Die Debatte in Deutschland will die Geschehnisse im Nahen Osten ausblenden und auch vergessen machen, dass es antisemitische Stereotype in allen politischen Lagern in Deutschland gibt. Kommentar

Wenn nur gegen israelbezogenen Antisemitismus mit aller Härte vorgegangen wird

Indem unter Trump mit der Zweistaatenlösung ein Begriff abgeräumt wurde, der schon längst nicht mehr realitätstauglich war, konnte an Perspektiven gearbeitet werden, die gar nicht so neu sind, aber gerade mit Verweis auf die Zweistaatenlösung immer abgewehrt wurden: Dass die Menschen auf diesem Gebiet vielleicht in einen Staat gemeinsam leben können. In den letzten Jahren bekam diese Idee, die lange Zeit nur von einem linken Spektrum unter den Palästinensern und den Juden vertreten wurde, mehr Unterstützer in beiden Lagern.

Kaum eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern, beginnt auch in Deutschland die Debatte, bei der Kritik an der Rolle der israelischen Regierung im Konflikt in Antisemitismus umschlägt. Und dann gibt es die gewohnheitsmäßigen Israelkritiker, wie den Publizisten …

…. Michael Lüders, der in einem Deutschlandfunk-Interview die Angriffe der Hamas auf Israel zwar verurteilt, aber dann vor allem Israel für die Eskalation verantwortlich macht. 

Sicher kann man in der Vorgeschichte des Konflikts, bei den drohenden Zwangsräumungen von arabischen Bewohnern Ostjerusalems, bei den Auseinandersetzungen am Damaskustor in Jerusalem und vor allem auf dem Tempelberg Eskalationsmomente sehen. Doch Spekulationen, dass sich Israels Premierminister, dem es gerade nicht gelungen war, eine Rechtsregierung zu bilden, mit dem Schüren des Konflikts jetzt als starker Mann profilieren will, bleiben vage. 

Vielmehr wollte Netanjahu sogar eine konservativ-arabische Partei mit in seine Regierung aufnehmen, was letztlich am Widerstand ultrarechter israelischer Parlamentarier gescheitert ist. Der neu aufgeflammte Konflikt macht solche Lockerungsübungen für absehbare Zeit unmöglich. Zudem wird bei einer einseitigen Schuldzuweisung an Israel vergessen, dass auch palästinensische Politiker ihre Macht sichern wollen, in dem sie die Straße gegen Israel mobilisieren. 

So kann dann davon abgelenkt werden, dass die immer wieder beschworene Einheitsregierung von PLO und Hamas nicht in Sicht ist. Sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen wären schon längst Neuwahlen nötig gewesen, die immer wieder verschoben werden, was bei Teilen der palästinensischen Zivilgesellschaft auf viel Widerstand stößt. Vor allem jüngere Menschen wollen die alten Streitigkeiten hinter sich lassen und vertrauen weder PLO noch Hamas. 

Warum eskalierte der Konflikt in den letzten Jahren nicht?

Da soll ein neues Kriegsszenario gegen Israel wieder einmal die arabische Straße mobilisieren. Erst das Eingreifen der islamistischen Hamas mit dem Raketenbeschuss Israels hat dann zur Eskalation beigetragen. Hier zeigt sich ein bekanntes Muster: Der Konflikt auf einem relativ kleinen Territorium zwischen arabischen und jüdischen Menschen eskaliert dann, wenn andere Staaten und Bewegungen mit einer islamistischen Agenda wie die Hamas ihn anheizen. Da wäre auch die Frage zu stellen, warum in den letzten Jahren der Konflikt nicht derart eskaliert ist? 

Lag es vielleicht sogar an der Nahost-Politik der Trump-Administration, die immer kurzschlüssig nur als besonders israelfreundlich bezeichnet wurde? Dabei wird übersehen, dass das Team der Nahost-Berater unter Trump, das um Jared Kushner zusammengekommen war, vor allem bemüht waren, verschiedene arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien mit privaten Deals aus der Anti-Israel-Front herauszulösen. 

Dabei ging es vor allem darum, eine Front gegen den Iran aufzubauen und die gemeinsame Gegnerschaft sowohl Israels als der meisten arabischen Staaten zum Iran zu betonen. Doch die unmittelbare Folge dieser Politik bestand darin, dass diese Staaten weniger Interesse zeigten, den Konflikt zwischen Israel und der arabischen Bevölkerung im Westjordan-Land und Gaza von außen zu instrumentalisieren. In dieser Zeit hörte man von den Nahost-Experten oft, die Welt interessiere sich nicht mehr für das Schicksal der Palästinenser. 

Was aber oft im Klageton vorgetragen wurde, könnte gerade ein Pluspunkt gewesen sein. Das hieß konkret, ein relativ regionaler Konflikt wurde weniger mit geopolitischen und religiösen Interessen aufgeladen. Das aber wäre eine wichtige Basis, um zu einer Lösung zu kommen. Die Biden-Administration hingegen erklärte sofort, dass sie wieder zur Nahost-Politik der Vor-Trump-Ära zurückkehren wollte. 

Die Phrase von der „Zweistaatenlösung“ als Hindernis für neue Perspektiven

Die „Zweistaatenlösung“ wurde als Phrase wieder in die politische Propaganda aufgenommen, ohne zu erklären, wie sie denn real umgesetzt werden soll. Unter Trump hingegen wurde davon Abstand genommen, was von vielen Nahost-Experten als Verrat an der Sache der Palästinenser angesehen wurde. Dabei gab es in der arabischen Bevölkerung ganz andere Stimmen. 

Indem hier ein Begriff abgeräumt wurde, der schon längst nicht mehr realitätstauglich war, konnte an Perspektiven gearbeitet werden, die gar nicht so neu sind, aber gerade mit Verweis auf die Zweistaatenlösung immer abgewehrt wurden: Dass die Menschen auf diesem Gebiet vielleicht in einen Staat gemeinsam leben können. In den letzten Jahren bekam diese Idee, die lange Zeit nur von einem linken Spektrum unter den Palästinensern und den Juden vertreten wurde, mehr Unterstützer in beiden Lagern. 

Das hatte weniger ideologische als pragmatische Gründe. Es wurde eingesehen, dass im Jahr 2021 eine Zweistaatenlösung kaum zu realisieren wäre und schon gar kein friedliches Zusammenleben garantieren würde. Ein Zusammenleben in einem Staat würde zumindest nicht neue nationalistische Grenzen bedeuten. Zudem könnten die Menschen auf dem Gebiet schon jetzt erkennen, dass es zwischen jüdischen und arabischen Bewohnern durchaus gemeinsame Interessen gibt. 

Das erkannten auch konservative arabische Gruppen, die in ihrer Kultur- und Familienpolitik mit sehr konservativen jüdischen Gruppen kooperieren können. Es wurde von den internationalen Beobachtern der politischen Situation im Nahen Osten mit Erstaunen registriert, dass nach den letzten Wahlen die konservative arabische Raam-Partei als Bündnispartner von Netanjahu im Gespräch war. Sie hat in Teilen der konservativen arabischen Bevölkerung eine Basis. Dort findet man zur Gesellschaftspolitik durchaus ähnliche Vorstellungen. 

Bei aller Kritik an deren Positionen war die Entwicklung eigentlich erfreulich. Sie zeigte, dass Teile der arabischen und jüdischen Bevölkerung gemeinsame politische Interessen erkannt haben, eine erste Basis für ein Zusammenleben in einen gemeinsamen Staat. Es wäre zu wünschen, wenn auch liberale und linke arabische und jüdische Menschen sich daran ein Vorbild nehmen und gemeinsame gesellschaftspolitische Interessen artikulieren. Nur so kann das Vertrauen entstehen, das für ein Zusammenleben in einen gemeinsamen Staat nötig ist. 

Eskalation nützt Islamisten in aller Welt

Durch die jüngste Eskalation ist diese Entwicklung wieder zurückgeworfen worden. Genau das ist auch das Interesse islamistischer Akteure wie der Hamas und anderer Gruppen. Das ist auch das Interesse von Staaten wie den Iran, die sich mit ihrer Anti-Israel-Propaganda profilieren wollen. Wenn nun über antisemitische Parolen auf Demonstrationen auch in Deutschland gesprochen wird, werden diese internationale Dimensionen meistens ausgeblendet. Und das hat Folgen. 

Da wird der Antisemitismus in die „Fremden“ verlagert, mit denen Deutschland nichts zu tun hat. Das wird noch durch Demonstrationsbilder untermauert, in denen Menschen mit Migrationshintergrund mit Palästinenserfahnen zu sehen sind. Dabei wird man in manchen rein-deutschen Zusammenhängen viel mehr antisemitische Stereotype hören als in diesen Kurzinterviews, die in einer aufgeheizten Stimmung entstanden sind. 

Antisemitische Stereotype auch ohne Israel-Bezug

Schon länger fällt auf, dass sich die offizielle Politik in Deutschland heute hauptsächlich auf den israelbezogenen Antisemitismus konzentriert und sich da als Musterschüler aufspielt, der aus der Geschichte gelernt hat. 

Da gab es vor einigen Tagen eine kurze Debatte, ob der CDU-Rechtsaußen und Bundestagskandidat Hans Georg Maaßen antisemitische Stereotype verbreitet. Am Ende erklärte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer – die den Vorwurf in einer Talkshow erhoben hatte -, sie bezeichne Maaßen „nicht als Antisemit“, sei aber weiterhin der Meinung, dass er antisemitische Inhalte verbreite, in dem er beispielsweise in Tweets über „Globalisten“ polemisiert. 

Das ist das Beispiel für antisemitische Stereotype, die nicht auf Israel bezogen sind. Hier geht es um eine rechte, oft nationalistische Kritik, die am Kapitalismus gerade das kritisiert, was Karl Marx als Pluspunkt bezeichnete: das Eindampfen ständischer und nationalistischer Vorurteile und Schranken. 

Dass antisemitische Stereotype aber auch linksliberalen Kreisen nicht fremd sind, zeigte ein Taz-Interview mit der Netzwerkerin und Gründerin des Center for feminist foreign policy Kristina Lunz. Als Gegner, die sie mit ihrer Version einer feministischen Außenpolitik überwinden will, fallen ihr nur zwei aus Deutschland emigrierte Juden ein: Kissinger und Morgenthau 

Die Morgenthaus und Kissingers als große außenpolitische Denker? What the fuck! Ständig seine Macht vergrößern zu müssen, um zu überleben, ist nicht mein Verständnis von Politik. Genau das müssen wir ändern.

Kristina Lunz, Taz-Interview

Nun sollte eine Politikwissenschafterin wissen, dass der Name Morgenthau in Deutschland seit Jahrzehnten zum antisemitisch konnotierten Hassobjekt wurde, weil dem US-Politiker der Roosevelt-Ära von der Nazi-Propaganda fälschlich unterstellt wurde, er wolle Deutschland nach dem Sieg der Alliierten zum Agrarstaat umwandeln. Nun hat Kristina Lunz sich damit verteidigt, sie habe ihre Kritik nicht auf Henry, sondern seinen Verwandten, den Staatsrechtler Hans Morgenthau bezogen. 

Auch bei ihm handelt es sich um einen aus Deutschland geflohenen Juden. Zudem hat sie die Namen im Plural verwendet und damit eben das Stereotyp bedient. Peter Nowak