»Hier wohnte Paul Schiller – Jahrgang 1895, Mitglied der KPD, ermordet am 22.4.1944« steht auf einem Stolperstein, der vor einem Haus in der Rochowstraße in Berlin-Friedrichshain in den Boden einge lassen ist. Er ist die einzige Erinnerung an einen Mann, der wenige Tage vor der Be freiung vom Faschismus starb, als er mit einer kleinen Gruppe von Antifaschist*innen den Krieg verkürzen wollte. Sie nannte sich …
… »Kampfgruppe Osthafen«, nach der damals in der Gegend bekannten Hafenanlage an der Spree, und setzte sich aus Mitgliedern von KPD und SPD sowie Parteilosen zusammen. Einige waren im Nationalkomitee Freies Deutschland organisiert und wenige Monate vor der Befrei ung mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesprungen, um militärische Objekte in Berlin zu erkunden und Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung herzustellen. Zu diesen kontaktierten Personen gehörte auch Paul Schiller. Über ihn ist bislang nur bekannt, dass er in der Weimarer Republik Mitglied der KPD war und kurz vor Ende des NS-Regimes eine zentrale Rolle in der »Kampgruppe Osthafen« innehatte. Von deren Berliner Stützpunkt aus, in der Stralauer Allee 26, versuchten die Antifaschist*innen fanatische Nazis zu entwaffnen, Wehrmachtsoldaten und junge Flakhelfer zu überreden, die Waffen nie derzulegen. Sie sprengten Munitionslager und verhinderten im letzten Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am Osthafen. Bei einer solchen Aktion starben Paul Schiller und sein Gefährte Fritz Fieber. Darüber schrieb Heinz Müller, Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, in dem von ihm 1975 herausgegebenen Buch »Kampftage in Berlin – Ein deutscher Antifaschist und Internationalist berichtet«. Heute ist das Buch, in dem ein Kapitel der »Kampfgruppe Osthafen« gewidmet ist, nur noch antiquarisch zu erhalten. Berührend schreibt Müller darüber, wie er vom Tod von Schiller und Fieber erfuhr:
»In diesen Minuten verspürte ich die Schwere der Verantwortung, die auf uns lastete, besonders deutlich. Ich blickte in die Gesichter der beiden Genossen und dachte: Zwölf Jahre haben sie in Not und Gefahr ihrer Partei die Treue in dem Be wusstsein gehalten, dass der Tag der Befreiung kommen wird. Wie viel Hoffnung haben die Genossen darauf gesetzt, an diesem Tag mit dabei sein zu können.«
Der achtseitige Text im Buch von Mül ler ist eine der wenigen historischen
Quellen über die Osthafen-Gruppe und ihren wichtigen Kampf gegen die Kriegsmaschinerie in den letzten Tagen des deutschen Faschismus. Wie vergessen dieser Widerstand war, zeigt sich schon daran, dass auf dem Stolperstein für Paul Schiller das falsche Todesjahr eingraviert
ist: Statt 1945 steht dort irrtümlich 1944.
Der Stolperstein weckte das Interesse
Dieser Stolperstein, der von der Verei nigung der Nazi-Verfolgten in Auftrag gegeben wurde, die seit der Fusion vor fast zwei Jahrzehnten den Zusatz »Bund der Antifaschisten« trägt (VVN-BdA), hatte das Interesse einer Stadtteilgruppe ge weckt, die 2021 zum Jahrestag der Reichspogromnacht einen Spaziergang zu den Stolpersteinen im Kiez organisierte. Dabei wurden sie auf den Stolperstein von Schiller aufmerksam gemacht. »Wir be gannen zu recherchieren und erfuhren so von der Widerstandsgruppe ›Kampfgrup pe Osthafen‹. Als wir feststellten, dass de ren Geschichte weitestgehend unbekannt ist, wollten wir das nicht einfach auf sich beruhen lassen. Dem mutigen Wider stand einer aktiven Widerstandsgruppe in unserem Kiez wollten wir Tribut zollen«, erklärt Timo Steinke von der Initiative »Wem gehört der Laskerkiez?«. Von einigen Anwohner*innen kamen positive Reaktionen, dass an eine Wider standsgruppe erinnert wird, die heute vergessen ist. Die Initiative will die Gedenkarbeit fortsetzen. So wolle man sich bemühen, dass auf dem Stolperstein das Todesjahr korrigiert wird. Zudem will man mehr Informationen über weitere Mitglieder der »Kampfgruppe Osthafen« einholen. Dazu gehörten auch Frauen wie die 1992 verstorbene Kommunistin Gertrud Lewke. Die Initiative hofft, noch Verwandte der einstigen Mitglieder dieser Widerstandsgruppe ausfindig zu machen. Allein dieses Beispiel macht deutlich, dass es auch fast acht Dezennien nach dem Ende der Naziherrschaft Männer und Frauen gibt, deren Zivilcourage und Opfer in dunkelster Zeit noch immer weitgehend
unbekannt sind, deren Leben und Han deln erforscht und als Mahnung sowie
Vorbild für heutige Kämpfe gegen Rechtspopulismus und erstarkenden Rechtsradikalismus veröffentlicht werden sollte Peter Nowak