Beklemmung kam gestern auf im Luftschutzkeller in Berlin-Wedding. Zum Glück konnte man den unwirtlichen Ort schnell wieder verlassen. Der Besuch ist Teil einer Führung durch das Berliner Antikriegsmuseum, das in dem Haus im Berliner Wedding sein Domizil hat. Das weltweit erste Antikriegsmuseum wurde 1926 von dem Pazifisten Ernst Friedrich eröffnet und von den Nazis geschlossen. 1982 knüpfte Friedrichs Enkel Tommy Spree an die Tradition an und eröffnete das Museum erneut. Seitdem führt er mit einem Team von Freiwilligen auch durch das Haus und erklärt dessen Geschichte. Am 24. Oktober nahm mit Ruslan Kotsaba einer der bekanntesten ukrainischen Pazifisten an der Tour durch das Antikriegsmuseum teil. Kotsaba wurde bereits lange vor den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine wegen seiner Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, …
… verfolgt, saß im Gefängnis und wurde von der extremen Rechten in der Ukraine angegriffen.
Nachdem gegen Kotsaba weitere Anklagen vorbereitet wurden, hat er das Land mittlerweile verlassen. „Die Ukrainische Pazifistische Bewegung ist im Krieg illegal und kann nur konspirativ arbeiten Ich wurde bereits vor dem Krieg von Faschisten angriffen und am Auge verletzt, dafür wurde niemand angeklagt“, berichtet Kotsaba.
Doch in der aktuellen Kriegssituation habe sich die Gefahr für ihn und die rund 100 Mitglieder der Organisation enorm verschärft. Vor dem Krieg wurden die Ultrarechten noch von den ukrainischen Behörden und Geheimdiensten kontrolliert. Diese Kontrolle gibt es jetzt nicht mehr, was das Leben für Menschen wie ihn extrem gefährlich macht. Deshalb will er auch seinen aktuellen Aufenthaltsort vorerst nicht bekannt machen. Deutschland hat wie weitere EU-Länder seinen Asylantrag übrigens abgelehnt.
Breites Desinteresse
Das überrascht Kotsaba allerdings nicht mehr. Längst hat er gemerkt, dass an den Einschätzungen und Erfahrungen von ukrainischen Pazifisten in Deutschland wenig Interesse besteht. Als besonders schmerzlich schätzt er ein, dass vor allem Linksliberale und besonders die Grünen ukrainische Pazifisten ignorieren, auch wenn diese vom Staat verfolgt und von Rechten angegriffen werden.
Das hält Kotsaba besonders verwunderlich bei einer Partei, die einst für den Pazifismus weltweit eingetreten ist und noch immer den Anspruch hat, gegen die Verletzung der Menschenrechte in aller Welt einzutreten. Für Menschen wie Kotsaba setzten sich die Grünen nicht ein, weil sie nicht in ihre Erzählung von der einmütig mit Waffen gegen die russische Besatzung kämpfenden ukrainischen Bevölkerung passen. Doch davon lässt er sich nicht beirren.
Zum überzeugten Pazifisten sei er 2014 geworden, als er als Journalist in den Donbas geschickt worden war und über die Ereignisse auf beiden Seiten der Front berichten konnte. „Ich habe viele Leute interviewt und ihnen in die Augen geguckt. Danach sind sie in den Krieg geschickt worden und gestorben. Da war mir klar, dass ich keine Waffe anrühren werde“, so Kotsaba. Seinen Pazifismus begründet Kotsaba mit seiner Religion, er gehört der griechisch-orthodoxen Glaubensrichtung an.
Interesse hat er auch an anarchistischen Theoretikern wie Kropotkin entwickelt, kritisch sieht Kotsaba allerdings die in anarchistischen Kreisen sehr populäre Machno-Bewegung, die vor fast 100 Jahren zeitweise große Gebiete in der Ukraine kontrollierte. An ihnen kritisiert er, dass sie mit der Waffe in der Hand kämpften und am Ende zu einer Art Sozialbanditen wurden.
Kotsaba: Nur die USA und Russland können den Krieg stoppen
Kotsaba ist überzeugt, dass ein Ende des Krieges nur zustande kommt, wenn sich die Präsidenten Russlands und der USA auf ein Abkommen einigen. Denn längst sei schon klar, dass auf dem Territorium der Ukraine ein geopolitischer Konflikt zwischen dem Westen und Russland ausgetragen wird, auf den auch der ukrainische Präsident Selenskyi wenig Einfluss habe.
Das habe sich vor Monaten gezeigt, als auf Druck des damaligen britischen Ministerpräsidenten Boris Johnson ein in Istanbul ausgehandeltes Abkommen zwischen Russland und der Ukraine gecancelt wurde. Es hätte eine Neutralität der Ukraine vorgesehen. Doch genau darauf wollen sich die westlichen Staaten, die sich jetzt so lautstark als Freunde der Ukraine gerieren, überhaupt nicht einlassen.
Stattdessen werden immer weitere und immer gefährlichere Waffen in die Ukraine geschickt, was Kotsaba vehement kritisiert. Die Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Konflikts werde dadurch zum Opfer des seit 2014 laufenden Konflikts, gibt Kotsaba zu bedenken. Für ihn gehört der bewaffnete Konflikt um den Donbass zur Vorgeschichte.
Aus seiner Sicht wäre es ein großer Fortschritt, wenn es auch in Deutschland mehr Kritik an Waffenlieferungen in die Ukraine gäbe. Er habe aber den Eindruck, dass sich auch linke Gruppen dazu nicht klar positionieren wollen. Manche von ihnen gehörten sogar zu den entschiedenen Befürwortern von Waffenlieferungen an das Land und sprächen dabei von Solidarität mit der Ukraine.
Doch Kotsaba hält es für zynisch, wenn die Lieferung von Waffen, die vor allem die Zivilbevölkerung töten oder verletzen, als Solidarität mit der Ukraine verkauft wird. „Ich setze mich dafür ein, dass die zivile Bevölkerung nicht von den Folgen des Krieges betroffen isst. Das ist besonders in einer Zeit wichtig, in der die zivile Bevölkerung leidet, weil Russland die Infrastruktur zerstört.“
Dieser Krieg habe die zivile Kooperation zwischen Russland, Belorussland und der Ukraine für Jahrzehnte zurückgeworfen, so Kotsabas Einschätzung. Auch die in Deutschland zirkulierenden Szenarien von einen Zusammenbruch Russlands hält er für Wunschvorstellungen, die vor allem in linksliberalen Kreisen kursieren.
Dabei werde übersehen, dass Russland über 48 Millionen wehrpflichtige Männer gegen die Ukraine mobilisieren könne. Eine offizielle Unterstützung von Pazifisten aus Russland, Belorussland und der Ukraine würde dafür sorgen, „dass sich so viele Menschen dem Kriegsdienst entziehen, dass der Krieg nicht mehr weitergeführt werden könnte“, ist Kotsabas optimistisches Zukunftsszenario.
Doch er befürchtet, dass der Krieg, angefeuert von Propaganda auf beiden Seiten, noch Jahre andauert und dann irgendwann eingefroren wird, ohne dass der Konflikt beseitigt ist. So könnte darauf ein langanhaltender Konflikt werden, an dem die Europäische Union zerbrechen könnte Profitieren würden davon vornehmlich die USA.
Preis für einen Hassprediger
Für Kotsaba sagt es viel über die Kriegsbegeisterung der Linksliberalen, wenn ein ukrainisch-nationalistischer Hassprediger wie der Schriftsteller Serhij Zhedan, der die gesamte russische Kultur der letzten Jahrhunderte mit der aktuellen Kriegsführung in Verbindung bringt und in Russen „Schweine“ und „Unrat“ sieht, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt und von einem großen Teil der liberalen Medien bejubelt wird.
Kotsaba kennt Zhedan persönlich. Er sei als Liberaler gestartet, der sich vor allem für Partys interessiert habe, bevor er sich zum ukrainischen Nationalisten wandelte. „Warum bekommt er dafür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den doch viel eher der Whistleblower Julian Assange verdient hat“, fragt sich Kotsaba. Auch er sollte 2019 in Deutschland mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet werden.
Nachdem ein antisemitisch interpretierbarer Satz in einer Rede aus dem Jahr 2011 entdeckt wurde, verzichtete er schließlich auf den Preis. Die Formulierung bedauert Kotsaba heute. Doch mit seinen Verzicht auf den Preis wollte er verhindern, in einer politischen Kampagne gegen Die Linke instrumentalisiert zu werden.
Tatsächlich fällt auf, dass viele derjenigen, die damals berechtigt entsprechende Passagen in Kotsabas Rede anprangerten, kein kritisches Wort darüber formulieren, dass in der Ukraine Statuen des antisemitischen Nationalisten Bandera aufgestellt sind und die rechten Kameraden des Asow-Regiments als Kämpfer gegen den russischen Nationalismus gefeiert werden.
So sagt es tatsächlich viel über die Stimmung in einem Land aus, wenn ein von Verfolgung bedrohter Pazifist wie Kotsaba bestenfalls ignoriert und ein Ultranationalist wie Zhedan hofiert wird. Peter Nowak