Gegen den Irak-Krieg 2003 gingen noch Tausende auf die Straße. Angesichts der Eskalationspolitik beider Seiten im Ukraine-Konflikt bleibt es auf den Straßen erstaunlich still

Stell dir vor, es werden Kriege vorbereitet und keiner protestiert

Schließlich gehören zu den Exponenten einer unabhängigen Ukraine Politiker, die sich auf nationalistische Bewegungen berufen, die schon nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit Hitler-Deutschland kooperiert haben. Es ist kein Zufall, dass in der neuen Ukraine, die nach den Unruhen auf dem Kiewer Maidan entstanden ist, der ukrainische Nationalistenführer Stephan Bandera stark verehrt wird. Er hatte nach 1941 zeitweise mit Deutschland kooperiert und floh nach der Niederlage der Nazis in die BRD, wo er 1959 wahrscheinlich durch einen Anschlag des KGB getötet wurde.

„Friedenspolitik statt Kriegshysterie“, lautet ein aktueller Aufruf von Kriegsgegnern. In die gleiche Richtung geht ein Appell der Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung eines Atomkriegs (IPPNW). Bei solchen Appellen ist es bisher geblieben, obwohl die Eskalation um die Ukraine seit Wochen gesteigert wird. Jeden Tag werden russische Angriffsszenarien lanciert. Bürger westlicher Staaten werden aufgefordert, die Ukraine zu verlassen, sodass man fast den Eindruck gewinnt, eine militärische Auseinandersetzung sei unausweichlich. Selbst die ukrainische Regierung war teilweise nicht erfreut über die zugespitzte Rhetorik, die vor allem von den USA ausgegangen ist und der Ukraine selbst auch schadet. Diese Kriegsrhetorik ist mehr als ein Bluff, man kann schon von einem geopolitischen Spiel ausgehen, an dem sich alle Seiten beteiligen. Auch Russland trägt mit den Truppenbewegungen und Manövern dazu bei. Einen mindestens ebenso großen Anteil haben die …

… USA und andere westliche Staaten, die in den letzten Wochen massiv Waffen und Soldaten in Osteuropa stationiert haben. Im Windschatten der Kriegsrhetorik wurde ein Militärvertrag zwischen den USA und der Slowakei geschlossen, der in dem Land auf massiven Widerstand stößt.

Selbst das höchste slowakische Gericht hat verfassungsrechtliche Bedenken, die aber von der aktuellen prowestlichen Präsidentin und einer Zufallsmehrheit im dortigen Parlament übergangen wurden. Da in der Slowakei lange Regierungen an der Macht waren, die auf gute Kontakte zu Russland Wert legten, haben die westlichen Staaten die Gunst der Stunde genutzt, um den Vertrag schnell durchzusetzen. Dass sind nur ein paar Beispiele, wie diese Rhetorik genutzt wird, um geopolitische Fakten zu schaffen.

Geopolitischer Konflikt auch in der „westlichen Welt“

Die USA wollen in Zeiten der Kriegsgefahr wieder die Führung des sogenannten Westens übernehmen und haben deshalb unverkennbar in den letzten Wochen den Konflikt eskaliert. Es war die Biden-Administration, die ständig über einen drohenden Einmarsch Russlands in die Ukraine geredet und damit sogar die ukrainische Regierung verärgert hat. Es ist auch auch die Biden-Administration, die in Osteuropa Waffen und Nato-Soldaten transportiert.

Auch beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den USA ist vergangene Woche deutlich geworden, wie Biden wieder Führungsfunktionen der westlichen Welt übernehmen will. Er erklärte im Beisein von Scholz, dass der Nord-Stream-2-Vertrag tot sei, wenn Russland in der Ukraine weiter eskaliere. Scholz schwieg dazu. Es war unverkennbar, dass auch hier geopolitische Machtspiele ausgetragen wurden.

Es war auch die US-Administration, die den französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach seinen Moskau-Besuch in der letzten Woche hat auflaufen lassen. Während Macron erklärte, er habe mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Schritte der Deeskalation vereinbart, verlegte die Nato weiterhin Waffen und Soldaten nach Osteuropa. Von der Deeskalation, über die Macron mit Putin gesprochen hatte, war bald keine Rede mehr.

Hier kann man durchaus auch die geopolitischen Konflikte innerhalb der Nato erkennen. Die USA hat natürlich nicht vergessen, dass Macron die Nato für hirntot erklärt hat und schon länger eine stärkere Formation der EU-Länder, durchaus in Abgrenzung zur USA, favorisiert hat.

Daher hatte die Biden-Administration auch kein Interesse, daran dass Macon mit seiner Deeskalations-Initiative womöglich Erfolg hat. Auch die Beziehungen der US-Regierung zur Ukraine sind nicht konfliktfrei. Erinnert sei nur an die bis heute unaufgeklärte Ukraine-Affäre der Biden-Familie. Der Vorwurf, dass Biden selbst für die Entlassung eines ukrainischen Generalstaatsanwalts gesorgt habe, um Ermittlungen gegen seinen Sohn, der in der Ukraine geschäftlich aktiv war, zu verhindern, ist nicht aufgeklärt.

Donald Trump hat im Wahlkampf diese ungeklärte Affäre auf populistische Weise gegen Biden auszunutzen versucht. Doch schon vorher hatten Medien die Rolle Bidens und seines Sohnes in der Ukraine problematisiert. Nach Trumps Abwahl ist das Thema aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Dabei wäre es wichtig, zu sehen, ob nicht auch solche alten Konflikte bei der aktuellen Eskalation rund um die Ukraine eine Rolle spielen. Es ist jedenfalls unverkennbar, dass in den letzten Tagen bei der zunehmenden Eskalation die US-Administration unter Biden nicht immer mit der ukrainischen Regierung einig war.

Stunde der Vermittler?

Es ist auch unverkennbar, dass es in Teilen der europäischen Eliten vorsichtige Absetzbewegungen vom Eskalationskurs der USA gibt. Der Besuch Marcons in Moskau gehörte dazu, der Besuch von Scholz bei Putin ebenso. Dabei ist es klar, dass die Politiker immer besonders die Geschlossenheit des Westens und die unverbrüchliche Solidarität mit der Ukraine betonen. Das gehört zu ihrer Rolle.

Wichtiger ist es, auf die Untertöne zu hören. Da wurden in den letzten Tagen durchaus erste Ansätze eines Ausstiegs aus der Eskalationsrhetorik deutlich. Da wurde zaghaft angemahnt, dass man natürlich auch die russischen Interessen berücksichtigen müsse, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine aktuell schon aus Satzungsgründen nicht in Frage kommt. Das sind deutlich andere Töne als die trotzige Bekundung, allein die ukrainische Regierung entscheide, ob sie zur Nato gehören will oder nicht.

Die Behauptung ist ja schon faktisch falsch, weil die Nato natürlich über die Kriterien der Aufnahme entscheidet – und die sind eben bei der Ukraine aktuell nicht erfüllt. Allein die Benennung dieses schlichten Fakts kann in diesen Tagen schon ein Schritt zur Deeskalation sein. Und dann kommt natürlich noch das Minsker Abkommen ins Spiel, das die Ukraine nicht umsetzen will, weil es die abtrünnigen Landesteile im Osten aufwerten würde.

Dass vor allem Macron und auch Scholz das Minsker Format wieder in die Diskussion gebracht haben, brachte ihnen bei den besonders treuen Ukraine-Freunden den Ruf ein, sie würden damit das Land verraten. So schreibt Barbara Oertel in der taz:

Schon jetzt ist für weite Teile der ukrainischen Gesellschaft „Minsk“ gleichbedeutend mit einer als schmachvoll empfundenen Kapitulation. Zudem haben immer mehr Ukrainer*innen den Eindruck, auch Frankreich und Deutschland übten als Vermittler im Normandieformat Druck auf Kiew im Sinne Moskaus aus, die Minsker Vereinbarungen ins Werk zu setzen. Dabei heißt es doch immer so schön, es würden keine Entscheidungen über die Ukraine getroffen, sondern nur mit ihr.

Barbara Oertel, taz

Auch die Organisatoren Münchner Sicherheitskonferenz, die nächstes Wochenende wieder in der bayerischen Landeshauptstadt tagt, üben sich jetzt scheinbar in der Rolle der Vermittler im Ukraine-Konflikt und drängen darauf, dass ein hochrangiges Mitglied der russischen Regierung an der Konferenz teilnimmt, obwohl sie bisher durch eine harte Haltung gegenüber Russland aufgefallen sind. Nun hat die alljährliche Münchner „Siko“ in Kreisen der Friedens- und Antimilitarismusbewegung keineswegs den Ruf, für Frieden und Verständigung auf der Welt einzutreten. Im Gegenteil.

Seit vielen Jahren gibt es Proteste gegen sie. Auch in diesem Jahr ist am 19. Februar eine Demonstration in München geplant. Im Protestaufruf wird dazu aufgefordert, den „Kriegskurs der Nato-Staaten“ zu stoppen. Die aktuelle Eskalation um die Ukraine findet allerdings kaum Erwähnung in dem Text. Auch ist die Mobilisierung zu den Protesten gegen die „Siko“ pandemiebedingt wesentlich geringer als in den früheren Jahren. Dabei müsste eigentlich die aktuelle Eskalation rund um die Ukraine dafür sorgen, dass die Proteste wachsen.

Wo bleiben die Proteste gegen den drohenden Krieg in Europa?

Es ist überhaupt auffällig, dass es trotz der wochenlangen Eskalation mit Ansage rund um die Ukraine keine wahrnehmbare Protestbewegung dagegen gibt. Das ist umso bemerkenswerter, als gegen die Kriege in Afghanistan oder dem Irak noch Tausende auf die Straße gegangen sind. Schon im Vorfeld gab es Großdemonstration, auf denen zur gewaltfreien Konfliktlösung aufgerufen wurde – im Fall des Irak-Krieges wurde auch die Rolle der USA als Kriegstreiber hervorgehoben.

Man denke nur an die vielen Menschen, die im Vorfeld des Golfkrieges 1990/91 demonstriert hatten, beim Krieg gegen Afghanistan oder gegen den Irak 2003 waren es schon weniger. Aber es war noch eine wahrnehmbare Menge. Da stellt sich natürlich die Frage, warum gehen die Menschen nicht auf die Straße, um eine Deeskalation im Ukraine-Konflikt von allen Seiten zu fordern? Vorschläge gäbe es genug.

Einer könnte heißen, keine weitere Stationierung von Soldaten und Waffen der Nato in Osteuropa, Neutralität der Ukraine und ein gegenseitiges Sicherheitsabkommen zwischen Russland und der Ukraine beispielsweise. Es stellt sich schon die Frage, ob heute so wenige Menschen auf die Straße gehen, weil allein die Bildung einer unabhängigen Ukraine ein Erfolg für Deutschlands Europapolitik ist.

Schließlich gehören zu den Exponenten einer unabhängigen Ukraine Politiker, die sich auf nationalistische Bewegungen berufen, die schon nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit Hitler-Deutschland kooperiert haben. Es ist kein Zufall, dass in der neuen Ukraine, die nach den Unruhen auf dem Kiewer Maidan entstanden ist, der ukrainische Nationalistenführer Stephan Bandera stark verehrt wird. Er hatte nach 1941 zeitweise mit Deutschland kooperiert und floh nach der Niederlage der Nazis in die BRD, wo er 1959 wahrscheinlich durch einen Anschlag des KGB getötet wurde.(Peter Nowak)