Georg K. Glaser: Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht. ça-ira-Verlag, Freiburg 2022. 592 Seiten. ca. SFr. 26.00. ISBN: 978-3-86259-182-4.

Randgänger der Literatur

Ein neuherausgegebener Geheimtipp macht den politischen Alltag zwischen den 1920er Jahren und dem NS zugänglich. Glaser thematisiert schon früh die Verhältnisse im NS-Regime, vor denen auch viele Kommunist*innen rat- und hilflos standen. Warum machten auch so viele arme Menschen so bereitwillig im NS mit? Warum blieben die wenigen, die Widerstand leisteten, wozu die KPD von Anfang an gehörte, so tragisch isoliert und allein? Auf diese Fragen gibt Glaser in seinen Buch einige Antworten.

Bei der Trauerfeier für den Berliner Erwerbslosenaktivisten Gerd Thomas Gabler im Juli 2021 fiel eine Karaffe auf, aus der die Freund*innen auf den verstorbenen anarchistischen Genossen tranken. Einige wussten noch, dass sich Gabler diese Karaffe von dem Kupferstecher Georg K. Glaser persönlich hatte anfertigen lassen. Dieser lebte bis zu seinem Tod 1995 in den vom ihm gegründeten Kupfer- und Schmiedewerkstätten in Paris. Nach 1968 wurde er gelegentlich von undogmatischen Linken wie eben Gerd Thomas Gabler besucht, die von dem politischen und literarischen Leben des alten Kunsthandwerkers wussten. Es waren vor allem die wenigen Leser*innen von Glasers Buch „Geheimnis und Gewalt“, das erst …

… 1989 in der vollständigen Fassung in deutscher Sprache von Michael Rohrwasser in der Büchergilde Gutenberg herausgegeben wurde. Zuvor war es bereits 1951 in einem obskuren antikommunistischen Verlag erschienen, in gekürzter Fassung voller Druckfehler, wie Michael Rohrwasser in seinem Nachwort schrieb. Gerade weil das Buch in deutscher Sprache nicht vollständig zu lesen war, bekamen Buch und Autor einen besonderen Status, wie Rohrwasser 1989 feststellte:

„‚Geheimnis und Gewalt‘ hat inzwischen eine heimliche Berühmtheit erlangt; der Titel ist zum Begriff geworden. Diesen Ruf verdanken Buch und Autor nicht den Herausgebern von Literaturlexika oder der Universitätsgermanistik, sondern einigen Randgängern der Literatur wie Erich Kuby, Walter Dirks, Peter Härtling, Uwe Schweikert und Harun Farocki.“ (S. 560) Wobei sich allerdings schon die Frage stellt, warum Rohrwasser den in den frühen Nachkriegsjahren im Kulturbetrieb einflussreichen Mitherausgeber der Frankfurter Hefte Walter Dirks und den regelmässigen Stern-Kolumnisten Erich Kuby unter „Randgänger der Literatur“ subsumiert.

Tatsache aber ist, dass „Geheimnis und Gewalt“ in allen Teilen Nachkriegsdeutschlands nicht wohlgelitten war. Der Grossteil des literarischen Milieus in der BRD der ersten Nachkriegsjahre wollten nichts von einem Autoren lesen, der als entschiedener Nazigegner schliesslich die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und auch nach 1945 Franzose blieb. Für die DDR hingegen war Glaser ein Provokateur, weil „Geheimnis und Gewalt“ auch eine beständige Auseinandersetzung mit dem Parteikommunismus ist, die sich durch das gesamte Buch zieht.

Dabei lässt es sich aber nicht mit Texten von Ex-Kommunist*innen vergleichen, die vor allem ihre Mitgenoss*innen angreifen und sich als geläuterte Verteidiger*innen der bürgerlichen Demokratie feiern lassen. Darin liegt sicher der Hauptgrund, warum Glasers Buch lange Zeit wie ein Geheimtipp gehandelt wurde. Nachdem es in der Büchergilde Gutenberg und dann 1990 als „Die Biographie unseres Jahrhunderts“ im Verlag Stroemfeld/Roter Stern beworben wurde, war es schnell wieder vergessen. Nur ein kleiner Kreis wie der oben erwähnte Thomas Gerd Gabler suchte den Kontakt zum Autor und reiste sogar in seine Werkstätten nach Paris. Jetzt hat der Freiburger ça ira-Verlag dankenswerte Weise „Geheimnis und Gewalt“ erneut herausgebracht und ermöglicht damit, das Buch wieder oder neu zu entdecken. Dabei wird es nur auf den ersten Blick überraschen, dass ein Verlag, der vor allem ideologiekritische Werke verlegt, nun auch diesen Roman in sein Programm aufgenommen hat. Denn Glasers Buch ist eben keine Biographie, sondern eine komplexe Auseinandersetzung mit Alltag und Ideologie von Ende der 1920er bis in die 1940er Jahre.

Kommunistische Hilflosigkeit

Auch wenn der Ich-Erzähler durchaus Elemente aus Glasers Leben enthält, handelt es sich doch grösstenteils um Fiktion. Vor allem war Glaser nicht für den Tod eines bekannten NSDAP-Funktionärs in seinem Wohnort verantwortlich, den der Ich-Erzähler im Roman in Panik im Frühsommer 1933 erschossen hat, nachdem dieser ihn bei einer Flugblattaktion vor der grossen Fabrik gestellt hatte. Diese Aktion hat im Roman eine zentrale Bedeutung. Hier setzt sich der Autor mit der Taktik der schon illegalisierten KPD auseinander, durch gefährliche symbolische Aktionen Mitglieder zu gefährden. Zudem kritisiert Glaser, dass die KPD das Wesen der vom NS durchgesetzten deutschen Volksgemeinschaft nicht verstanden hatte:

„Es wurde uns aufgetragen, die jungen Menschen, denen es Auszeichnung und Heldentat war, für das Neue Reich zu bluten, schaffen und hungern zu dürfen, denen das Herz begeistert klopfte, wenn sie ein Gewehr tragen durften oder einen Kampfwagen aus der Nähe sahen mit der Losung ‚Butter an Stelle der Kanonen’ zum Widerstand aufzurufen. Es wurde befohlen, von denselben Arbeitern, die seit Jahren endlich wieder ein Werkzeug zur Hand nehmen durften, den ‚Streik gegen die Handlanger der Ausbeuter’ zu fordern.“ (S. 154)

Hier erfasst Glaser schon früh die Verhältnisse im NS-Regime, vor denen auch viele Kommunist*innen rat- und hilflos standen. Warum machten auch so viele arme Menschen so bereitwillig im NS mit? Warum blieben die wenigen, die Widerstand leisteten, wozu die KPD von Anfang an gehörte, so tragisch isoliert und allein? Auf diese Fragen gibt Glaser in seinen Buch einige Antworten. Dabei halfen ihm seine eigenen Erfahrungen, die in das Buch einflossen und dafür sorgen, dass die Figuren in „Geheimnis und Gewalt“ so lebendig wirken.

Ohne Regeln und Konventionen

Der in Rheinhessen geborene Glaser rebellierte früh gegen den tyrannischen Vater, der schon in den 1920er Jahren Mitglied der NSDAP wurde. „Er hat acht Kinder in die Welt gesetzt und alles getan um sie wieder abflatschen zu lassen. Meine älteste Schwester ist allein seinen furchtbaren Bemühungen zum Trotze am Leben geblieben, aber für immer entstellt.“ (S. 9) Gleich die ersten zwei Sätze des Romans zeigen mit welcher klaren Sprache, frei von bürgerlichen Mythen und Illusionen der Autor seinen Vater beschreibt. Dieser Sound wird die Leser*innen über die 560 Seiten des Romans begleiten. Ohne Illusionen und falsche Sentimentalitäten berichtet Glaser über seine Jugendzeit, nachdem er aus dem Elternhaus mehrmals geflohen war und verschiedene Gruppen von Wohnungs- und Obdachlosen der damaligen Zeit kennenlernte. Auch dort erfuhr Glaser schnell, dass nur das Recht des Stärkeren gilt.

Der junge Glaser politisierte sich auf der Strasse und vor allem in einem der Erziehungsheime mit reformerischem Anspruch, das im Roman den Namen Billigheim trägt. Hier findet der junge Ich-Erzähler Anschluss an verschiedene Gruppen, die die Gesellschaft verändern wollen – irgendwie. Auch mit anarchistischen Gruppen hat er viel Kontakt. Doch weil die ihm auf seine Frage, wie denn ihre Gesellschaft nach einer Revolution aussehen soll, keine Antwort geben konnten oder wollten, sympathisiert er schliesslich mit den Kommunist*innen.

Im Billigheim inszeniert er mit Gleichgesinnten eine Heimrevolte. Unterstützt wird er dabei von der KPD, die aber damals vor linken Abweichungen im Protestflugblatt warnt. Doch vorerst wird der Ich-Erzähler für die Parteizeitung von den Protesten der frühen 1933er Jahre schreiben und auch erste Erfahrungen im Bund Revolutionärer Schriftsteller*innen sammeln. Eher beiläufig erfährt er, während er für die KPD-Zeitung einen Hungermarsch von Erwerbslosen in Darmstadt beobachtet, das Hitler Reichskanzler wurde. So werden wir langsam in die neue Zeit geführt, in der die Regeln und Erfahrungen des bisherigen Lebens nicht mehr gelten werden, wie viele Antifaschist*innen bald schmerzlich erfahren sollten. Der Ich-Erzähler spart nicht mit Kritik an seinen Genoss*innen, vor allem aber auch an sich selber. Dabei bewahrt er die Position eines Rebellen, der gegen alle Konventionen und Regeln angeht, die ihm nicht einsichtig sind.

So empört er sich, dass die KPD-Propaganda nach dem Reichstagsbrand den holländischen Rätekommunisten Marinus van der Lubbe zum Werkzeug der Nazis stempelt und nicht gegen seine Hinrichtung 1934 protestiert. Auch wenn bis heute über die Rolle der Naziführung und auch des jungen Holländers beim Reichstagsbrand viele Unklarheiten bestehen, hat Glaser recht, wenn er die auch homophobe Kampagne gegen van der Lubbe nicht mitmacht. Glasers unter den Titel „Marinus van der Lubbe“ veröffentlichtes Drama ist nie aufgeführt worden. Das K. im Namen steht nicht für Karl, wie es irrtümlich auf einen Informationsschild unter seinem Strassennamen in seinem Geburtsort Guntersblum heisst, sondern ist ein Andenken an seine früh verstorbene Mutter Katharina, der im Roman einige ehrende Stellen gewidmet sind. Einzig die herablassende, teils misogyne Haltung des Ich-Erzählers gegenüber Frauen im Roman fällt unangenehm auf. Hier wird durchaus eine Realität beschrieben, die auch in linken Kreisen längst noch nicht Geschichte ist.

Peter Nowak

Die Rezension wurde zuerst veröffentlicht bei Kritisch lesen:

https://kritisch-lesen.de/rezension/randganger-der-literatur