Alexej Nawalnys Tod erschüttert die liberale Welt. Ist er Russlands neuer Freiheitsmärtyrer? Wofür er stand und wofür er sterben musste.

Alexej Nawalny – ein Märtyrer für die Freiheit?

Egal, wie man zum Programm von Nawalny steht, ist er auch ein Symbol für den russischen Staatsautoritarismus, der jede Alternative zu Putin kriminalisiert. Dabei entwickelte Nawalny seine Gefährlichkeit für die gegenwärtige Herrschaft gerade, weil er sich selbst als Alternative innerhalb des russischen Nationalismus verstand.

Am Freitagabend war der Boulevard Unter den Linden in Berlin weiträumig abgesperrt. Einige Tausend Menschen wollten nach der Meldung vom Tod des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny ihre Wut und ihre Trauer vor die russische Botschaft in Berlin tragen. Dort dominierten die Rufe …

… „Der Mörder ist Putin“, aber auch sachlichere Parole wie „Mord auf Raten“.

Das war eine nachvollziehbare Reaktion. Denn egal, wie man zum Programm von Nawalny steht, ist er auch ein Symbol für den russischen Staatsautoritarismus, der jede Alternative zu Putin kriminalisiert. Dabei entwickelte Nawalny seine Gefährlichkeit für die gegenwärtige Herrschaft gerade, weil er sich selbst als Alternative innerhalb des russischen Nationalismus verstand.

Zumindest in den ersten Jahren stand Nawalny eindeutig rechts von Putin, wenn er beispielsweise gegen Einwanderer aus dem Kaukasus rassistisch agierte.

Nawalnys Vermächtnis: Russlands Weg ohne Putin

Dass er in den vergangenen Jahren als Gesicht der Opposition gegen Putin galt, dürfte auch mit der Entwicklung innerhalb einer Bewegung zu tun haben, die vor allem eine Parole eint: ein Russland ohne Putin.

Da konnten sich dann auch Linksliberale auf Nawalny einigen, der mit seiner Taktik der pragmatischen Stimmabgabe bewies, dass es falsch gewesen wäre, ihn auf die Anfangsjahre als nationalistischen Ideologen zu reduzieren. So rief Nawalny seine Anhänger auf, in allen Wahlkreisen den Kandidaten, die Stimmen zu geben, die in Opposition zu Putin standen und die Chance hatten, zu gewinnen.

So kam es, dass erklärte Antikommunisten sogar manchmal aus taktischen Gründen die sozialkonservative Kommunistische Partei ankreuzten. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass es an der Basis dieser Kommunistischen Partei, die sonst viele außenpolitische Positionen von Putin unterstützt, auch eine Strömung existiert, die sich klar gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine ausspricht.

Darüber, wie überhaupt über die verschiedenen Strömungen der russischen Antikriegslinken, hat der Historiker Ewgeniy Kasakow in seinen im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Spezialoperation und Frieden“ informiert, das trotz mancher aktuellen Veränderungen noch immer eine wichtige Quelle ist, wenn man mehr über russische Antikriegsbewegung von links wissen will.

Warum Nawalny für den Kreml eine Bedrohung darstellte

Ein solches Buch müsste es auch über die rechte und liberale Anti-Putin-Opposition geben. Es könnte dann vielleicht erklären helfen, wie ein Nawalny zum Hauptfeind des Putin-Regimes werden konnte und warum er weiter als Gefahr für die gegenwärtige Herrschaft in Russland betrachtet wurden.

Um das festzustellen, braucht man sich nicht an Spekulationen über die genauen Todesumstände von Nawalny zu beteiligen. Es reicht die massive Repression zu betrachten, mit denen Nawalny in den letzten Jahren überzogen wurde. Eine Erklärung könnte in dem besonderen Charakter des Putin-Systems liegen, den der Politikwissenschaftler Thorsten Fuchshuber mit Verweis auf Adorno als Racket-Staat bezeichnete.

Ein zentraler Unterschied zwischen dem Racket-Staat zu den bürgerlichen Demokratien besteht darin, dass dort ein Machtwechsel durch Wahlen, die ja zur Stabilität bürgerlicher Herrschaft beitragen, nicht vorgesehen sind. Wer sich dann bemüht, eine Wahlalternative zu werden, wird zum Staatsfeind erklärt und dann schnell zum „ausländischen Agenten“, eine besondere Unterdrückungsform autoritärer Herrschaft, wie sie auch unter Stalin üblich war.

Machtwechsel durch Wahlen nicht vorgesehen

Das würde erklären, warum das Regime den bürgerlichen Kontrahenten Nawalny zum Staatsfeind erklärte. Er könnte schnell einen Nachfolger bekommen, denn Boris Nadeschin darf nicht gegen Putin kandieren, weil er tatsächlich mehr als ein Zählkandidat wäre.

Dabei rechnet niemand damit, dass er Putin hätte besiegen können. Aber schon ein Drittel der Wählerstimmen wäre im Racket-Staat Russland eine Kampfansage. Das macht auch den Unterschied zur autoritären Herrschaft in der Türkei aus, wo Erdoğan noch um Stimmen kämpfen musste.

Sollte Nadeschin, der ebenfalls Teil des russischen Nationalismus ist, nicht klein beigeben, könnte bald die Staatsrepression einsetzen, die nicht nur Unterschriften für ungültig erklärt. Diese Unfähigkeit eine Konkurrenz im System zu akzeptieren, ist aber keine Stärke, sondern eine Schwäche des Putin-Regimes. Denn gerade diese Konkurrenz würde eine gewisse Stabilität der Herrschaft bedingen.

Die Zukunft der russischen Opposition nach Nawalny

Putin und sein engster Kreis wissen wahrscheinlich, wie schwach ihre Herrschaft in Wirklichkeit ist. Das wurde in den wenigen Stunden deutlich, als der Ex-Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin Richtung Moskau zog und es keinen Widerstand gab. Auch Prigoschin überlebte seinen Versuch, die Macht in Moskau herauszufordern, nicht lang.

Die Angst, dass sich die Anhänger Prigoschins und Nawalnys verbinden, die ja unterschiedliche Spielarten des russischen Nationalismus waren, scheint die Machtzirkel in Moskau zu beherrschen. Das zeigt sich noch in der Härte, mit denen kleinste Zeichen von Trauer für Nawalny in verschiedenen russischen Städten unterdrückt werden.

Denn es sind eben nicht nur die klassischen Feindbilder des Putin-Regimes, die da Blumen niederlegen. Es sind auch Soldatenmütter, die nicht generell gegen den Krieg waren, aber die Rekrutierungsmethoden anprangern, mit denen die Menschen in Russland in den Krieg und oft in den Tod gezwungen werden.

Es gibt viele Arten zu töten

Wenn jetzt also russische Bürger im In- und Ausland nach dem Tod von Nawalny auf die Straße gehen, ist das sehr verständlich. Denn auch hier gilt, was schon in den 1970er-Jahren linke Staatskritiker in vielen Ländern so formulierten: Es gibt viele Arten zu töten.

Wenn Menschen in Gefängnissen sterben, muss es nicht immer einen direkten Mordbefehl geben. Es kann auch jemand an den harten Haftbedingungen sterben und somit auf Raten ermordet worden sein. Das kann man im Fall von Nawalny sagen, ohne über die genauen Todesumstände zu spekulieren.

Das macht auch den Unterschied zu Meldungen, die auch in Radio- und Fernsehkommentatoren hört, die aber den Tod Nawalnys gleich wieder politisch instrumentalisiert, um die Rüstungspolitik und damit eigene imperialistische Interessen zu rechtfertigen.

Dafür steht exemplarisch eine Erklärung des Zentrums Liberale Moderne, das von Mitgliedern der Grünen gegründet wurde. Dort wird nicht nur der russische Staat völlig berechtigt für den Tod von Nawalny verantwortlich gemacht, weil er in Gefangenschaft dieses Staats gestorben ist. Dort heißt es vielmehr:

Wann versteht der Westen endlich, dass wir es im Kreml mit einem Mörder zu tun haben, der keinerlei Skrupel kennt? Die Reihe der ermordeten russischen Oppositionellen ist lang. Schon vor 20 Jahren warnte der russische Menschenrechtsanwalt Jurij Schmidt, dass mit Putin „ein neuer Stalin“ an die Macht gekommen sei. Gewalt nach innen und nach außen gehen Hand in Hand. Auch deshalb muss die Aggression gegen die Ukraine scheitern. Erst eine Niederlage in der Ukraine öffnet die Chance auf eine demokratische Wende in Russland.Zentrum Liberale Moderne

Nicht immer werden Mörder in Regierung so klar geächtet

Es wird eben nicht zwischen einem direkten Tötungsbefehl oder Tötung durch Haftbedingungen unterschieden. Und Mörder in Regierungsverantwortung werden längst nicht immer so klar benannt. So wird der saudische Feudalherrscher Kronprinz Mohammed bin Salman längst wieder weltweit umworben, obwohl er persönlich für den Tötungsbefehl des kritischen Journalisten Khashoggi verantwortlich gemacht wird.

Dabei handelt es sich längst nicht um einen Einzelfall. In Ländern des globalen Westens können Herrscher, die blutig gegen die Opposition im Land vorgehen, durchaus auf Verständnis zähen.

Vor 50 Jahren beim Pinochet-Putsch gab es direkte Unterstützung von Geheimdiensten der USA. Auch der Mordfeldzug gegen die linke Opposition in Indonesien vor 60 Jahren fand in vielen Ländern des globalen Westens mehr als nur lobende Worte. Heute wären die Proteste dagegen sicher stärker, weil durch die Medien schneller Detail der Staatsverbrechen bekannt würden.

Doch noch vor einigen Jahren konnte in Ägypten eine islamistische Bewegung auch mittels Mord und Totschlag von der Macht verdrängt werden. Dass der gewählte, aber durch einen Putsch gestürzte Präsident Mohammed Mursi in Haft starb, sorgte zumindest in globalen Westen für wenig Aufregung. Der dafür verantwortliche ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi bekommt Zustimmung vom globalen Westen, weil er angeblich die Stabilität im Land garantiere.

Solidarität über Grenzen hinweg: Die globale Bedeutung von Nawalnys Kampf

Wenn jetzt also jetzt der Tod von Nawalny genutzt wird, um die Kriegsfähigkeit gegen Russland zu erhöhen, dann sind weniger Menschenrechte der Grund. Vielmehr geht es hier um geopolitischen Interessen zwischen verfeindeten Nationalismen, die sich im Umgang mit der Opposition gar nicht so stark unterscheiden.

Nur wenige Hundert Meter entfernt von den Trauerkundgebungen für Nawalny vor der russischen Botschaft in Berlin machten am Brandenburger Tor Solidaritätsgruppen auf das Schicksal des Wikileaks-Gründers Julian Assange aufmerksam. In den nächsten Tagen wird entschieden, ob Assange freigelassen oder an die USA ausgeliefert wird.


Vor 50 Jahren beim Pinochet-Putsch gab es direkte Unterstützung von Geheimdiensten der USA. Auch der Mordfeldzug gegen die linke Opposition in Indonesien vor 60 Jahren fand in vielen Ländern des globalen Westens mehr als nur lobende Worte. Heute wären die Proteste dagegen sicher stärker, weil durch die Medien schneller Detail der Staatsverbrechen bekannt würden.

Doch noch vor einigen Jahren konnte in Ägypten eine islamistische Bewegung auch mittels Mord und Totschlag von der Macht verdrängt werden. Dass der gewählte, aber durch einen Putsch gestürzte Präsident Mohammed Mursi in Haft starb, sorgte zumindest in globalen Westen für wenig Aufregung. Der dafür verantwortliche ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi bekommt Zustimmung vom globalen Westen, weil er angeblich die Stabilität im Land garantiere.

Solidarität über Grenzen hinweg: Die globale Bedeutung von Nawalnys Kampf

Wenn jetzt also jetzt der Tod von Nawalny genutzt wird, um die Kriegsfähigkeit gegen Russland zu erhöhen, dann sind weniger Menschenrechte der Grund. Vielmehr geht es hier um geopolitischen Interessen zwischen verfeindeten Nationalismen, die sich im Umgang mit der Opposition gar nicht so stark unterscheiden.

Nur wenige Hundert Meter entfernt von den Trauerkundgebungen für Nawalny vor der russischen Botschaft in Berlin machten am Brandenburger Tor Solidaritätsgruppen auf das Schicksal des Wikileaks-Gründers Julian Assange aufmerksam. In den nächsten Tagen wird entschieden, ob Assange freigelassen oder an die USA ausgeliefert wird.