Das Bürgergeld wurde in vielen Punkten verwässert. Arme Menschen merken kaum mehr Unterschiede zum Hartz-IV-Regime. Wo bleibt der Protest? Ein Kommentar.

Kein Schonvermögen für die Armen

Wo waren die Proteste der antifaschistischen Bewegung, wenn AfD und Union sich im Krieg gegen die Armen überbieten? Und wäre es gerade bei dieser Auseinandersetzung nicht an der Zeit "Genug ist Genug" und "Wer hat, der gibt" zu sagen. Das sind die Namen von zwei Bündnissen, die sich in den Wochen bei sozialen Protesten engagiert haben.

Als Schlag ins Gesicht des normal arbeitenden Bürgers hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter im Deutschlandfunk-Interview das neu geschaffene „Bürgergeld“ bezeichnet. Die geringfügigen Verbesserungen zum ursprünglichen Gesetzentwurf der Ampelkoalition änderten nichts an der Tatsache, dass sich Arbeit in Deutschland nicht mehr lohne, so Kleinwächter. Anlass des AfD-Unmuts ist das Vorhaben der Regierungskoalition, das Hartz-IV-Regime zu liberalisieren, aber nicht im Grundsatz zu verändern. Das ist die Motivation hinter dem „Bürgergeld“. Aber schon die minimalen Verbesserungen für arme Menschen …

… gingen den Kritikern des Vorhabens von AfD bis Union zu weit. Dabei ist die AfD mit ihrer aggressiven Position gegen angebliche Faule, also Menschen, die nicht bereit sind, Lohnarbeit um jeden Preis anzunehmen, nicht isoliert. Die Unionsparteien ticken genauso.

Die Kritiker haben mit der Drohung, das Gesetz sonst im Bundesrat abzulehnen, durchgesetzt, dass ein Großteil der minimalen Verbesserungen für arme Menschen wieder zurückgenommen wird.

Diese Zugeständnisse an die politische Rechte bedeuten für viele Armutsbetroffene mehr Angst, etwa, die Wohnung zu verlieren oder weiter sanktioniert zu werden, obgleich schon vorher das Geld nicht bis zum Monatsende gereicht hat.

Während sich also vermögende Unionspolitiker feiern lassen, weil sie dafür gesorgt haben, dass das repressive Hartz IV-Regime im Kern weiterbesteht, weist der Jugendmonitor 2022 die Zahl von 4,17 Millionen jungen Menschen in Deutschland in Armutsgefahr aus.

In den letzten Monaten waren erschütternde Berichte über armutsbetroffene Menschen in Deutschland zu lesen. Vermehrt haben auch Armutsbetroffene die Angst überwunden und sich selbst zu Wort gemeldet.

Nun braucht man Verfechtern des Sanktionsregimes nicht vorwerfen, sie würden diese Berichte nicht kennen. Sie wollen mit ihrer Politik dafür sorgen, dass sich an diesen Zuständen nichts ändert. Denn nur so können sie dafür sorgen, dass Menschen Lohnarbeit um jeden Preis annehmen. 

Es geht ihnen darum, den Preis der Ware Arbeitskraft niedrig zu halten. Dafür müssen die Sanktionen gegen die Armen bleiben, denn nur so ist der Niedriglohnbereich garantiert.

Regierungskoalition kann auf die rechte Opposition verweisen

Dass die Regierungskoalition so schnell und geräuschlos eingeknickt ist, spricht Bände. Auch ihnen ist mehrheitlich das Schicksal der armen Menschen egal. Sie können jetzt bei künftigen Wahlkämpfen auf die rechte Opposition zeigen und auf ihre angeblichen Reformvorschlägen verweisen.

In keinen der Bundesländer, in denen die Union mit einer der drei Regierungsparteien koaliert, wurde eine entschiedene Abwehr der Angriffe auf die Armen auch nur in Erwägung gezogen. Dann hatten sie darin erinnern müssen, dass der Eigentümerblock den Armen kein Schonvermögen zugestehen will, während er mit der Ablehnung der Reichensteuer das Vermögen der Reichen schont.

Eine konfrontative Antwort auf den rechten Krieg gegen die Armen hätte bedeutet, notfalls die Koalition mit der Union beispielsweise in Brandenburg oder anderen Bundesländern platzen zu lassen, aber für die Rechte von armen Menschen waren dazu die Parteien der Regierungskoalition nicht bereit.

Die Probleme, die das verschärfte Bürgergeld für die Armen bedeutet, hat im Bundestag die Linkspartei thematisiert. Doch wo bleibt die außerparlamentarische Linke, die seit Monaten einen „heißen Herbst der Sozialproteste“ ankündigt? Ist der schon abgeblasen, nachdem verschiedene Bündnisse mehr oder weniger große Demonstrationen veranstaltet haben?

Dabei würde sich doch ein Erfolg der Proteste nicht in erster Linie an den Teilnehmerzahlen einer Großdemonstration messen, sondern an der Fähigkeit, beispielsweise auf den rechten Angriff auf den armen Menschen zu reagieren. Doch wo waren die Proteste vor den Büros der Parteien des Eigentümerblocks in den letzten Tagen? Wo waren die Proteste der antifaschistischen Bewegung, wenn AfD und Union sich im Krieg gegen die Armen überbieten?

Und wäre es gerade bei dieser Auseinandersetzung nicht an der Zeit „Genug ist Genug“ und „Wer hat, der gibt“ zu sagen. Das sind die Namen von zwei Bündnissen, die sich in den Wochen bei sozialen Protesten engagiert haben.

Auf den Homepages ihrer Initiativen sind Forderungen enthalten, die eigentlich einen Kampf gegen die Angriffe des Eigentümerblocks auf die Armen leicht machen müssten. Doch dazu findet sich dort nichts. In Berlin sind in einigen Stadtteilen, in denen Betroffene sich organisieren, zumindest kleinere Aktionen geplant, etwa gegen die zweiwöchige Schließung des Sozialamts in Berlin-Neukölln. Peter Nowak