Natürlich ist es ein Dilemma, dass eine Zerschlagung der Hamas durch die israelische Armee auch Opfer im Gazastreifen fordern würde, auch wenn die israelische Armee bemüht ist, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Aber gerade dieses Dilemma sollte nicht dazu führen, sich jetzt in einen moralischen Relativismus zu flüchten und sich nicht klar auf den emanzipatorischen Minimalkonsens zu verständigen, dass eine Welt ohne Hamas und islamisches Regime im Iran eben eine bessere Welt wäre. …
… Jeden Montag kommt in der Sendung „Kontrovers“ des Deutschlandfunks Volkes Stimme zu Wort. Am vergangenen Montag lautete das Thema „Nach dem Angriff auf Israel. Welche Zukunft hat der Nahe Osten? Der Moderator bezeichnete den Terror der Hamas zu Recht als den schlimmsten Massenmord an Juden nach der Shoah. Doch dann folgte eine regelrechte Hetze gegen Israel.
Wie in jeder Kontrovers-Sendung konnten die Deutschlandfunk-Hörer ihre Meinung zum Thema auf den Anrufbeantworter sprechen. Wer ein Wort der Empathie und des Mitgefühls für die ermordeten Jüdinnen und Juden erwartet hatte, wurde enttäuscht.
Keiner der sieben Hörerinnen und Hörer, deren Anrufbeantworter-Nachrichten eingespielt wurden, erwähnte auch nur ansatzweise den Terroranschlag.
Stattdessen folgte ein verbaler Rundumschlag gegen Israel.
Das Wort Antisemitismus kommt nicht vor
So fragte einer raunend, was denn passiere, „wenn den Israelis gelingt, was sie vorhaben“. Ein anderer will nur wissen, dass Israel eine Atommacht ist. Ein weiterer Zuhörer beklagt die Einseitigkeit, nur über den Terror der Palästinenser zu sprechen.
Als dann noch ein Hörer aus Göttingen über die Politikerkaste herzieht, der er „uferlose, geradezu sklavische Ergebenheitsbekundungen gegenüber dem Staat und Israel und seiner Politik“ vorwirft, ist die Grenze zum israelbezogenen Antisemitismus endgültig überschritten.
Man muss sich das einmal klarmachen: Eine Woche nach den schlimmsten antijüdischen Pogromen nach der Shoah zeigt kein einziger Hörer Empathie mit den jüdischen Opfern zeigt und nimmt auch nur einmal das Wort Antisemitismus in den Mund.
Stattdessen wird wieder einseitig der Staat Israel als Täter verantwortlich gemacht, teilweise regelrecht dämonisiert. Das ist auch den Verantwortlichen des Senders aufgefallen.
Auch eine Hörerin äußerte sich per Mail entsetzt über die völlig empathielosen Beiträge gegenüber Israel. Sie stellte die Frage. „Sind die Deutschen immer noch so antisemitisch?“
Es sei aber nicht möglich gewesen, einen Beitrag zu senden, der Empathie mit den Opfern des antisemitischen Terrors zeige, weil es diese schlicht nicht gebe, betonten die Verantwortlichen des Deutschlandfunks, dem ja der Ruf vorauseilt, eher linksliberal zu sein.
Schräge Vergleiche: Im Arbeitskampf wird nicht gemordet
Auch in den weiteren Beiträgen der über 70-minütigen Kontrovers-Sendung war es nur der langjährige Grünen-Politiker Volker Beck, der Empathie für Israel zeigte.
Einen weiteren Höhepunkt der Terrorverharmlosung leistete sich ein Zuhörer, der die Auseinandersetzungen im Nahen Osten mit einem Tarifkonflikt in Deutschland verglich. Dort würde auch von allen Seiten radikal geblinkt und dann brauche man eben einen Vermittler.
Man frage sich nur, wo in deutschen Tarifkämpfen Gefangene gemacht oder gar Menschen erschossen, enthauptet oder verbrannt werden. In den ganzen 70 Minuten der Kontrovers-Sendung wurde nicht nur kaum über die jüdischen Opfer gesprochen, sondern auch nicht über den Antisemitismus, der jaeine der Ursachen für die Morde ist.
Free Gaza – from Hamas
Ein solcher Relativismus findet sich auch in Teilen der gesellschaftlichen Linken. Da wollen sich manche in einer Vorbesprechung zu einer Veranstaltung in Berlin nicht einmal darauf einigen, dass es ein linker Minimalkonsens sein muss, dass alles getan werden muss, um die Hamas zu zerschlagen. Manche Linke wollen dann gar nicht mehr über das Thema reden.
Dabei müsste jeder gesellschaftlichen Linken nicht erst seit den Morden der letzten Woche klar sein, dass die Hamas eine extrem reaktionäre Organisation ist, die der Feind aller emanzipatorischen Bestrebungen ist.
Sie verfolgt Minderheiten, Frauen und ist der Todfeind der Juden. Deshalb sollte es eigentlich zum linken Minimalkonsens gehören, dass eine Welt ohne Hamas eine bessere Welt wäre, nicht nur für die Juden, sondern auch für die Menschen in Gaza, die mit der Hamas nichts zu tun haben wollen.
Es wird gerne vergessen, dass sich die Hamas nur mit Terror an der Macht halten kann, auch gegen die palästinensische Bevölkerung, die nicht auf ihrer Seite ist. Deshalb hat der Slogan „Free Gaza from Hamas“ Bedeutung.
Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass ein Teil der Bevölkerung im Gazastreifen nicht nur die Hamas gewählt hat, sondern teilweise bis heute deren antisemitische Politik verteidigt.
Nur so ist es möglich, dass israelische Geiseln im Triumphzug durch Wohngebiete in Gaza gefahren werden. Dabei hat die Hamas in den letzten Jahren gezeigt, dass sie am Wohlergehen der Bevölkerung dort kein Interesse hat. Das hat das Pogrom der letzten Woche gezeigt.
Zuvor war es im Gazastreifen einigermaßen ruhig und die israelische Regierung ließ auch mehr wirtschaftliche Kontakte zu, was dazu führte, dass sich das Leben vieler Menschen nicht weiter verschlechterte. Das Pogrom hat diese Normalisierungsprozesse natürlich abrupt unterbrochen.
Genau das wird von der Hamas nicht nur in Kauf genommen, sondern direkt provoziert. Denn die Hamas und auch ihre islamistischen Verbündeten im Iran sind ein klarer Feind jeder Normalisierung. Deshalb sollte eine gesellschaftliche Linke zumindest klar formulieren, dass ein Ende der Hamas und ein Sturz des iranischen Islamismus eine positive Entwicklung wäre.
Immerhin sind dafür im letzten Jahr zehntausende Menschen, darunter viele Frauen, auf die Straße gegangen. Natürlich ist es ein Dilemma, dass eine Zerschlagung der Hamas durch die israelische Armee auch Opfer im Gazastreifen fordern würde, auch wenn die israelische Armee bemüht ist, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Aber gerade dieses Dilemma sollte nicht dazu führen, sich jetzt in einen moralischen Relativismus zu flüchten und sich nicht klar auf den emanzipatorischen Minimalkonsens zu verständigen, dass eine Welt ohne Hamas und islamisches Regime im Iran eben eine bessere Welt wäre.
Warum bekommt die Ukraine mehr Sympathie als Israel?
Auffällig ist, wie offen in der Sendung des Deutschlandfunks der angegriffene Staat Israel und seine Bevölkerung zum Opfer gemacht oder zumindest indirekt mitverantwortlich gemacht werden. Wäre es denkbar gewesen, dass eine Woche nach dem Angriff der russischen Armee auf die Ukraine in einer Deutschlandfunk-Sendung fast alle Anrufer die Ukraine und ihre Bevölkerung angegriffen hätten?
Nein, noch heute gilt schnell als Putin-Freund, wer daran erinnert, dass der russische Angriff eine Vorgeschichte hat, die ihn aber nicht rechtfertigt. Auch wer sich in diesem Konflikt als Pazifist bezeichnet oder nur für Friedensgespräche eintritt, wird sofort als Teil von Putins fünfte Kolonne behandelt.
Mit dem Fortschreiten des festgefahrenen Krieges sind diese Stimmen etwas leiser geworden, aber immer noch dominant.
Ganz anders dagegen der Umgang mit dem angegriffenen Staat Israel in Deutschland, wie nicht nur der Deutschlandfunk zeigt. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die ungleiche Behandlung der beiden angegriffenen Staaten auch eine Frage der deutschen Geschichte ist.
Denn bei allen Beteuerungen, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei, wird eben deutlich, dass für viele Israel auch nach diesen Pogromen immer noch und immer wieder an allem schuld ist. Die deutsche Sympathie für die Ukraine hat auch Bezüge in der deutschen Geschichte, die bis in die NS-Zeit zurückreichen, als ukrainische Ultranationalisten und deutsche Einsatzgruppen sich im Judenmord nicht übertreffen lassen wollten.
Einer der Verantwortlichen dieses Terrors, Stepan Bandera, wird heute in ukrainischen Städten mit Denkmälern und Straßennamen geehrt. Israelische Kritik daran wird ignoriert. Es ist daher absurd, wenn einige Kommentatoren in der taz und anderen linksliberalen Zeitungen den Kampf der Ukraine mit dem Kampf Israels gegen die Hamas vergleichen. So schreibt Ariane Lemme in der taz
Der Terror gegen Israel ist vergleichbar mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem 11. September.
Dabei übersieht sie den besonderen antisemitischen Terror der Hamas, der sich eben von einem, wenn auch grausamen, nationalistischen Krieg Russlands in der Ukraine unterscheidet. Damit wird eigentlich nur fortgesetzt, was in Deutschland seit Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine immer wieder zu lesen war: dass es eigentlich keinen Unterschied zum Krieg der deutschen Wehrmacht gebe.
Damit wird aber gerade der eliminatorische Antisemitismus des Nationalsozialismus relativiert. Wenn nun der ebenso eliminatorische Terror der Hamas mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine kurzgeschlossen wird, setzt sich die Relativierung des Antisemitismus bis in die Gegenwart fort.
Das hat Konsequenzen für mögliche Verhandlungsansätze. Mit der Hamas gibt es nichts zu verhandeln, genauso wenig wie mit dem NS-Regime. Erst die bedingungslose Kapitulation der Nazis und ihrer Verbündeten machte den Weg frei für mögliche emanzipatorische Entwicklungen. Das ist im Ukraine-Russland-Konflikt nicht der Fall.
Hier gäbe es durchaus Kompromisse, die weiteres Blutvergießen verhindern könnten. Wer hier wie Ariane Lemme vorschnell eine Verbindung zwischen Hamas und Russland herstellt, will diesen wichtigen Unterschied einebnen. Peter Nowak