Das Festival des "Ferienkommunismus" wurde wegen Corona abgesagt. Dabei spielt ein Streit zur Überwachung eine Rolle

Keine „Fusion“ in diesem Jahr

Am Beispiel der Fusion zeigte sich, wie ein eigentlich staatsfernes hedonistisches Spektrum, das noch vor zwei Jahren mit großer zivilgesellschaftlicher Unterstützung die Zumutung von autoritärer Staatlichkeit erfolgreich zurückgewiesen hat, in Zeiten von Corona bereit war, sich auf ein Überwachungsprozedere einzulassen, das auch für künftige Festivals Maßstäbe gesetzt hätte.

Eigentlich ist es nichts Besonders, dass in diesen Tagen pandemiebedingt Festivals abgesagt werden. Sogar das Münchner Oktoberfest wurde ja schon gecancelt. Doch die Absage des Fusion_Festivals ist …

… etwas Besonderes. Das wird auch im larmoyanten Ton deutlich, der hier von dem Organisationsteam angeschlagen wird.

Wir schreiben diesen heutigen Logbuch-Eintrag mit Zorn auf die Politik, die die auflaufende dritte Welle der Pandemie sehenden Auges ignoriert und der Wirtschaft zuliebe über Monate konsequentes Handeln unterlassen hat. Neben allem anderen Versagen in der Pandemiebekämpfung wie z.B. dem monatelangen Impfdesaster liegen hier die Hauptgründe, warum wir immer noch unter krassen Einschränkungen und unter dem Entzug unserer Freiheitsrechte leben müssen. Nach dem Motto „Hauptsache die Wirtschaft brummt“ wurde hier über Leichen gegangen und wurden wir von einem Lockdown light in den nächsten geschickt. Die Fusion 2021 wäre möglich gewesen, wenn die Politik rechtzeitig konsequent gehandelt hätte!

Aus der Absageerklärung des Fusionsteams

Die besondere Bedeutung der Fusion-Absage wird nur deutlich, wenn man an die Geschichte des Festivals erinnert.

Vom „Ferienkommunismus“ zum Überwachungsfestival

Vor mehr als einem Jahrzehnt war das Festival auf einem großen Gelände in Mecklenburg-Vorpommern ein Geheimtipp der hedonistischen Linken. Schon eine Woche vor Festivalbeginn reisten viele zum Aufbau an. Mit dem Begriff des „Ferienkommunismus“ wollte man auch deutlich machen, dass es sich hier für einen Teil der linken Szene um mehr als ein Festival handelte.

Hier sollte zumindest für einige Tage das andere Leben Realität werden, das im Alltag so sehr beschworen wird. Noch 2019 wurde das Fusion-Team dafür gelobt, dass es den Überwachungsgelüsten konservativer Kommunalpolitiker erfolgreich trotzte.

Schon vor Corona brach die Realität auch in die Oase des Ferienkommunismus ein. Nachdem dort Frauen heimlich beim Duschen gefilmt wurden und der Täter die Fotos im Internet verkauft hatte, gab es in linken Medien eine Debatte über den Umgang mit Sexismus in solchen links-hedonistischen Szenen. Auch das Organisationsteam geriet in die Kritik.

Kritik von Cancel Control-Cosmos an Massenüberwachung

Das Lob aus bürgerrechtlichen Kreisen darüber, dass das Festival sich erfolgreich gegen die Zumutungen der autoritären Politik zur Wehr setzte, die die Feiernden mit Polizei und Massenüberwachung „schützen“ wollte, war schnell verebbt. 

Wegen des ambitionierten Testkonzepts gerieten die Fusion-Verantwortlichen stattdessen nun selbst in die Kritik von zivilgesellschaftlichen Gruppen. So heißt es in einem Offenen Brief von überwachungskritischen Initiativen, die sich als Cancel Control-Cosmos bezeichnen, an das Festivalteam:

Die Fusion selber sieht sich als Modellprojekt für zukünftige Festivals. Wäre es nicht möglich, dass das Gesundheitsamt die Genehmigung des Festivals nur erteilt, wenn im Gegenzug die Proben der 30.000 Menschen für ihr eigenes Modellprojekt genutzt werden können? DNA-Screenings auf unterschiedlichste körperliche Merkmale bei einer Testgruppe von 30.000 Menschen sind sicherlich im Zusammenhang mit der Epidemiologie sehr interessant. Wie verhält sich der Kulturkosmos bei so einer Forderung, wenn diese Mitte Juni kommt, wo schon viel Geld in die Vorbereitung geflossen ist?

Aus dem Offenen Brief von Cancel Control-Cosmos

Diese Kritik stieß bei einem Teil des bisherigen Fusion-Publikums auf Zustimmung. Darin dürfte ein wesentlicher Grund für die jetzige Absage liegen.

Am Beispiel der Fusion zeigte sich, wie ein eigentlich staatsfernes hedonistisches Spektrum, das noch vor zwei Jahren mit großer zivilgesellschaftlicher Unterstützung die Zumutung von autoritärer Staatlichkeit erfolgreich zurückgewiesen hat, in Zeiten von Corona bereit war, sich auf ein Überwachungsprozedere einzulassen, das auch für künftige Festivals Maßstäbe gesetzt hätte.

Die Reaktionen darauf zeigen auch, dass es in dem hedonistischen Milieu noch Widerstände gibt, sich einem autoritären Hygienediskurs zu unterwerfen. Wie es mit der Fusion im Besonderen und der Festivalkultur im Allgemeinen im „digitalbasieren Hygienekapitalismus“ weitergeht, bleibt allerdings offen. (Peter Nowak)