber auch die Transitbereiche von Flughäfen, wo Flüchtlinge an der Einreise gehindert werden. Mitten in der Gesellschaft werden Menschen zentrale Rechte vorenthalten, nur weil sie keinen deutschen Pass haben. Sie können ihre Wohnung nicht frei wählen und haben auch kein Recht auf freie Mobilität.

Die alljährlich ergänzte Dokumentation der ARI gibt mehr Auskunft über die demokratische Gesellschaft, als die Sonntagsreden vieler Politiker zusammen.

aus  der Freitag | Nr.13 | 31. März 2010

Peter Nowak