Das Hartz-IV-Regime wird 20

»Heute wir, morgen ihr

Mit der Durchsetzung von Hartz IV setzte auch eine Entsolidarisierung unter den Betroffenen ein. Man wollte sich abgrenzen von anderen einkommensarmen Menschen – vor allem, wenn diese keinen deutschen Pass hatten. So schuf die Agenda 2010 ein gesellschaftliches Klima, das den Aufstieg der Rechten begünstigte.

Am 1. Januar 2005 trat in Deutsch- land das Hartz-IV-Gesetz in Kraft: Eine neoliberale Umstrukturierung der Sozialsysteme, welche auch die Arbeitsbedingungen nachhaltig verändern würde. Die Agenda 2010, wie die Maßnahme offiziell genannt wurde, verschob das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wesentlich zuungunsten der Lohnabhängigen. Wirtschaftsnahe Institute und staatstragende Medien hatten diesen Klassenkampf von oben von langer Hand vorbereitet: Jahrelang wurde gegen angeblich zu hohe Ansprüche in der Gesellschaft polemisiert – womit nicht etwa die Kapitalvertreter*innen gemeint waren. Im Gegenteil: deren Profit sollte wachsen. Vielmehr ging es dem Staat darum, die Kosten der Ware Arbeitskraft zu senken. Den Gürtel enger schneller schnallen sollten …

… die Lohnabhängigen insgesamt, nicht nur die Erwerbslosen. Installiert wurde das Ganze von der SPD und den Grünen, woran sich wieder einmal zeigt, dass eine »linke« Regierung häufig kapitalfreundlichere Politik umsetzen kann als Konservative. Hilfe bekam Rot-Grün dabei von den Führungen der DGB-Gewerkschaften, die zunächst kaum Kritik an der Agenda 2010 formulierten. Das bedeutete aber nicht, dass es keinen Widerstand gegen diese Politik gab. Im Gegenteil: Seit dem Sommer 2004 entwickelte sich ausgehend von Ostdeutschland eine massive Protestwelle unter dem Motto »Schluss mit Hartz IV– denn heute wir, morgen ihr«. In der Hochphase gingen Hunderttausende in ganz Deutschland auf die Straße. Am ersten Wochentag im Januar 2005 protestierten wieder Tausende Menschen im Rahmen der »Aktion Agenturschluss« vor Jobcentern und Arbeitsagenturen. Trotzdem konnte Hartz IV nicht verhindert werden. Viele Menschen mussten die Erfahrung machen, dass die Regierung gegen die Massenproteste ihr soziales Kahlschlag projekt durchgesetzt hatte. Fortan bestimmte die Angst das Leben von Menschen mit wenig Geld. Viele Lohnabhängige wollten alles tun, um nicht unter das Hartz-IV-Regime zu geraten. Die Drohung mit Sanktionen als Disziplinierungsins- trument traf dabei längst nicht nur Erwerbslose: Unter den Hartz-IV-Bezieher*innen waren auch zahlreiche Aufstocker*innen, die einer Lohnarbeit nachgingen, von der sie nicht leben konnten.

Mit der Durchsetzung von Hartz IV setzte auch eine Entsolidarisierung unter den Betroffenen ein. Man wollte sich abgrenzen von anderen einkommensarmen Menschen – vor allem, wenn diese keinen deutschen Pass hatten. So schuf die Agenda 2010 ein gesellschaftliches Klima, das den Aufstieg der Rechten begünstigte. Darüber wird allerdings kaum geredet, wenn es um die Ursachen für die Rechtsentwicklung geht. Und genau deshalb muss die Forderung nach der Abschaffung des Jobcenter-Sanktionsregimes im Mittelpunkt progressiver Politik stehen – und die klare Zurückweisung der Hetze gegen Bürgergeldbezieher*innen, wie die Unionsparteien, FDP und AfD sie betreiben. Nur so wäre eine »antifaschistische Wirtschaftspolitik« zu denken.  Peter Nowak

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