Innerparteiliche Reaktionen auf die Wagenknecht-Rede von letzter Woche lassen wenig Hoffnung auf friedliche Koexistenz. Aber wäre die Trennung nicht auch eine Chance?

Wagenknecht-Dilemma der Linken: Spaltung als Chance?

Da bekommt plötzlich eine Rede des als Wagenknecht-Anhänger geltenden ehemaligen Linkspartei-Abgeordeten Dieter Dehm Ende August auf dem Pressefest der kleinen Deutschen Kommunistischen Partei in Zeitungen eine besondere Bedeutung. Die taz interpretiert Dehms Forderung, zur Europawahl in einen breiten Bündnis anzutreten, als Absatzbewegung des Wagenknecht-Flügels: Die Europawahl, bei der man ohne Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen kann, könnte nach dieser Lesart ein Probelauf werden.

Innerparteiliche Reaktionen auf die Wagenknecht-Rede von letzter Woche lassen wenig Hoffnung auf friedliche Koexistenz. Aber wäre die Trennung nicht auch eine Chance? Es gebe keine Redeverbote im Bundestag, lautet die hilflose Erklärung des Fraktionschefs der Linken, Dietmar Bartsch, im Deutschlandfunk. Nach der auch innerparteilich vieldiskutierten Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag wurde nicht nur deren Ausschluss aus der Fraktion, sondern auch sein Rücktritt als Fraktionsvorsitzender gefordert. Unterschriften für Offene Briefe werden zwar ständig gesammelt und sind meist schnell vergessen. Doch der Offene Brief, der von drei Politikerinnen der Linkspartei unter dem Motto „Es reicht“ initiiert wurde, könnte mit entscheiden, ob es künftig noch Die Linke in Fraktionsstärke in Parlament geben wird. In dem Brief wird …

… ein Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Fraktion gefordert. Mittlerweile gehört mit Martina Renner eine profilierte Bundestagsabgeordnete der Linken zu den Unterzeichnerinnen.

Doch den Initiatorinnen dürfte klar sein, dass es dabei nicht bleiben würde. Weitere Unterstützer Wagenknechts würden dann wohl auch die Fraktion verlassen. Doch das ist eine hypothetische Frage. Schließlich hatten in der Fraktion bisher die Wagenknecht-Unterstützer die Mehrheit, was sich vor einigen Monaten an der Wahl von Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Ausschusses für Energie und Klimaschutz im Bundestag ebenso zeigte, wie dadurch, dass Wagenknecht letzte Woche ihre umstrittene Rede halten konnte.

Wie hilflos Bartsch darauf reagiert, zeigt sich daran, dass er über angebliche Redeverbote im Bundestag schwadroniert, die in dem Offenen Brief gar nicht gefordert wurden. Die Unterzeichner wollen verhindern, dass Wagenknecht im Namen der Fraktion Die Linke spricht.

Einige ihrer Kritikpunkte sind berechtigt: Wagenknecht stellte in ihrer kurzen Rede keine Programme zur sozialen Umverteilung vor, machte nicht die einkommensarmen Teile der Bevölkerung zum Bezugspunkt und gerierte sich als Verteidigerin des deutschen Wirtschaftsstandorts. Doch der zentrale Kritikpunkt ist, dass Wagenknecht von einem Wirtschaftskrieg sprach, den Deutschland gegen Russland führe.

Streit um zwei Taktiken

Nun ist es sicher richtig, darüber zu streiten, ob ein Embargo und ähnliche Maßnahmen wirklich probate Mittel sind, um zu einer Beendigung des Kriegs in der Ukraine zu kommen. Dass als Folge des russischen Einmarsches aber von den meisten Ländern des globalen Westens und auch von Deutschland ein Wirtschaftskrieg gegen Russland ausgerufen wurde, dürfte doch eigentlich unstrittig sein.

Die Frage dürfte sich auch stellen, warum in dem Offenen Brief nicht konsequenterweise Wagenknechts Ausschluss aus der Partei gefordert wird. Schließlich sind im Parteivorstand nach dem letzten Parteitag die Wagenknecht-Kritiker eindeutig in der Mehrheit, anders als in der Fraktion. Nun könnte man denken, dass auch diese Initiative versanden wird, wenn es in der Fraktion keine Mehrheit für den Ausschluss gibt.

Doch mit den Brief hat sich eine schon länger schwelende Auseinandersetzung in der Linken zwischen mindestens zwei unterschiedlichen Taktiken erheblich zugespitzt. Wagenknecht und ihr Flügel wollen vor allem subjektiv „unpolitische“ Menschen ansprechen, aber auch „Protestwähler“ rechter Parteien. Daher bedient sie eine sozialkonservative Argumentation, die Wagenknecht auch in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ formuliert hat.

Sie und ihre Anhänger halten nichts davon, mit den Grünen um das bessere Umweltprogramm zu streiten. Sie wollen die Menschen ansprechen, die von der Politik enttäuscht sind und womöglich sogar rechts wählen. Daher bezog sich Wagenknecht auch positiv, auf eine Protestdemonstration gegen hohe Energiepreise in Prag, wo Rechte, aber auch Mitglieder der Kommunistischen Partei und viele „unpolitische“ Menschen anwesend waren.

Wagenknechts Kritiker warnen hier vor einer Querfront und riefen stattdessen zu Großdemonstrationen wie „Unteilbar“ auf, die von Wagenknecht und Co. wiederum kritisiert wurden, obwohl sich auch schon Mitglieder der von ihr mit ins Leben gerufenen Initiative „Aufstehen“ an „Unteilbar“-Demos beteiligten. Wagenknecht & Co. sehen dort aber die überzeugten Linksliberalen weitgehend unter sich, ein Großteil der Bevölkerung werde damit nicht erreicht, so ihre Einwände.

Ist die Trennung unvermeidlich?

Es ist unbestritten, dass Wagenknecht und ihre Anhänger mit ihrer Forderung nach Öffnung der Pipelines durchaus Unterstützung quer durch das politische Spektrum bekommen. Darunter sind viele Verbände und Menschen, die direkt von der Energiekrise betroffen sind. Das klimabewegte Spektrum und Linksliberale hingegen dürften sich dafür kaum gewinnen lassen.

Wie soll also solche diametral entgegensetzte Positionen in einer Partei koexistieren? Sind da Blockaden und Enttäuschungen auf beiden Seiten nicht fast unvermeidlich? Spätestens nach dem Echo auf die Wagenknecht-Rede scheint die Frage nicht mehr aufzuschieben. Da beginnen schon die politischen Einordnungen. Für die linksliberale taz ist schon länger klar, dass es zu einer Trennung kommen muss – und sie hat dafür auch politische Klassifizierungen bereit:

Das Wagenknecht-Lager hat mit der Linken gebrochen. Es schaut nur noch mit Verachtung auf all jene, die in der Partei seinen deutsch-nationalen und gesellschaftspolitisch konservativen Kurs nicht mitgehen wollen. Mit ihm ist eine demokratisch-sozialistische Alternative links von SPD und Grünen nicht mehr möglich. Da hilft auch nicht, wenn die Parteiführung die Einheit der Partei beschwört. Da geht nichts mehr zusammen. 

Pascal Beucker, taz

Dazu muss man wissen, dass die taz seit Jahren Wagenknecht und ihren Flügel kritisiert – vor allem, weil er ein Hinderungsgrund für das dort favorisierte Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linken sein könnte. Wagenknecht wurde dort schon kritisiert, als sie als Mitglied der Kommunistischen Plattform die SPD und die Grünen klar von links kritisierte – lange bevor sie in Sachen Migrations- und Klimapolitik selbst Kritik von links auf sich zog.

Wenn sie jetzt besonders pointiert den Grünen-Posterboy Robert Habeck wegen seiner Energiepolitik zum Rücktritt als Bundeswirtschaftsminister auffordert, ist das nur die Fortsetzung. Nur argumentiert sie jetzt mit dem Schaden für den deutschen Wirtschaftsstandort. Für ihre innerparteilichen Kritiker wie auch für die Taz ist das dann Nationalismus.

Dass ist eine berechtigte Kritik, wenn sie von Menschen kommt, die generell gegen den Bezug auf einen Wirtschaftsstandort und deutsche Wirtschaftsinteressen argumentieren. Nur wird die Kritik an Wagenknecht und Co. dann unglaubwürdig, wenn es in der taz wenig Kritik an Habecks Forderungen nach einem „ökologischen Patriotismus“ gegeben hat.

Wer aber den Nationalismus in ökologischen Gewand nicht kritisiert, sollte auch Wagenknecht nicht Nationalismus vorwerfen. Übrigens galt das schon bei der berechtigten Kritik an Wagenknechts migrationskritischer Haltung: Da gibt es Menschen in und außerhalb ihrer Partei, die sich kaum über die täglich real stattfindenden Abschiebungen aufregen, aber jede Äußerung von Wagenknecht, die in diese Richtung geht, schon fast in Faschismusnähe rücken.

Erinnerung an eine vergessene Boykott-Debatte vor 40 Jahren

Wagenknechts Standortverteidigung muss übrigens kein Bruch mit ihrer traditionskommunistischen Vergangenheit sein. Dazu lohnt ein Blick, auf eine weitgehend vergessene Diskussion um einen Boykott sowjetischer Gasröhren, der von den USA nach dem Einmarsch der Roten Armee nach Afghanistan Anfang der 1980er-Jahre durchgesetzt wird.

Auch damals ging es um Erdgas-Pipelines. Die damalige deutsche Friedensbewegung wandte sich gegen diesen Boykott, hauptsächlich mit einem Argument, für das sich jetzt auch der Publizist Michael Jäger in der Wochenzeitung Freitag starkmacht.

Wer miteinander Handel treibt, schießt nicht so schnell aufeinander, so die damalige Argumentation. Aber damit allein konnte man wohl in Deutschland die Massen nicht begeistern. Daher wurden auch damals Stimmen gegen das Embargo laut, die mit dem Wirtschaftsstandort BRD argumentierten.

So kamen plötzlich in DKP-nahen Medien wie der Deutschen Volkszeitung/ Die Tat auch Großkapitalisten wie der Krupp-Manager Berthold Beitz positiv zu Wort, weil er aus ökonomischen Gründen gegen das Röhren-Embargo war. Über diese Volksfront von DKP bis Beitz wurde damals von linken Antimilitaristen mit Recht gespottet. Aber darauf können sich Wagenknecht und Co. jetzt bei ihrer Verteidigung des deutschen Wirtschaftsstandorts berufen.

Wenn ein DKP-Fest zum Aufreger wird

Da bekommt plötzlich eine Rede des als Wagenknecht-Anhänger geltenden ehemaligen Linkspartei-Abgeordeten Dieter Dehm Ende August auf dem Pressefest der kleinen Deutschen Kommunistischen Partei in Zeitungen eine besondere Bedeutung. Die taz interpretiert Dehms Forderung, zur Europawahl in einen breiten Bündnis anzutreten, als Absatzbewegung des Wagenknecht-Flügels: Die Europawahl, bei der man ohne Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen kann, könnte nach dieser Lesart ein Probelauf werden.

Ist er erfolgreich, könnte sich so ein linkes Bündnis neben der Partei Die Linke zur Wahl stellen. Unterstellt, es gibt einen solchen Plan, dann würde auch Wagenknechts so umstrittene Rede im Bundestag Sinn machen. Sie hat die Aufmerksamkeit auf die Politikerin gerichtet, die für einen solchen Bündnisversuch von Vorteil ist. Doch bleibt die Frage, ob es diesen Plan gibt.

Eine ehemalige Mitarbeiterin des langjährigen Bundestagsabgeordneten Dehm bestreitet, dass er mit der Rede auf dem UZ-Pressefest praktisch eine Spaltung vorbereitet. Das muss sich nun bald zeigen. Für Die Linke insgesamt wäre es vielleicht sogar die beste Lösung. Die Verhärtungen der letzten Monate machen eine Zusammenarbeit in der bisherigen Form kaum noch möglich.

Mit einem Wahlantritt könnte der Wagenknecht-Flügel praktisch beweisen, wie hoch die Unterstützung real ist. Das Scheitern der Bewegung „Aufstehen“ war da wenig ermutigend. Doch auch die Wagenknecht-Gegner in der Partei müssten dann den Beweis führen, dass sie ja ohne das lästige Wagenknecht-Lager viel erfolgreicher wären. Auch das ist längst nicht ausgemacht. Aber dafür muss zunächst jemand den Knoten durchschlagen und die Trennung erklären. Bis es so weit ist, geht die Agonie der Linkspartei weiter.Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort: