Bueren Hermann, «Bewegt Euch schneller Zur Kritik moderner Managementmethoden», Bremen 2022, 320 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 978-3-95651-3329

Agil für den Kapitalismus

Das Buch «Bewegt Euch schneller» von Hermann Bueren ist mehr als eine Kritik an kapitalistischen Managermethoden. Es regt an, zu überlegen, wie eine Selbstorganisation am Arbeitsplatz, die nicht unter der Kontrolle des Managements erfolgt, aussehen könnte.

Satire oder Realität? Nein, um eine Realsatire handelt es sich, wenn VW-Beschäftigte trällern: «Wir sind VW, wir sind okay». Wir sind dann in der schönen neuen Arbeitswelt, in der die Mitarbeiter*innen in ihrer Freizeit auch mal gemeinsam singen, feiern oder Gruppenspiele machen sollen. Schliesslich soll damit das Betriebsklima verbessert und die Produktion gesteigert werden. Das ist das Ziel der modernen Managermethoden, mit denen sich Hermann Bueren in seinen kürzlich im Kellner-Verlag erschienen Buch …

… «Bewegt Euch schneller» auf fast 320 Seiten kritisch auseinandersetzt.

Hype um die Agilität
Bueren war mehrere Jahre Betriebsrat in einem Druckereibetrieb, bevor er auf dem zweiten Bildungswerk Arbeits- und Betriebssoziologie studierte und im Bereich der gewerkschaftlichen Bildung arbeitete. Als Rentner hat Bueren jetzt in seinem Buch kenntnisreich die verschiedenen Managermethoden aus der Perspektive der Lohnabhängigen kritisiert. Im Zentrum seiner Untersuchung steht der Hype um die Agilität, heute das Markenzeichen eines aufgeschlossenen, modernen Unternehmens. «Bereits Mitte der 1980er-Jahre hatte das Wort flexibel die gleiche Funktion wie heute agil», schreibt Bueren. Er betont, dass es darum geht, die Lohnabhängigen durch stetiges Lernen und Anpassungsfähigkeit an die verändernden Marktbedingungen anzupassen. Immer wieder macht Bueren kurze Exkurse in die Geschichte der Managermethoden. Er geht auf tayloristische Modelle in den USA, aber auch verschiedener Betriebsgemeinschaftsmodelle im NS-Deutschland ein und zeigt auf, dass es immer darum ging, möglichst viel Mehrwert aus der Arbeitskraft der Lohnabhängigen herauszuholen. Da wurde den Betriebspsycholog*innen schon vor Jahrzehnten klar, dass es besser gelingt, wenn dabei weniger äusserer Zwang dominiert, sondern die Menschen das Gefühl haben sollen, dass sie selber immer besser und immer schneller arbeiten wollen.

Probleme werden individualisiert
Bueren entlarvt die Rhetorik und Propaganda dieser Managermethoden, denen es auch gelungen ist, Begriffe und Werte zu vereinnahmen, die auch in linken Kreisen beliebt sind. Dazu gehört der Begriff der Selbstorganisation. «Die Teams sollen sich frei und selbstorganisiert in einem Netzwerk mit anderen Teams des Unternehmens bewegen und austauschen können.» Netzwerkähnliche Strukturen statt Herrschaftshierarchien seien daher die Grundlagen künftiger Unternehmensführung. Doch Bueren betont, dass damit nicht alte Träume der Arbeiter*innenbewegung umgesetzt werden. Vielmehr sollten die Lohnabhängigen selbstbestimmt die Zielen des Konzerns umsetzen. Hierin könnte man eine moderne Form der Ideologie der Betriebsgemeinschaft sehen, die durch Hymnen und andere Gemeinschaftssymbolik noch gefestigt werden sollen. Klassenkampfgedanken und engagierte Interessenvertretung der Lohnabhängigen hat da natürlich keinen Platz. Gibt es Probleme im Betrieb, dann werden diese individualisiert. Dafür sorgen dann die Mitarbeiter*innengespräche, die dazu führen sollen, dass die einzelnen Arbeiter*innen im Sinne des Unternehmens funktionieren. Wenn das nicht gelingt, gelten sie als Minderleister*innen, von denen sich das Unternehmen trennen muss. Dabei wird natürlich immer das Team als Begründung angeführt, dem es nicht mehr zumutbar sei, dass jemand, der oder die nicht genug Einsatz zeigt, weiter dort mitarbeiten kann.

Eigensinn und Aufgeschlossenheit
Bueren zeigt an vielen Beispielen auf, dass die Konflikte einer kapitalistischen Arbeitsorganisation in den einzelnen Lohnabhängigen verlagert werden. Der hat im Zweifel nicht ein Management, sondern ein Team vor sich, vor dem er sich rechtfertigen muss, wenn er die geforderte Leistung nicht erbringen konnte. «Wo Arbeitern Respekt gezollt wird, ist von Ausbeutung nicht mehr die Rede, es ist die romantische Verklärung schnöder Profitvermehrung», zitiert Bueren den Publizisten Felix Klopotek. Es ist auch knapp zusammengefasst der Kommentar über die Realität der agilen Arbeitswelt. Doch Buerens Buch zeigt immer wieder auf, dass sich die Managerträume oft nicht erfüllen.
Es ist ein besonders Plus des Buches, dass Bueren nicht nur die Methoden der modernen Managermethoden offenlegt, sondern auch den Widerstand dagegen deutlich macht. Er zeigt auf, dass der Widerstand der Beschäftigten und die Renitenz am Arbeitsplatz auch durch die modernen Managermethoden nicht gebrochen werden kann. «So wie ein Normalvollzug in der Arbeitsorganisation existiert, so zieht sich durch die Geschichte der kapitalistischen Arbeitsorganisation auch ein Ringen der Beschäftigten um eine andere Form und Organisation der Arbeit. In diesen Kämpfen werden neben Widerstand und einer gesunden Form von Eigensinn auch Aufgeschlossenheit sowie Interesse an einer intelligenteren, menschlicheren, ressourcenschonenden Arbeit erkennbar.», schreibt Bueren.

Die Plakat-Gruppe
Im letzten Kapitel unter dem programmatischen Titel «Anders arbeiten» skizziert Bueren an Initiativen der proletarischen Selbstorganisation, die in den letzten Jahrzehnten aus den Fabriken kamen und eine Selbstorganisation der Beschäftigten allerdings nicht unter dem Vorgaben der kapitalistischen Profitmaximierung zum Ziel hatten. Er erinnert an die die Plakat-Gruppe, einen Kreis oppositioneller Betriebsräte im Daimler-Benz-Werk von Untertürkheim, die in den 1970er-Jahen ihre Kolleg*innen fragten: «Was können wir eigentlich mit so einer Anlage anderes herstellen als Achsen, Kurbelgehäuse und Zylinderköpfe für PKWs?» Diese Fragestellung ist heute noch aktueller geworden und könnte die Basis einer Kooperation zwischen Arbeiter*innen- und Klimabewegung sein. Vorbild könnte die Kooperation zwischen ausserparlamentarischer Linken, Beschäftigten des Rüstungskonzerns Lucas Aerospace und kritischen Wissenschaftler*innen sein, die in den frühen 1970er-Jahre Modelle in Grossbritannien für die Umwandlung eines Rüstungsbetriebs in eine Produktionsstätte für lebenswichtige Produkte entwickelte. Daher ist das Buch mehr als eine Kritik an kapitalistischen Managermethoden. Es regt an, zu überlegen, wie eine Selbstorganisation am Arbeitsplatz, die nicht unter der Kontrolle des Managements erfolgt, aussehen könnte.

Die Rolle der Gewerkschaften
Kürzlich hat Bueren seine Thesen zu den modernen Managermethoden in der agilen Arbeitswelt für das Institut für sozialökologisches Wirtschaftsforschung (ISW) in Kurzfassung in einer Broschüre unter dem Titel «Arbeitsintensität und Leistungssteigerung» zusammenfasste. Dort geht er kritisch auf die Rolle der Gewerkschaften zur Einführung der neuen Managermethoden ein. Sie würden zwar die zunehmende «Arbeitsintensität und Leistungssteigerung» beklagen, aber zur Frage der Arbeitsorganisation keine Haltung einnehmen, so seine Kritik. Mit seinen Schriften kann Bueren dazu beitragen, dass sich dieser Zustand ändert. Peter Nowak