Verbote treffen Palästina-Demos in Deutschland. Linke debattieren über Versammlungsfreiheit. Wie weit geht das Recht zu protestieren? Ein Kommentar.

Zwischen Unterstützung und Verbot: Palästina-Demonstrationen spalten die Linke

Die Linke sollte sich an ihre eigene Geschichte erinnern. Sie haben lange Zeit keine Demonstrationsverbote für Rechte gefordert, sondern gegen sie demonstriert und manchmal sogar versucht, sie zu verhindern. Manchmal ist das auch gelungen. Es ist auch ein Zeichen der Schwäche einer staatsfernen Linken, dass diese Traditionen heute kaum noch bekannt sind oder praktiziert werden. Stattdessen gab es auch dort oft wenig Kritik an Demonstrationsverboten im propalästinensischen Spektrum.

Am vergangenen Wochenende fanden in verschiedenen Städten Deutschlands und weltweit propalästinensische Demonstrationen mit sehr unterschiedlichen Inhalten statt. In einigen Städten setzten sich die Demonstranten für ein Ende des Krieges im Nahen Osten oder zumindest für einen Waffenstillstand ein. Auf anderen Demonstrationen wurden …

… reaktionäre, islamistische Organisationen verherrlicht. Hier wurden Inhalte vertreten, die zu Recht abgelehnt werden müssen. Dennoch ist dem taz-Kommentator Christian Rath zuzustimmen, der es für gut hält, dass die Demonstrationen stattfinden konnten.

In dem Kommentar erinnert Rath an eine zutiefst liberalen Mindeststandard:

Das Demonstrationsrecht ist ein Recht der Minderheiten, daran muss immer wieder erinnert werden. Seine Garantie ist dort relevant, wo die Mehrheitsgesellschaft von „unerträglichen Parolen“ redet und Verbote fordert. Das Demonstrationsrecht schützt nicht nur nützliche Anliegen – wer soll das auch entscheiden? –, sondern ist in einer freiheitlichen Gesellschaft ein Wert an sich. Zivilgesellschaft, das sind nicht nur die „Guten“.Christian Rath, taz

Eigentlich sollte man meinen, dass dies freiheitlich-demokratische Grundsätze sind, die keiner besonderen Erwähnung bedürfen. Aber die letzten Wochen haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Auch darauf hat Herr Rath in seinem Kommentar hingewiesen. Da wurden reihenweise Kundgebungen und Demonstrationen vorwiegend in Berlin verboten, weil auch nur der Verdacht bestand, dort könnten Parolen gerufen werden, die die Hamas und ihren Terror loben.

Insofern hat Rath recht, wenn er in seinem Kommentar darauf hinweist, dass die Grenzen der Versammlungsfreiheit durch das Strafrecht gezogen werden. Demnach wären Lobgesänge auf die islamistische Hamas spätestens jetzt strafrechtlich relevant, da die Aktivitäten dieser Organisationen in Deutschland verboten sind. Das kann aber kein pauschales Demonstrationsverbot rechtfertigen. Vielmehr müsste die Polizei gezielt gegen diejenigen vorgehen, die solche Parolen rufen.

Demonstrationsverbote lassen sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, die Polizei sei überlastet. Solche Stimmen sind in letzter Zeit primär von Funktionären der verschiedenen Polizeigewerkschaften zu hören. So wird gefordert, die Teilnehmerzahl einer Versammlung zu begrenzen oder statt Demonstrationen nur noch Kundgebungen zuzulassen.

Das sind Maßnahmen, wie sie zu Zeiten der Corona-Pandemie flächendeckend erlassen wurden. Damals wurde immer betont, dass es sich um eine gesundheitspolitische Notlage handelte. Jetzt zeigt sich, dass solche Maßnahmen, zumindest wenn es nach einigen Polizeigewerkschaftern und Law-and-Order-Politikern fast aller Parteien geht, auch außerhalb einer Pandemie eingesetzt werden sollen. Das wäre eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit.

Versammlungsfreiheit gilt nicht mehr?

In den vergangenen Wochen wurden diese Einschränkungen bereits ohne größere Proteste umgesetzt.

In der Tageszeitung Neues Deutschland wurden bereits Mitte Oktober einige der Verbote benannt. Dort wurde auch ein kleiner Überblick über die Verbote in einem kurzen Zeitraum in Berlin von Mitte Oktober gegeben. So heißt es im Neuen Deutschland:

Es folgten Verbote für die Versammlungen »Solidarität mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen« am 12. Oktober am Potsdamer Platz, »Frieden in Nahost – Stopp dem Krieg in Nahost« am 13. Oktober, »Jüdische Berliner*innen gegen Gewalt in Nahost – Gegen den Mord an unseren Mitmenschen in Gaza, jüdische und palästinensische Menschen haben das gleiche Recht zu leben« am 14. Oktober, »Kein Flächenbrand in Nahost« am 16. Oktober und »Jugend gegen Rassismus« am 18. Oktober. Am Samstag, dem 21. Oktober, durfte unter anderem die Versammlung »Frieden in Nahost – Waffenstillstand in Nah-Ost – Zwei-Staaten-Lösung« nicht stattfinden, am Sonntag folgte ein Verbot der Demonstration »Frieden im Nahen Osten«.

Schon damals gab es Kritiker, wie den auf Migrationsrecht spezialisierten Berliner Rechtsanwalt Alexander Gorski, die sich hauptsächlich aus demokratierechtlichen Gründen gegen die Versammlungsverbote wandten. Sie wurden jedoch weitgehend ignoriert und teilweise gleich der Sympathie mit Hamas und Co. bezichtigt.
Ein Vorwurf, den man dem Legal Support Center nicht machen kann, das in den vergangenen Wochen Menschen unterstützt hat, die bei verbotenen Versammlungen im Kontext des Nahostkonfliktes festgenommen wurden und mit einer Anklage zu rechnen haben. Das sind Erfahrungen, die die staatskritische Linke in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder machen musste.
Deshalb ist es eigentlich bedauerlich, dass aus diesen Kreisen heute so wenig Kritik kommt. Dabei hatte Rechtsanwalt Gorski die Situation in Bezug auf die propalästinensischen Demonstrationen Mitte Oktober treffend auf den Punkt gebracht: „Versammlungsfreiheit gibt es für sie nicht mehr“.
Versammlungsfreiheit ist nicht teilbar
Das Versammlungsrecht ist also für bestimmte Gruppen einfach abgeschafft worden. Man sollte sich auch nicht damit beruhigen, dass dies derzeit hauptsächlich propalästinensische Aktivitäten betrifft. Nein, mit solchen Verboten, vor allem wenn sie gerichtlich bestätigt werden, sind Standards gesetzt worden, was die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit angeht.
Konkret heißt das, dass im Bereich der propalästinensischen Demonstrationen von den Staatsapparaten ausprobiert wird, wie weit man das Versammlungsrecht einschränken kann. Längst gibt es auch bei linken Demonstrationen Auflagen, die es verbieten, bestimmte Personen zu grüßen oder durch Parolen oder Transparente als staatsfeindlich eingestufte Organisationen lobend zu erwähnen.
Legt man nun die Maßstäbe an, die in den vergangenen Wochen an propalästinensische Demonstrationen angelegt wurden, könnten viele Demonstrationen der unabhängigen Linken leicht verboten werden. Einfach deshalb, weil nicht auszuschließen ist, dass dort Inhalte vertreten werden, die nicht der deutschen Staatsräson entsprechen und möglicherweise verfassungsfeindliche Organisationen loben.
Deshalb hat Christian Rath recht, wenn er es als gutes Zeichen für die Demokratie wertet, dass am vergangenen Wochenende in vielen Städten auch in Deutschland Menschen auf die Straße gegangen sind, die Positionen zum Nahostkonflikt vertreten haben, die ich nicht nur nicht teilen, sondern sogar politisch bekämpfen würde. Dennoch ist es zu begrüßen, dass sie nicht von Staatsapparaten daran gehindert wurden.
Die Linke sollte sich an ihre eigene Geschichte erinnern. Sie haben lange Zeit keine Demonstrationsverbote für Rechte gefordert, sondern gegen sie demonstriert und manchmal sogar versucht, sie zu verhindern. Manchmal ist das auch gelungen.
Es ist auch ein Zeichen der Schwäche einer staatsfernen Linken, dass diese Traditionen heute kaum noch bekannt sind oder praktiziert werden. Stattdessen gab es auch dort oft wenig Kritik an Demonstrationsverboten im propalästinensischen Spektrum.
Dies ist ein Symptom für das Verschwinden einer emanzipatorischen Staatskritik auch in vielen Teilen der Linken. Lautete dort nicht die Parole: „Alles muss man selber machen“, so gilt dies auch für die theoretische und manchmal auch praktische Kritik an bestimmten Versammlungen. Mit den Staatsapparaten und ihrer Verbotspolitik sollte man sich aber auf keinen Fall gemein machen.
Peter Nowak