Kann die Friedensbewegung rechtsoffen sein? Aktuell wird viel über eine gar nicht so neue Frage gestritten.

Antifafahne versus Friedenstaube

Für manche jüngeren Linken droht die Friedenstaube fast zum rechten Symbol zu werden. Der Grund liegt auch darin, dass sie spätestens nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine häufig bei rechten oder rechtsoffenen Aktionen zu sehen war. Doch es wäre zu kurz gegriffen, nur von einer rechten Unterwanderung der Friedensbewegung zu reden.

Am 25 März 2023 hatten sich in der Düsseldorfer Innenstadt ca. 200 Menschen versammelt, die mit Friedenstrauben gegen Waffenlieferungen in die Ukraine demonstrierten. Ihnen gegenüber hatten sich ca. 10 meist jüngere Menschen mit Antifafahnen postiert, die lautstark gegen eine „deutsche Querfront“ agierten. Tatsächlich hatten sich unter dem Banner der weißen Friedenstaube neben Veteran*innen der Friedensbewegung auch Mitglieder von Gruppierungen wie …

… Freie Linke und die Kleinstpartei die Partei „Die Basis“ versammelt, die beide bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen aktiv waren und denen von Antifagruppen verschwörungstheoretisches Gedankengut vorgeworfen wird. Dass sie mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch liegen, zeigte ein großes Transparent, auf dem gegen Chemtrails agiert wurde. Die angebliche Manipulierung der Menschen durch von Flugzeugen erzeugte Kondensstreifen gehört zu den verbreiteten Verschwörungstheorien. 

 

„Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“

 
„Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass Menschen mit Friedenstauben und Menschen mit Antifafahnen jetzt scheinbar in gegensätzlichen Lagern stehen“, erklärte ein älterer Mann, der die Auseinandersetzung am Rande beobachtet hatte. Er trug ein Schild mit der Parole „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. „Ich weiß nicht, wo ich meinen Protest gegen Aufrüstung und Krieg ausdrücken kann“, erklärt er und packte schließlich sein Schild wieder ein. Ähnliche Szenen wie in Düsseldorf waren in den letzten Monaten in verschiedenen Städten zu beobachten. Eine größere Beachtung fand die Auseinandersetzung vor den diesjährigen Ostermärschen. So veröffentlichte die North East Antifa (NEA), die seit Jahren in der Berliner antifaschistischen Bewegung aktiv ist, einen längeren Text, in dem sie bekannten Exponent*innen der Berliner Friedenskoordination (Friko) vorwarf, den Schulterschluss mit rechten Gruppen zu suchen. Konkret geht es um die Gruppierung „Handwerker für den Frieden“, die von einem ehemaligen Landtagskandidat der AfD Karl Krökel gegründet wurde. Aber auch Gruppen wie der Freien Linken und der Basis würde ein Forum geboten. Damit würde die Friko mit ihrer langen Geschichte in der Friedensbewegung dem antimilitaristischen Anliegen massiv schaden, moniert die NEA, die sich in ihrer Erklärung klar gegen die Aufrüstung in Deutschland positioniert. „Nichts wird aktuell dringender gebraucht als eine wirklich progressive Friedensbewegung, die auch die Eskalationspolitik der NATO und den kochenden Waffenwahn der Ampel-Regierung angreift“, heißt es ihrer Erklärung. Das Bekenntnis gegen jeden Militarismus trägt aber nicht zur Entspannung zwischen NEA und Friko bei. 

Als eine Ansammlung von „Behauptungen, Unterstellungen und Denunziationen“ bezeichneten die Friko-Sprecherinnen Laura von Wimmersperg und Jutta Kausch die NEA-Kritik in einer Stellungnahme, in der sie auch betonten, dass sie sich selbstverständlich gegen rechts abgrenzen. 

 

 
„Die Kernfrage: Was ist rechts? 

 

Die Kernfrage ist doch, wie definiert wird, was „rechts“ ist, worin die Gefährdung besteht“ benennen die Friko-Aktivistinnen eine politische Differenz zur NEA und anderen Antifagruppen. Gruppen wie Handwerker für den Frieden, die Basis oder auch die Freie Linken werden von der Friko anders als von der NEA als Bündnispartner gesehen, mit denen man auch am Ostermarsch gemeinsam auf die Straße gehen könne. Die Friko-Sprecherinnen verweisen darauf, dass Krökel nie Mitglied der AfD gewesen sei und seine Kandidatur als Parteiloser auf der Liste der AfD mittlerweile als Fehler bezeichne.  Keine Bündnispartner für die Friko seien hingegen AfD, NPD, aber auch das Compact-Magazin oder die Idenditäre Bewegung, betonen Kausch und von Wimmersperg. Die NEA macht aber am Beispiel der „Handwerker für den Frieden“ deutlich, dass eine solche Auftrennung so einfach nicht möglich ist. So war der Gründer der Organisation Karl Krökel nicht nur parteiloser AfD-Kandidat sondern hat auch in den letzten Monaten gemeinsam mit dem rechtspopulistischen Compact-Magazin Demonstrationen organisiert. Mittlerweile sei er auch zu dem Magazin, das seit Monaten die Querfront in der Friedensbewegung propagiert, auf Distanz gegangen, erklären Verteidiger*innen von Krökel. 

Doch auch in der Friedensbewegung gab es Kritik an der Bündnispolitik der Friko. So erklärt Kristian Golla von der Bonner Friedenskooperative, dass Gruppen wie die Basis und die Freie Linke Trittbrettfahrer sind, die nichts mit der Friedensbewegung zu tun haben. Golla erinnert daran, dass die Debatte, wie offen die Friedensbewegung nach rechts sein soll, bereits 2014 unter dem Stichwort des Friedenswinter geführt wurde. Damals gingen nach den Maidan-Protesten in Kiew und den Anti-Maidan der prorussischen Bevölkerungsteile in der Ukraine in Deutschland Menschen auf die Straße, die betonten, weder links noch rechts sondern nur für den Frieden zu sein. Da sie auch immer den Grundsatz, niemand ausgrenzen zu wollen, vor sich hertrugen, fühlten sich Rechte aller Couleur dort bald sehr willkommen. Damals hofften Teile der Friedensbewegung durch eine Kooperation mit diesen Gruppen würden sie jüngere Bündnispartner*innen gewinnen. Bald stellte sich aber heraus, dass die ganze Debatte die Friedensbewegung geschwächt und nicht gestärkt hat. 

Das Resümee des Netzwerk Friedenskooperative ist eindeutig. „Die Friedensbewegung hat im politischen Zusammengehen mit den „Montagsmahnwachen“ Schaden erlitten, den es jetzt zu begrenzen gilt. Veranstalter*innen der Ostermärsche oder auch der Demonstrationen gegen die Münchener Sicherheitskonferenz haben sich vereinnahmt gefühlt, indem ihre unabhängig vorbereiteten Aktionen unter die Kampagne „Friedenswinter“ subsumiert wurden. Dies habe nach etlichen Aussagen zu mehr Problemen, nicht zu größerer Mobilisierung beigetragen.“

 

Von der Endgame-Bewegung bis zur AfD 

 Hinzu kamen Vermischungen der Montagsmahnwachen mit der sog. Endgame-Bewegung. „Endgame“ ist die Abkürzung für „Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas.“ Im Jahr 2015 wollte sie nach dem Vorbild der Pegida-Aufmärsche Menschen mobilisieren. Nach einigen Demonstrationen in Erfurt verschwand sie schnell wieder in der Versenkung. Allerdings bediente Endgame auf ihrer Facebookseite neben rechten Schlagworten wie den Kampf „gegen die Amerikanisierung Europas“ auch Stichworte, die ebenfalls in der Friedensbewegung verwendet wurden. Da ging es gegen Folter in Guantanamo, Drohnenmorde, Totalüberwachung, wie sie damals durch die Enthüllungen von Snowden in der öffentlichen Diskussion war. Organisator des kurzlebigen Endgams-Bündnisses war Stephane Simon, ein ehemaliger französischer Polizist, der auch als Redner bei Pegida aufgetreten ist. Unterstützung bekam er von der rechten und rechtspopulistischen Szene Thüringens. Auch bei Endgame traten vereinzelt Aktive aus der Friedensbewegung auf. 

 Immer wieder wurde von Seiten der „Friedenswinter“-Befürworter*innen davon gesprochen, dass man die „suchenden Menschen“ nicht PEGIDA überlassen dürfe. Das Netzwerk Friedenskooperative widerspricht entschieden und stellte die Frage. „Soll sich die Friedensbewegung ausgerechnet diejenigen als Zielgruppe aussuchen, die mit unseren friedenspolitischen Zielen klar entgegen gesetzten und rassistischen Parolen auf die Straße gehen?“

Obwohl der Friedenswinter, die Annäherung von Gruppen der Friedensbewegung an rechtsoffene Einzelpersonen in Stellungnahmen als Fehler beurteilt wurde, bastelten 9 Jahre später manche Aktive der Friedensbewegung erneut an dem gescheiterten Konzept herum. Wie 2014/15 spielen dabei die Auseinandersetzungen in der Ukraine eine wichtige Rolle. Die AfD und ihre Anhänger*innen bauen mit ihrer Vorstellung einer Kooperation zwischen Russland und Deutschland auf Diskussionen auf, wie sie im Umfeld von Endgame und Friedenswinter geführt wurden. Sie propagieren eine geopolitische Orientierung Deutschland an der Seite oder zumindest in enger Kooperation mit Russland gegen die USA, die in der Diktion der Rechten als „raumfremde Macht“ in Europa gilt. Aktuell sind solche Formulierungen in Reden von AfD-Rechtsaußen Höcke und seinen Verbündeten zu hören. 

 

Warum die Friedensbewegung nicht rechtsoffen ist – der Versuch einer Klärung? 

 
„Warum die Friedensbewegung nicht rechtsoffen ist“ sind auch die 14 Thesen der Initiative „Friedens-links“ überschrieben, die von bekannten Politiker*innen der LINKEN, wie Ulla Jelpke aber auch der langjährige Friedensaktivist Willy von Ooyen unterschrieben, die bekannt dafür sind, dass für sie der Grundsatz „Nie wieder Faschismus und Nie wieder Krieg“ zusammengehören. Sie plädieren in den Thesen dafür, von einem antifaschistischen Grundsatz aus, auf Menschen zuzugehen, die sich der Friedensbewegung annähern wollen. Doch ob die Thesen zur Klärung beitragen können, ist fraglich. Sie werfen selber viele Fragen aus. 

 So heißt es in These 12. „Willkommen sind alle, die ehrlichen Herzens für Frieden eintreten. Wer aber meint, Friedenskundgebungen in rechte Versammlungen ummünzen zu müssen, soll zu Hause bleiben“.

 

Das hört sich erstmal gut an. Doch wie erkennt man, ob jemand mit reinen Herzen“ an einer Friedenskundgebung teilnimmt? Das ist doch ein schwammiges, nicht überprüfbares Kriterium. Da ist doch ehrlicher zu fordern, dass niemand mit rechten Insignien, Bannern etc. auf Friedensdemonstrationen auflaufen soll. Das kann man zumindest klar überprüfen. 

 
Fragen wirft auf die These 2 auf, in der es heißt: „Die Friedensbewegung war schon immer Diffamierungen ausgesetzt. Neu ist gegenüber früher, dass dieses bei uns durch Kräfte aus Organisationen erfolgt, die bisher in der Friedensbewegung verwurzelt waren. Damit werden innerhalb von großen Mitgliedsorganisationen tiefgehende Widersprüche provoziert, da in ihnen zugleich nach wie vor Menschen aktiv sind, die Stigmatisierung und Ausgrenzung ablehnen. Dasselbe gilt für wichtige Partner der Friedensbewegung, wie Gewerkschaften oder kirchliche Kreise.“

Nun ist die Auseinandersetzung um die Bündnispolitik der Friedensbewegung nicht neu, wie Kristian Golla mit Verweis auf den Friedenswinter erläuterte. Es waren aber langjährige Gruppen der Friedensbewegung, die für eine klare Abgrenzung nach rechts plädierten. Wird das jetzt als Diffamierung begriffen? Zudem werden Großorganisationen wie der DGB scheinbar nicht von der Diskussion um die Abgrenzung nach rechts sondern durch eine aus ihrer Sicht zu geringe Abgrenzung abgeschreckt. So zogen im osthessischen Fulda der DGB und die IG-Metall ihre Unterstützung für den Ostermarsch 2023 zurück, weil dort auch der ehemalige LINKEN-Politiker Dieter Dehm, der für eine Kooperation auch mit rechten Gruppen eintritt, reden sollte. 


Diskussionen in der alten Friedensbewegung

Vor fast 40 Jahren im Herbst 1984 fand just in Osthessen eine Manöverbehinderung der bundesweiten Friedens- und Antimilitarismusbewegung statt. Auf der Abschlusskundgebung in Fulda sprach auch der sich schon damals als Nationalpazifist verstehende Alfred Mechtersheimer. Das ehemalige CSU-Mitglied war als Parteiloser auf der Liste der GRÜNEN in den Bundestag eingezogen. In den 1990er Jahren gründete er die Deutschlandbewegung und war vielgefragter Redner auf zahlreichen Kundgebungen und Veranstaltungen ultrarechter Gruppen jeglicher Couleur. Dort trat Mechtersheimer als Friedensforscher auf, hatte ein Friedensmanifest 2000 verfasst, in dem er einen deutschen Nationalpazifismus propagierte. Damit war er auch in der Deutschen Friedensbewegung nicht allein. Es gab dort einen nationalistischen Flügel, die aus geopolitischen Gründen gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und später gegen die Stationierung von Atomraketen auf dem Territorium der BRD eintraten. In der 1960 gegründeten Deutschen Friedensunion (DFU), für die der Kampf gegen die Aufrüstung das Kernthema wurde, waren neben linken Antimilitarist*innen auch einige Nationalpazifist*innen aktiv. In großen Teilen der öffentlichen Meinung aber war die damalige Friedensbewegung eher links konnotiert, konservative Kritiker*innen sprachen sogar mit Verweis über das Engagement verschiedener kommunistischer Gruppierungen in der Friedensbewegung von kommunistischer Unterwanderung. Dieses Topos vertraten sehr prononciert proatlantische Rechte im Kampf gegen die Friedensbewegung. Der Anteil der neutralistischen oder nationalpazifistischen Rechten wurde hingegen weniger thematisiert.

 
Antimilitarismusbewegung mehr als Friedensbewegung 
 

 

Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Frage, wie rechts die Friedensbewegung sein darf, haben also durchaus Vorläufer. Es ist an der Zeit, sich von der Vorstellung zu trennen, dass eine Friedensbewegung immer links und progressiv sein muss. Das hat natürlich nie gestimmt und immer im politischen Kontext zu beurteilen. So protestierten Ende der 1930er Jahre in den USA Anhänger*innen faschistischer und rechtsneutralistischer Bewegungen gegen den Eintritt des Landes in den 2. Weltkrieg. Sie wollten verhindern, dass die USA in den Krieg gegen Nazideutschland und ihre Verbündete zieht. Aus geopolitischen Gründen waren und sind auch heute Rechte in Deutschland für eine Kooperation mit Russland. Es wäre ein Gewinn für eine emanzipatorische Bewegung gegen Militarismus und Krieg, wenn sie sich von nationalistischen und geopolitischen Überlegungen trennt. Die Grundlage ihrer Arbeit sollte hingegen ein Antimilitarismus sein, der sich aus unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen speisen kann. Es gibt religiöse Antimilitarist*innen, andere beziehen sich auf anarchistische, sozialistische oder kommunistische Konzepte. Im Gegensatz zu radikalen Pazifist*innen lehnen sie auch nicht jeden Krieg grundsätzlich ab. So war der Schwur der Überlebenden von Buchenwald nur möglich, weil die Armeen der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit ihren Bündnispartner*innen aus aller Welt den NS militärisch zerschlagen hatten. In dieser Tradition könnte ein Antimilitarismus stehen, wie er beispielsweise von Bündnis Rheinmetall-Entwaffnen seit mehreren Jahren propagiert wird. Unter dem Motto „Krieg beginnt hier“ werden Blockaden vor deutschen Rüstungskonzernen wie Rheinmetall, Heckler und Koch und Co. organisiert. Rechte aller Couleur sind nicht nur unerwünscht, sie auch durch die inhaltliche Bestimmung ausgeschlossen. Fatal aber wäre es, wenn linke Antimiltiarist*innen aus Angst vor rechten Trittbrettfahrer*innen keine Krtik mehr an Bundeswehr und Nato üben würden. Dann hätten die rechten Geopolitiker*innne endgültig gewonnen. Notwendig ist hingegen ein linker Antimilitarismus, zu dem natürlich die Antifafahne ebenso gehört wie die von dem Kommunisten Picasso kreierte Friedenstaube.  

 
Peter Nowak 

Besprechung in der jungen Welt:

Begriff »Frieden« okkupiert

Antifaschistische Zeitschrift Lotta über rechte Vereinnahmungsversuche der FriedensbewegungVon Matthias Grabemoeller:

„Seit Beginn des Ukraine-Kriegs, verstärkt noch seit Herbst vergangenen Jahres, versuchen rechte Gruppen den Begriff »Frieden« für sich zu okkupieren. »Für manche jüngere Linke droht die Friedenstaube zum rechten Symbol zu werden«, schreibt der Journalist Peter Nowak in der aktuellen Ausgabe der antifaschistischen Zeitung Lotta. Der Schwerpunkt der Ausgabe liegt auf Vereinnahmungsversuchen und tatsächlichen Berührungspunkten zwischen Rechten und Friedensbewegung.

Peter Nowak erinnert gleich im ersten größeren Text der Ausgabe an die mangelnde Distanz der Berliner Friedenskoordination (Friko) gegenüber rechten und rechtsoffenen Gruppen wie zur »Querdenker«-Partei Die Basis und der Freien Linken, ebenfalls eine Gruppe aus dem »Querdenken«-Milieu. »Es ist an der Zeit, sich von der Vorstellung zu trennen, dass eine Friedensbewegung immer links und progressiv sein muss«, schreibt Peter Nowak. Der Ausschluss rechter Gruppen müsse klar sein, zudem sollte »die emanzipatorische Bewegung gegen Militarismus und Krieg« sich von nationalistischen Überlegungen trennen. Als Positivbeispiel nennt Nowak das antimilitaristische Bündnis »Rheinmetall entwaffnen«.“

https://www.jungewelt.de/artikel/456543.antifaschistische-zeitung-begriff-frieden-okkupiert.html

Mein Artikel löste nach einigen Monanten diesen Diskussionsbeitrag aus:

Warum „Nie wieder Faschismus!“ zu „Nie wieder Krieg!“ gehört„Ein bisschen Frieden“ ist nicht genug

Gedanken zum Artikel „Antifafahne versus Friedenstaube“ von Peter Nowak (Zeitschrift Lotta) und zur Demo „Nein zu Krieg und Aufrüstung“ der „Antikriegskoordination“ am 02.09.23 in Berlin.

Antifafahne versus Friedenstaube.

Peter Nowaks Text gibt sich den Anschein journalistischer Ausgewogenheit, indem er scheinbar ohne eigenen Standpunkt Konflikte und Diskussionen zwischen politischen Gruppierungen nachzeichnet. 

Eher oberflächlich schildert er die Auseinandersetzung um die Rechtsoffenheit der aktuellen deutschen Friedensbewegung, bleibt dabei auf der Ebene der Schilderung von Episoden und vermeidet es gekonnt, genau zu benennen, was weite Teile der aktuellen Friedensbewegung verbindet: Nationaler Egoismus, Antiamerikanismus, Anti-Modernismus. 

Dabei ist der Text gleichzeitig hoch manipulativ und möchte die Lesenden für die Positionen des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ (das zusammen mit der „IL“, „Hände weg vom Wedding“, „Solid“ und anderen die „Antikriegskoordination“ bildet) gewinnen. Dies möchte ich mit Fokus auf zwei exemplarische Textstellen herausarbeiten: 

1. Zu Beginn seines Textes führt Nowak geschickt die Figur des überforderten Friedensbewegten ein, der sich angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine fragt, wo der richtige Platz für sein politisches Engagement ist, das der Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ gerecht werden soll. In dieser Überforderung durch die Komplexität der gegenwärtigen Situation finden sich sicherlich erst mal viele Lesende wieder. Doch Nowak lässt diesen fragenden Friedensbewegten – und die Lesenden – im Regen stehen. Er macht sich nicht die Mühe, mögliche Antworten auf dessen Frage zu durchdenken und erweckt damit den – falschen – Anschein, die von diesem aufgeworfene Frage sei ein unauflösbarer Widerspruch. Dabei genügen einige einfache Gedankenspiele, um zu zeigen, dass dem nicht so ist und dass dem suchenden Friedensbewegten geholfen werden könnte: 

Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen beteiligen, bei denen die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg gefordert wird. Das wäre eine klare Positionierung gegen die totalitären russischen Machthaber („Nie wieder Faschismus!“) und auf die lange Sicht ein Beitrag zur Verhinderung von Krieg als Mittel zur Durchsetzung imperialer staatlicher Interessen („Nie wieder Krieg!“) 

Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen beteiligen, die Russland zur sofortigen Beendigung des Angriffskrieges und zum vollständigen Rückzug seiner Truppen aus der Ukraine aufrufen. Wie bei der vorherigen Option würde er sich dadurch klar und deutlich für die beiden Forderungen „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ einsetzen. 

Der Friedensbewegte könnte sich an einer der vielen Kundgebungen der aktuellen deutschen Friedensbewegung beteiligen. Dabei werden in der Regel die sofortige Beendigung der militärischen Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg, Verhandlungen auf Grundlage des Status Quo und ein sofortiger Waffenstillstand gefordert – bei einem kleineren Teil dieser Kundgebungen wird zumindest der russische Angriffskrieg verurteilt, in der Regel, ohne daraus weitere Konsequenzen gedanklicher oder praktischer Natur abzuleiten. Die Forderung „Nie wieder Faschismus!“ würde der Friedensbewegte damit offensichtlich verfehlen, denn er würde ein totalitäres System in seiner militärischen Expansion unterstützen. Er könnte sich vordergründig in der Illusion wiegen, damit die Forderung „Nie wieder Krieg!“ zu unterstützen. Bei näherer Betrachtung würde ihm allerdings wohl schnell klar werden, dass ein „Frieden“ auf Kosten eines Teiles der ukrainischen Bevölkerung nicht wirklich eine Verwirklichung dieser Maxime darstellt. 

Und mit Blick auf die Zukunft könnte er sich fragen, ob die erfolgreiche Expansion eines totalitären Systems durch einen Angriffskrieg nicht in den nächsten Jahren weitere Kriege wahrscheinlich macht. Peter Nowak macht sich in seinem Text nicht die Mühe, diese Optionen zu prüfen. Daher kann er dem Friedensbewegten auch nicht zu einer der ersten beiden Optionen raten bzw. von der dritten Option abraten. Das ist sicherlich kein Zufall. Indem er ihn mit der scheinbar unauflösbaren Widersprüchlichkeit der doppelten Maxime „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ zurücklässt, erweckt er auch bei den Lesenden den – falschen – Anschein, dass angesichts der komplexen Realität am besten an den Forderungen der Friedensbewegung der 1980er Jahre – gegen Aufrüstung, gegen Waffenkonzerne etc. – festzuhalten ist. 

Solche abstrakten politischen Forderungen denken jedoch an der komplexen Realität vorbei, der Verweis auf die geopolitische Konfrontation zweier Blöcke (Russland vs. NATO) führt in die Irre. Solche Forderungen bedeuten in ihrer Zuspitzung, aus der privilegierten Position in Deutschland heraus den ukrainischen Opfern des russischen Angriffskrieges das Recht und die Möglichkeit zur Verteidigung abzusprechen. Russland kurz alibi-haft als Aggressor zu benennen und ansonsten die Lesart beizubehalten, alleine die Grossmächte würden Entwicklungen bestimmen, reduziert den russischen Angriffskrieg auf einen Interessenkonflikt mit der NATO. Ach, wäre die Welt doch so einfach… 

Eine solche Deutung ignoriert darüber hinaus die Positionen und Interessen der Mittel- und Osteuropäer*innen – das ist das Gegenteil einer emanzipatorischen linken Politik und blendet gesellschaftliche Verhältnisse, Perspektiven sozialer Bewegungen und ideologische Widersprüche in der russischen Gesellschaft aus. Daher finden sich z. B. Im Aufruf zur Demo der „Antikriegskoordination“ auch keine Ausführungen über den repressiven Charakter der Diktatur in Russland. Wer diese Verhältnisse und Widersprüche bei der Analyse ignoriert, verweigert sich der Komplexität einer unübersichtlichen Gegenwart. 

Derart vereinfachende Antworten, die durch das schlichte Zusammenkleistern von in Ansätzen durchaus richtigen Positionen (natürlich verdienen Rüstungs-Konzerne, Aufrüstung, Machtblöcke etc. eine radikale Kritik!) entstehen, führen aber angesichts einer sich verändernden und komplexen Realität im Ergebnis zu falschen Forderungen. Leider ziehen diese sich auch durch den Aufruf der „Antikriegskoordination“ zur Demo am 02.09.23 in Berlin. Festzuhalten bleibt: Demos und Kundgebungen entsprechend der ersten und/oder zweiten Option gibt es zum Glück zahlreich – allerdings werden diese nicht von der aktuellen deutschen Friedensbewegung organisiert. 

2. Am Ende seines Textes ist Nowak kurz davor, eine wichtige Überlegung mit Blick auf die Friedensbewegung zu Papier zu bringen, führt den Ansatz seines Gedanken dann aber nicht konsequent zu Ende. Er erwähnt die rechte Agitation Ende der 1930er Jahren in den USA gegen deren Eintritt in den Krieg gegen NS-Deutschland. Und er benennt den erfolgreichen Krieg der Alliierten gegen Deutschland als Voraussetzung für den Schwur der Überlebenden von Buchenwald. 

Um das Weiter-Denken der hier von Nowak bedauerlicherweise auf halber Strecke abgebrochen Argumentation zu bestärken, sei hier gerne noch das Selbstverständnis der Internationalen Brigaden, die die Spanischen Republik mit Waffengewalt gegen den faschistischen Putsch zu verteidigen versuchten, erwähnt. Oder die erfolgreiche Kampagne „Waffen für El Salvador“ in der westdeutschen Linken in den 1980er Jahren. 

Mit diesen historischen Erfahrungen im Hinterkopf wird deutlich, wie Antifaschismus und Friedensbewegung zueinander im Verhältnis stehen: „Nie wieder Krieg!“ meint „Nie wieder werden wir einen Angriffskrieg unterstützen!“, nicht aber den grundsätzlichen Ausschluss von militärischem Eingreifen in bestehende Konflikte. Denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Faschismus verbietet sich jede Interpretation dieses Satzes, die den Antifaschismus wehrlos gegen totalitäre, reaktionäre und/oder faschistische Entwicklungen machen würde. Daraus folgt für die gegenwärtigen Diskussionen: Friedensbewegungen sind nicht aus sich heraus „links“, „progressiv“ oder „antifaschistisch“. 

Eine Abgrenzung gegen jede Form von autoritären, totalitären oder rechten Bewegungen ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine „progressive“ Friedensbewegung. Auch die wohlfeile Kritik an Rüstungsunternehmen und Aufrüstungspolitik, die die Notwendigkeiten des Handelns in konkreten und realen Konfliktsituationen nicht mitbedenkt, macht eine Friedensbewegung nicht zu einem „progressiven“ Projekt. Vielmehr muss sich jede Friedensbewegung daran messen lassen, ob ihre Forderungen dazu beitragen, autoritäre, totalitäre, faschistische oder anderweitig menschenfeindliche Verhältnisse zu bekämpfen, oder ob sie deren Aufrechterhaltung dienen. 

Diese Gedanken zuzulassen, führt zu vielen neuen Fragen, Verunsicherungen und Ambiguitäten, die es erst einmal zu benennen und – günstigenfalls – in weiteren Diskussionsprozessen zu klären gilt. 

Aber sie führen auch zu einer ersten Klarheit: Eine Friedensbewegung, die einfach nur abstrakt Verhandlungen, Abrüstung, Waffenstillstand und Frieden fordert, ist in der Realität komplexer Konflikte in keinem Fall ein progressives, linkes oder antifaschistisches Projekt – ganz egal, wie gut die Abgrenzung gegenüber rechten Projekten gelingt.

ImZweifelFürDenZweifel

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/nie-wieder-krieg-ein-bischen-frieden-ist-nicht-genug-8077.html

und

https://kontrapolis.info/11769/


Erstveröffentlichungsort:
https://www.lotta-magazin.de