Vermeintliche Ukraine-Solidarität wird wieder aggressiv – auch gegen die Menschen, die nicht in diesem Krieg kämpfen wollen. Egal auf welcher Seite. Ein Kommentar.

Wehrpflichtige Ukrainer: Kampf um Ruinen statt Recht auf Kriegsdienstverweigerung?

Es braucht eine Kampagne für den Schutz für alle, die in Russland, Belorussland und der Ukraine den Kriegsdienst verweigern. Das wäre die beste Antwort auf die Angriffe auf das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, von welcher Seite sie auch immer kommen. Denn Menschen gegen ihren Willen zu Kriegs- und Militärdiensten zu zwingen, ist eine Menschenrechtsverletzung – und von den Vereinten Nationen klar als solche definiert. Das sollte ohne Ausnahme gelten – und ohne "Wenn und Aber". Politiker, die daran rütteln, sollten antimilitaristischen Gegenwind zu spüren bekommen – und alle Betroffenen sollten politisches Asyl erhalten.

Es sind nur noch Ruinen übrig von dem ukrainischen Städtchen Awdijiwka, das die russische Armee jetzt erobert haben will. Dafür sind auf beiden Seiten in den letzten Wochen Tausende Menschen gestorben – und solche umkämpften Ruinen gibt es massenhaft in der Ukraine. Vor diesem Szenario eines Massensterbens im Kampf um Ruinen haben seit Monaten viele gewarnt, die für einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland eingetreten sind. Bis vor einigen Monaten sind in Deutschland alle, die solche Forderungen erhoben haben, als Handlanger des russischen Präsidenten Wladimir Putin beschimpft worden. Damals träumte man noch von Jungle World bis FAZ von dem …

… schnellen Sieg des gegenwärtigen ukrainischen Machtblocks über Russland. Da gab es schon alle möglichen Szenarien, wie es dann weitergehen könnte und in welchen Grenzen Russland dann überhaupt noch Bestand haben sollte.

Erst ein Hauch von 1914 – dann Ernüchterung

Mit dem Schlagwort der „Dekolonisierung“ wurden über ein Jahrhundert alte Pläne führender deutscher Kapitalgruppen zur Zerstückelung Russlands zeitgemäß aufgepeppt, selbst bei ehemaligen Linken diskutiert.

Da lag mehr als auch ein Hauch von 1914 in der Luft – auch im Ersten Weltkrieg waren die expansionistischen Kriegsziele so lange diskutiert worden, bis man feststellte, dass man gerade den Krieg verliert. Auch im Fall des Ukraine-Konflikts ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt.

Die Hoffnung auf einen Sieg der Ukraine schwindet, meldet die Frankfurter Rundschau. Es fehlt an Militärhilfe und auch an Soldaten. Dabei ist die ukrainische Rekrutierungspolitik berüchtigt.

Sind wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland noch sicher?

Immer wieder beklagen Wehrpflichtige, dass sie von der Straße weg zum Militär geschickt werden. Nicht wenige haben deshalb rechtzeitig das Land verlassen und wollen im Ausland abwarten, wie sich der Konflikt entwickelt.

Auf sie zielt die Kampagne der ukrainischen Regierung, die diese Männer auffordert, zurückzukehren und ihre sogenannte nationale Pflicht tun, also im nicht unwahrscheinlichen Fall weitere Ruinendörfer bis zum Tod zu verteidigen. Das führte verständlicherweise zu Verunsicherung bei den Betroffenen auch in Deutschland.

Erst kürzlich wurde erstmals ein russischer Kriegsgegner aus Armenien nach Russland abgeschoben. Es braucht eine Kampagne für den Schutz für alle, die in Russland, Belorussland und der Ukraine den Kriegsdienst verweigern. Das wäre die beste Antwort auf die Angriffe auf das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, von welcher Seite sie auch immer kommen.

Wie Schwäche zu Aggressivität führt

Aber zu einer endgültigen Beruhigung gibt es keinen Grund. Denn je nach der Lage an der russisch-ukrainischen Front wird die Diskussion wiederaufflammen. Sollte die deutschfreundliche ukrainische Seite weiter in die Defensive geraten, wird der Druck auf die ukrainischen Wehrpflichtigen in Deutschland weiter zunehmen.

Schon heute wollen Politiker der CDU mit Sanktionen gegen ukrainische Militärverweigerer vorgehen. So solle ihnen beispielsweise die Unterstützung gestrichen werden. Das wäre ein massiver Angriff auf das Recht, Militär- und Kriegsdienste auf welcher Seite auch immer zu verweigern.

Der eng mit der Rüstungsindustrie vernetzte CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter forderte unlängst in einem Interview im Deutschsandfunk, die ukrainische Regierung bei der Rekrutierung von in Deutschland lebenden Wehrpflichtigen zu unterstützen.

Aushungern statt Abschieben?

Eine direkte Abschiebung ist rechtlich aktuell gar nicht möglich. Gemäß Kiesewetter soll der Druck auf die in Deutschland lebenden Wehrpflichtigen durch Kürzungen des Bürgergelds erhöht werden.

Wenn in der Ukraine – ich habe selbst mit solchen Frauen gesprochen – ihre Männer zehn, zwölf, 14 Monate an der Front sind und sie nicht einmal Chancen auf Heimaturlaub haben, dann ermüden die ganzen, dann gibt es erhebliche Traumatisierungen, und es wäre sehr hilfreich, wenn es ein Regierungsabkommen gäbe, dass diesen jungen Männern oder auch Männern im älteren Alter die Rückkehr ermöglicht wird, ohne dass sie an die Front gehen, wenn sie nicht wollen, und zweitens, dass wir hier das Bürgergeld für wehrfähige Männer schlichtweg kürzen.Roderich Kiesewetter (CDU) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk

In dem Interview spricht sich Kiesewetter für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine auch aus Deutschland aus und erklärt auf die Frage, ob es noch realistisch ist, dass die gegenwärtige ukrainische Regierung auch die Halbinsel Krim militärisch zurückerobern kann: „Das liegt an uns.“

Deutschlands Einfluss und seine Bedrohungsszenarien

Damit macht Kiesewetter auch deutlich, dass die formulierten Maximalziele des deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus auch von Deutschlands Kriegsfähigkeit und -bereitschaft abhängen. Um die Bevölkerung entsprechend auf diese Kriegsziele einzustimmen, wird eine umfassende Bedrohungslage aufgebaut:

Zunächst müssen wir politisch begreifen, dass Putin Ukraine nur als Zwischenschritt sieht und in einem weiteren tatsächlich die ehemaligen Sowjetrepubliken Moldau, die in die EU wollen, beziehungsweise die baltischen Staaten, Estland, Lettland, Litauen, in das russische Staatsgebiet einverleiben will. Das sind ganz klar erklärte Kriegsziele und er bereitet sich so vor, dass er in den nächsten Jahren, sollte es zu einem Waffenstillstand kommen, den Krieg nach kurzer Erholung fortsetzen kann.Roderich Kiesewetter

Schutz für Kriegsgegner und Verweigerer auch aus Russland

Hier wird jede Diskussion um einen Waffenstillstand sofort wieder als Unterstützung Russlands ausgelegt und damit als Feindbegünstigung ausgeschlossen.

Solche Äußerungen eines seit Jahren über die Köngisbronner Gespräche mit der Rüstungsindustrie vernetzten Politikers machen auch deutlich, dass die gegenwärtige militärische und politische Schwäche des prodeutschen ukrainischen Nationalismus bei manchen der deutschen Unterstützer zu verschärfter Aggressivität führt – und damit zu einer Verlängerung und Verschärfung des Krieges führen kann.

Schließlich wäre eine Niederlage des prodeutschen ukrainischen Nationalismus auch ein scharfer Dämpfer für den von der politischen Klasse stets geleugneten und im „Werte“-Gewand umso härter auftretenden deutschen Imperialismus. Um die immer wieder vielzitierten Menschen in der Ukraine geht es dabei am wenigsten.

Wenn es wirklich um die Menschen ginge

Das haben Kiesewetter und Co. deutlich ausgedrückt, indem sie ukrainische Männer unter Druck setzen wollen, notfalls bis zum Tod zu kämpfen. Für eine gesellschaftliche Linke wäre es eine günstige Gelegenheit zu zeigen, dass es ihnen um die Menschen und nicht um Kriege aus welchen Interessen auch immer geht.

Das bedeutet, alle ukrainischen Wehrpflichtigen zu unterstützen, die sich nicht totschießen lassen wollen. Das bedeutet natürlich auch, alle Kriegs- und Militärdienstgegner aus Russland und Belarus zu unterstützen und dafür zu kämpfen, dass sie hier Asyl bekommen, wie es die Organisation Connection e. V.fordert.

Erst kürzlich wurde erstmals ein russischer Kriegsgegner aus Armenien nach Russland abgeschoben. Es braucht eine Kampagne für den Schutz für alle, die in Russland, Belorussland und der Ukraine den Kriegsdienst verweigern. Das wäre die beste Antwort auf die Angriffe auf das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, von welcher Seite sie auch immer kommen.

Kriegsdienstverweigerung ist Menschenrecht

Denn Menschen gegen ihren Willen zu Kriegs- und Militärdiensten zu zwingen, ist eine Menschenrechtsverletzung – und von den Vereinten Nationen klar als solche definiert. Das sollte ohne Ausnahme gelten – und ohne „Wenn und Aber“. Politiker, die daran rütteln, sollten antimilitaristischen Gegenwind zu spüren bekommen – und alle Betroffenen sollten politisches Asyl erhalten.

Nebenbei bemerkt wäre eine solche Forderung auch ein probates Mittel, um Rechte aus friedensbewegten Kreisen herauszuhalten.

Der Autor hat mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine“ herausgegeben.

(Peter Nowak)