Manche ziehen kaum noch Grenzen nach rechts. Andere sparen nicht mit krassen historischen Vergleichen. Was es schwer macht, heutige Rechtsparteien zu analysieren.

Droht mit der AfD ein neues 1933 – oder nur Deutschland à la Meloni?

Vielleicht wäre es Zeit für einen großen Kongress, auf dem ich Antifaschisten aus verschiedenen Ländern darüber austauschen, ob der Aufstieg der AfD und FPÖ sowie die Regierungen von Orban bis Meloni mit den Faschismus-Analysen der 1930er-Jahre erklärt werden können, welchen Stellenwert die Erklärungsmuster der Frankfurter Schule haben – und ob es nicht aktuellere Erklärungsansätze für den Aufstieg der Rechten heute gibt.

Sogar vom „Wunder von Nordhausen“ war am letzten Sonntag die Rede, nachdem der AfD-Kandidat in der thüringischen Stadt die Wahl zum Oberbürgermeister verloren hatte. An einen AfD-Sieg hatten auch viele Gegner der Partei geglaubt, zumal der parteilose Gegenkandidat kaum noch Wahlkampf gemacht hatte. Später wurde klar, …

… dass vor allem zivilgesellschaftliche Gruppen in der Stadt für die Niederlage der AfD verantwortlich waren. Dabei spielten auch geschichtspolitische Argumente eine wichtige Rolle. Weil ein Außenlager des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald auf dem Territorium von Nordhausen liegt, hat auch der Leiter der Gedenkstätte vor der Wahl eines AfD-Kandidaten gewarnt und war über dessen Niederlage erfreut:

Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora erklärte laut einem Bericht der Evangelischen Zeitung, die Wiederwahl Buchmanns mache „eine Fortsetzung der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Stadt Nordhausen möglich“.

Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner wurde mit den Worten zitiert: „Die Nordhäuserinnen und Nordhäuser haben sich am Sonntag in ihrer Mehrheit für eine weltoffene, vielfältige Stadt entschieden, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst ist.“ Gleichwohl zeigten „die vielen Stimmen für den offen geschichtsrevisionistisch auftretenden AfD-Kandidaten, dass die aufgeklärte Erinnerungskultur als Grundkonsens unserer Demokratie akut gefährdet ist“.

Kann man also davon sprechen, dass mit geschichtspolitischen Argumenten die Rechten gestoppt werden? Spätestens nach den Wahlen in Bayern kann diese Frage besser beantwortet werden. Dort legen Umfragen zumindest nahe, dass die „Freien Wähler“ gestärkt wurden, weil deren Vorsitzender Hubert Aiwanger in der Debatte um ein neonazistisches Flugblatt, das er mit 17 Jahren bei sich getragen hatte, von seiner Zielgruppe als Opfer wahrgenommen wurde.

Dass Aiwanger von einer „Schmutzkampagne“ sprach, keine selbstkritische Auseinandersetzung mit seinen „Jugendsünden“ erkennen ließ und dennoch Minister bleiben konnte, ist ein Signal an Neonazis, dass auch sie noch Minister werden können, wenn sie ihre Thesen künftig im bürgerlichen Rahmen vertreten. Dass ein Aiwanger als Chef der „Freien Wähler“ damit durchkam, ist bemerkenswert, während die AfD oft gleich mit der NSDAP in der Weimarer Zeit kurzgeschlossen wird.

Warnung vor einem neuen 1933

Dabei darf auch die Warnung vor einem neuen 1933 nicht fehlen, womit auf die Machtübergabe an Hitler rekurriert wird. Der Begriff Machtübergabe wurde hier bewusst gewählt – und nicht der in der bürgerlichen Geschichtsschreibung gebräuchliche Terminus der Machtergreifung.

Denn tatsächlich wurde Hitler von den alten Staatsgewalten in Übereinstimmung mit großen Teilen der deutschen Großindustrie am 31. Januar 1933 die Macht in der Hoffnung übergeben, dass er mit den Linken aufräumen und einen autoritären Staat aufbauen würde, in dem das Kapital nicht mehr Rücksicht auf die Gewerkschaften und weniger noch auf linke Aufstände nehmen muss.

Der Antisemitismus der Nazis wurde von einem großen Teil der Kreise, die Hitler die Macht übergaben, geteilt oder zumindest akzeptiert. Das bedeutet nicht, dass die NSDAP eine Marionette des Großkapitals war. Mit ihrer Volksgemeinschaftsideologie konnte sie Teile der Bevölkerung ansprechen.

Gerade dadurch wurde sie für Kapital und nationalkonservative Apparate erst interessant, weil sie eben einen Massenanhang hinter sich hatte, der ihnen selbst fehlte. Ohne die Zustimmung dieser Staatsapparate wären die Nazis nicht in die Macht gekommen. Man kann auch verallgemeinert formulieren, dass der Faschismus immer eine volksgemeinschaftliche Komponente hat.

An die Macht konnte er nie gegen, sondern nur mit Zustimmung wichtiger Kapitalfraktionen und wesentlicher Teilen des Staatsapparats kommen. Doch genau darüber wird in der Debatte über die AfD zu wenig geredet. Dafür werden mit der Warnung vor einem neuen 1933 falsche Bilder erzeugt. Man kann auch von hilflosem Antifaschismus sprechen. Denn die Machtetablierung der Ultrarechten wird heute nicht mehr nach dem Muster von 1933 verlaufen.

Orbán und Meloni sind die Vorbilder der modernen Rechten

Wer immer die Folie von 1933 aufmalt, wird sich schnell daran gewöhnen, wenn die AfD oder andere Ultrarechte tatsächlich mit an die Regierung kommen. Denn dann wird beruhigt festgestellt, dass sie keine Konzentrationslager errichten. Das konnte man in Italien sehen. Dort übernahm vor einem Jahr mit Giorgia Meloni eine Politikerin die Regierungsmacht, die sich offen positiv auf den Mussolini-Faschismus bezogen hatte. Anfangs war die Aufregung groß – verflogen ist sie aber schnell.

Denn Meloni steht zur Nato, bleibt in Sachen Ukraine-Krieg auf dem Kurs des globalen Westens und macht Politik im Rahmen der EU. Damit kann sie ihre rechte Agenda besser umsetzen, als der krawallige Chef der Lega, Matteo Salvini. Dabei wird innenpolitisch auf vielen Ebenen die rechte Agenda geräuschlos umgesetzt.

In Deutschland warnen inzwischen Ultrarechte im Umfeld des Instituts für Staatspolitik um Götz Kubitschek und Ellen Kositza vor einer „Melonisierung“ der Rechten. Gemeint ist damit eine Politik der Rechten, die auf einen langsamen Umbau des Staates und nicht auf einen abrupten Bruch setzt. Mit dieser Linie ist Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán so erfolgreich, dass man schon von einem erfolgreichen rechtsautoritären Staatsumbau sprechen kann.

Orbán ist damit nicht nur bei Rechten jeder Couleur, sondern auch bei Konzernvertretern aller Länder, auch aus Deutschland, sehr beliebt. Denn ein rechtsautoritärer Staat bringt auch große Vorteile für die Profitsteigerung der Konzerne. Darüber können auch die Regenbogenfahnen und Diversitätsdiskurse nicht hinwegtäuschen, mit denen große Teile der Wirtschaft heute ihre Wokeness zeigen. Damit ist es schnell vorbei, wenn sich eine rechte Bewegung dauerhaft eine Basis sichern kann.

Wer einen Machtzuwachs der zeitgenössischen Rechten kritisieren will, sollte die Strategien einer Meloni in Italien oder eines Orbán in Ungarn genau studieren, statt ständig vor einen neuen 1933 warnen. Diese notwendige Kritik an einer zu stark am historischen Antifaschismus orientierten Linken legitimiert nicht jene Sozialkonservativen, die vom Antifaschismus nun gar nichts mehr hören wollen.

Davon konnte man sich kürzlich bei der Vorstellung des Buches „Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken“ von Sven Brajer im Berliner Sprechsaal überzeugen. Der Autor übernahm fast alle Begriffe, warnte vor einer Verwestlichung der Linken, vor transatlantischen Eliten, lehnt Regenbogenfahnen und auch die Klimabewegung ab.

In dieser Melange rechter und rechtsoffener Thesen gehen auch die wenigen Beispiele unter, mit denen Brajer präzise argumentiert. Der Höhepunkt des Trauerspiels war die Frage aus dem Publikum, ob sich der Autor in Zukunft eine Koalition zwischen einer noch zu gründenden „Wagenknecht-Partei“ und der AfD vorstellen kann.

Eigentlich hätte man denken können, dass Brajer diese Frage empört zurückweist, weil doch nur Böswillige Sahra Wagenknecht so etwas unterstellen würden. Doch das war nicht der Fall – der Autor sah nur keine große Chance auf ein solches Bündnis, weil heute ein Bernd Lucke oder eine Frauke Petry nicht mehr in der AfD sind.

Dabei fiel weder dem Referenten noch dem Publikum der Widerspruch auf, dass da lang und breit moniert wurde, die Linkspartei und auch die gesellschaftliche Linke würde keine Politik mehr im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung machen. Und dann wird die Idee eines Bündnisses mit der AfD, einer Partei des Eigentümerblocks, die besonders vehement die Rechte von Arbeitern und Erwerbslosen aushebeln will, nicht empört zurückgewiesen.

Da stellt sich auch schnell heraus, dass mit der Mehrheit der Bevölkerung, die angeblich von Linken kaum noch vertreten wird, keineswegs die schlecht bezahlte Putzkraft und die Erwerbslosen gemeint sind, sondern der deutsche Mittelstand. Bündnisse mit der AfD sind in diesem sozialkonservativen Milieu durchaus denkbar. Sie sind aber keine Querfront, weil es keine Linken in dieser Kooperation gibt.

Weder Volks- noch Querfront

Das Erfreulichste an der Veranstaltung war noch, dass ein mit Wagenknecht sympathisiertet Gewerkschafter ernüchtert feststellte, dass hier deutsche Mittelstandsförderung als linke Politik verkauft wird. Er bekam jedoch keine Antwort auf seine Frage, welche Position eine mögliche Wagenknecht-Partei zu Arbeitskämpfen hat.

Solche enttäuschten Sozialkonservativen wären durchaus für eine Linke zu gewinnen, die tatsächlich auf soziale Kämpfe von unten setzt. Doch viele Antifaschisten sehen eher in der bürg 30. Set mit einer äußerst schwachen Linken im Schlepptau der Liberalen.

Präzise Kritik an diesem Konzept leistete am Donnerstagabend in Berlin ein Referent auf einer Veranstaltung der Freunde der Klassenlosen Gesellschaft. Dort wurde aus dem Publikum betont, dass soziale Kämpfe, ob am Arbeitsplatz, im Stadtteil oder am Jobcenter, eigentlich das beste Mittel gegen das Anwachsen der Rechten sind.

Doch gerade, als es interessant wurde, brachen die Veranstalter die Diskussion ab. Denn auch sie orientieren sich an Antifaschismus-Konzepten von dissidenten Linken. Auch die Kritiker von stalinistischen Volksfront-Konzepten blicken auf die heutige Rechte durch die Brille historischer Faschismus-Konzepte.

Ein Kritiker monierte, auf der Veranstaltung sei die Diskussion über den Nationalsozialismus aus dem Umfeld der „Frankfurter Schule“ ebenso ausgeblendet worden, wie Texte von Wilhelm Reich und Erich Fromm. Vielleicht wäre es Zeit für einen großen Kongress, auf dem ich Antifaschisten aus verschiedenen Ländern darüber austauschen, ob der Aufstieg der AfD und FPÖ sowie die Regierungen von Orban bis Meloni mit den Faschismus-Analysen der 1930er-Jahre erklärt werden können, welchen Stellenwert die Erklärungsmuster der Frankfurter Schule haben – und ob es nicht aktuellere Erklärungsansätze für den Aufstieg der Rechten heute gibt. Peter Nowak