So schnell können Gesetzesverschärfungen über die Bühne gehen: Der Berliner Senat hat am Dienstag eine Verschärfung des Hochschulrechts beschlossen. Demnach können Studierende …
… schneller exmatrikuliert werden, wenn sie schwere Straftaten begangen haben.
Wie sich Studierendenverbände auf den Verfassungsschutz berufen
Einen Tag zuvor hatten die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) und die Studierendenverbände vom vier „Mitte“-Parteien in einer gemeinsamen Presseerklärung gefordert: „Extremistische und gewalttätige Studenten sollten mit einer Exmatrikulation als ultima ratio rechnen müssen.“
Die Rede ist in dem Schreiben von „extremistischen Gruppierungen, welche Vereinen und Organisationen nahe stehen, die vom Verfassungsschutz als ‚extremistisch‘ eingestuft oder von der Bundesregierung verboten worden sind“ – eine Straftat oder der Nachweis der Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung wäre demnach nicht einmal Voraussetzung, sondern lediglich die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes.
Unterschrieben hatten außer der JSUD der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), die Juso Hochschulgruppe und der Studierendenverband der SPD, der Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen, der politische Studierendenverband der FDP und Campusgrün als Dachverband grüner und grün-naher Gruppen an Hochschulen und Hochschulstandorten in Deutschland.
Senatsbeschluss: Exmatrikulation als Zusatzstrafe
So weit wie in dem Schreiben gefordert, ist der Berliner Senat nicht gegangen, er setzt strafbares Handeln voraus. Aber auch bei dem Senatsbeschluss handelt es sich um ein Sondergesetz – denn natürlich wird eine Straftat ohnehin sanktioniert; bei schweren Gewaltdelikten sollte eigentlich auch mit einem Haftbefehl zu rechnen sein. Die Exmatrikulation wäre dann eine Zusatzstrafe.
Schließlich wird in der Regel auch niemanden zusätzlich zu seiner Strafe verboten, einer Berufstätigkeit nachzugehen, wenn nicht gerade als „Organ der Rechtspflege“ oder in Bereichen, die eine Sicherheitsüberprüfung erfordern.
Nun gehört das Studium aber zur Ausbildung. Warum sollte die erschwert werden? Wenn das Leitbild die Resozialisierung, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, ist, wäre es geradezu widersinnig, Menschen den Hochschulzugang zu versperren. In Berlin war diese Exmatrikulationsmöglichkeit erst 2021 abgeschafft worden.
Antisemitischer Angriff mit Vorgeschichte
Der Grund für die Verschärfung liegt in einem antisemitischen Angriff eines propalästinensischen Studenten auf einen jüdischen Kommilitonen. Die Attacke fand außerhalb der Universität statt. Aber zur Vorgeschichte gehören die politischen Auseinandersetzungen an der Freien Universität nach dem Pogrom der Hamas am 7. Oktober und den Angriffen Israels auf den Gaza.
Während der propalästinensische Student sich an Protestaktionen gegen Israel beteiligte, war der von ihm angegriffene Student ein bedingungsloser Verteidiger der israelischen Regierung. Es war bereits auf dem Campus zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen ihnen gekommen. Wäre da die Verschärfung der Exmatrikulationsmöglichkeiten eine Lösung?
Oft wird ein konsequenteres Einschreiten der Unis gefordert. Unklar bleibt aber, was sie konkret tun sollen. Flächendeckende Hausverbote für Mitglieder bestimmter propalästinensischer Gruppen scheiden aus, denn die Gefahrenprognose muss tatsachenbasiert und einzelfallbezogen sein.
Meinungs- und Versammlungsfreiheit an Hochschulen
Zudem hat die Hochschule die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu beachten. Hörsaal-Veranstaltungen können die Unis mit Hinweis auf das Hausrecht untersagen, Campus-Versammlungen hingegen deutlich schwieriger. Werden Straftaten begangen oder besteht Gefahr für andere Studierende, gehört es zur Pflicht der Universität, die Polizei zu rufen. Vielen reicht das nicht.
Das liegt auch an einem postmodernen Trend, andere Positionen zu verschiedenen gesellschaftspolitischen Fragen als Angriff auf sich oder die eigene Identität zu verstehen. Da werden zum Beispiel Zitate aus historischen Texten, in denen das „N-Wort“ ausgeschrieben ist, als Angriff auf die Identität schwarzer Menschen gesehen.
Kritische Positionen werden dann nicht als Aufforderung zur Widerrede und zum Dialog verstanden, sondern müssen möglichst verschwinden. In einer Zeit, in der so viel von Fake News und Desinformation geredet wird, gibt es scheinbar nicht mehr die Möglichkeit, eine Position nicht zu teilen, sich aber als guter Demokrat dafür einzusetzen, dass sie der Kontrahent vertreten kann.
Das gilt natürlich auch für die unterschiedlichen Positionen zu Israel. Es wäre wünschenswert, wenn gerade für Hochschulen wieder Orte des Streits und auch der heftigen Polemik werden würden, wo staatsautoritäre Angriffe möglichst abgewehrt werden.
Universitäten als Orte des Streits und der Diskussion
Das ist nun bestimmt kein Plädoyer dafür, antisemitische Tendenzen auch an den Hochschulen zu tolerieren. Aber genau zu diesem Zweck sollte gerade an den Hochschulen darüber gestritten werden, wo Israelkritik regressiv wird und in Antisemitismus umschlägt.
Das ist auf jeden Fall sinnvoller, als den Autoritarismus des Staates zu stärken. Das ist auch die Position vieler ASten und Studierendenverbände, die in einer Wiedereinführung der Exmatrikulationsklausel gerade keinen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus sehen.
Sie fürchten, dass die Klausel gegen politisch aktive Studierende zur Anwendung kommt. Der unreflektierte Umgang mit dem Begriff des Extremismus lässt vermuten, dass diese Befürchtungen nicht grundlos sind.
Warum die Repression auch jüdische Menschen treffen kann
Paradoxerweise könnte eine solche Maßnahme auch jüdische Studierende treffen, die sich kritisch zu Israel äußern. Die stehen aktuell in Berlin unter Druck, wie die antizionistische Gruppe „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“, der aktuell das Konto bei der Berliner Sparkasse gesperrt worden ist. Das Geldinstitut hat nach Angaben der Gruppe zudem eine Mitgliederliste mit vollständigen Namen und Anschriften angefordert.
Man kann – wie der Autor – die Positionen dieser Gruppe sehr klar ablehnen und trotzdem dagegen kämpfen, dass jüdische Menschen in Deutschland wieder sanktioniert werden und dass dies im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus geschieht. Tatsächlich gibt es eben nicht nur den israelbezogenen Antisemitismus, sondern auch den klassischen Antisemitismus, von dem Jüdinnen und Juden betroffen sind, die Israel nicht als ihren Wunschstaat anerkennen.
Das Ressentiment vom staatenlosen Juden
Gegen sie richtet sich heute das antisemitische Ressentiment vom staatenlosen Juden. Es ist schon merkwürdig, dass manche verdienstvolle Kämpfer gegen den israelbezogenen Antisemitismus diese anderen Formen nicht mehr erkennen wollen. Dagegen muss, wer die Parole „Gegen jeden Antisemitismus“ ernst nimmt, auch die Rechte von antizionistischen Jüdinnen und Juden wie die der „Jüdischen Stimme“ hierzulande verteidigen, auch wenn man sie nicht billigt.
Dagegen beteiligen sich leider auch israelsolidarische Kreise an der Marginalisierung linker Jüdinnen und Juden in Deutschland. Ein Beispiel ist eine Broschüre eines Instituts für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung über die „Jüdische Stimme“. Diese wird darin als antizionistische Randgruppe bezeichnet, die nicht für die Mehrheit der jüdischen Menschen sprechen kann. Nur haben Gruppen wie diese gar nicht den Anspruch, für die Mehrheit der jüdischen Menschen in Deutschland zu sprechen.
Doch warum wendet eine Organisation, die sich dem Kampf gegen jeden Antisemitismus verschrieben hat, diesen Vorsatz nicht auch auf die antizionistischen Juden an? Wäre ihre Marginalität nicht gerade ein Grund, für deren Rechte besonders einzutreten? Wo bleibt der Kampf um die Rechte der Minderheiten, wenn es um jüdische Stimmen in Deutschland geht?
PEN will Rechte aller jüdischen Menschen verteidigen
Der PEN-Berlin hat im Dezember letzten Jahres einen sehr klugen Beschluss gefasst, für die Rechte aller jüdischen Menschen einzutreten – derer, die Israel verteidigen, ebenso wie derer, die diesen Staat kritisieren. Das ist auch die einzige vernünftige Position, wenn man den Ansatz, „Gegen jeden Antisemitismus“ ernst nimmt.
Gerade die israelsolidarische Jungle World hat mit dem Nachdruck eines Textes von Ivan Segre gezeigt, wie eine israelsolidarische Position möglich ist, die sowohl die Hamas als auch die in Teilen faschistische Regierung Israels kritisiert.
Es wird sicher einige geben, die wegen dieses Abdrucks sogar gegen die Jungle World den Vorwurf des Antisemitismus erheben. Aber dagegen muss man argumentativ vorgehen. Segre sieht die Hoffnung in einem Bündnis von jüdischen Linken und progressiven Kräften im Iran und dem arabischen Raum.
Eine solche Utopie kann auch Hoffnung machen und zur Erkenntnis beitragen können, dass Gruppen wie die Hamas kein „palästinensischer Widerstand“ sind, der in irgendeiner Form Verständnis verdient, sondern der Todfeind aller Menschen, die für Freiheit und Glück eintreten, in Israel und überall, dass aber auch die Ultrarechten in Israel keine progressiven Lösungen anbieten können.
Der Autor hat in der Edition assemblage das Buch „Die kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken“ veröffentlicht. Peter Nowak