„Protest trotz Ausgangssperre: Polizei Hannover lässt Demonstranten in der Nordstadt gewähren“, titelte die Hannoversche Allgemeine am 2. April. Am Vortag hatten in Hannovers Stadtteil Nordstadt erstmals spontan 50 bis 70 Menschen gegen die wegen der Corona-Pandemie verhängte Ausgangssperre protestiert. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen hatten die Behörden auch für die Region Hannover für den Zeitraum von 1. bis 12. April zwischen 22 Uhr und fünf Uhr die Ausgangsbeschränkung angeordnet. Doch schon in der ersten Nacht gab es im linksaktiven studentisch geprägten Hannoveraner Stadtteil Nordstadt die ersten Proteste. „Mit lauten Sprechchören und Feuerwerk ….
… zogen die Demonstranten ab 22 Uhr eine Stunde durch den Stadtteil, die Polizei unternahm nichts – obwohl Verstöße ‚konsequent geahndet‘ werden sollten“, monierte die HAZ.
Doch die hannoversche Polizei widersprach mit dem Verweis auf die Grundrechte. „Versammlungen dieser Art rechtfertigen eine Ausnahme von der Ausgangssperre, weil sie – ähnlich wie die Teilnahme an nächtlichen Ostergottesdiensten, die ja auch ausdrücklich erlaubt war – auf ein höheres Rechtsgut verweisen“, wird in der HAZ ein Polizeisprecher zitiert. Zudem sorgte in der Zeitung für Irritationen, dass die Proteste gegen die – auch „Stubenarrest“ genannten – Ausgangssperren nicht aus dem Milieu der irrationalen Bewegung der Querdenker kamen.
Die Gefährlichkeit des Virus wurde auch nicht angezweifelt. Im linksalternativen Univiertel Nordstadt wurde gegen eine Ausgangssperre aber für einen „solidarischen Lockdown“ demonstriert. „Unsere Wirtschaft muss brumm‘ – die Ausgangssperre, einfach dumm“, lautete die zentrale Parole auf dem Transparent, deren Reimmaß etwas unbeholfen, die aber politisch unmissverständlich war. Die Proteste gegen die Ausgangssperre gingen in Hannover in der ersten Aprilwoche weiter.
In einer auf der linken Onlineplattform Indymedia veröffentlichten Erklärung hieß es, dass fünf Nächte in Folge ca. 90 Menschen zunächst unangemeldet in Hannover-Nordstadt gegen die Ausgangssperre protestiert hätten. Nachdem die Polizei die Protestierenden eingekesselt hatte, hätten Anwohner im Stadtteil durch laute Musik und Applaus von Balkonen und Fenstern unterstützt. In der Erklärung wird betont, dass die Initiative nicht von linken Gruppen, sondern von Anwohnern ausgegangen sei.
Optimistisch hofften die Autoren des Textes auf Indymedia, „den autoritären polizeistaatlichen Maßnahmen und der verfehlten Corona-Politik der Herrschenden doch noch eine wahrnehmbare linksradikale Position auf der Straße entgegenzusetzen“. Allerdings haben sich die Proteste in der zweiten Aprilwoche nicht fortgesetzt.
Dass die ursprünglich bis 12. April geplanten Ausgangsbeschränkungen in Hannover bereits am 6. April aufgehoben wurden, lag an einer erfolgreichen Klage. Das Verwaltungsgericht Hannover hatte bereits am Karfreitag die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung zu den Ausgangssperren in Frage gestellt. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte die Beschwerde gegen die Entscheidung zurückgewiesen.
Widerstand auch in Hamburg
In Hamburg sind die Ausgangssperren seit dem 1. April zwischen 21 und fünf Uhr in Kraft. Auch dort gab es kurz vor Inkrafttreten der Beschränkungen im Stadtteil St. Pauli eine Demonstration von circa 250 Linken, die forderten, die Produktion in den Betrieben einzuschränken, statt die privaten Kontakte einzuschränken.
Auf einem Transparent wurde positiv auf die Zero-Covid-Kampagne Bezug genommen. Dort wird die temporäre Stilllegung aller gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft gefordert. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen sollen nach den Vorstellungen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.
Christian Zeller, einer der Mitbegründer der Initiative, erklärte auf einer Diskussionsveranstaltung, dass eine Einschränkung von Demonstrationen und Veranstaltungen von Zero Covid nicht gefordert werde, weil die Ansteckungsgefahr dort wesentlich geringer ist als an den Arbeitsplätzen.
Das wird von führenden Aerosolforschern bestätigt, die in einem Brief an die Regierungschrieben:
„Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert.“
Nachdem in verschiedenen Städten in NRW Ausgangsbeschränkungen verhängt wurden, gab es auch in Köln und Wuppertal linke Proteste dagegen.
Freie Linke als linker Flügel der Querdenken-Bewegung
Allerdings lehnen diese linken Kritiker der Ausgangssperren jede Zusammenarbeit mit der Querdenken-Bewegung ab. Dagegen versteht sich die Initiative „Freie Linke“ explizit als linker Flügel der Querdenkenbewegung und beteiligt sich auch an deren Demonstrationen, so auch bei den von der Polizei aufgelösten Aktionen am vergangenen Samstag.
Geri, ein Aktivist der Freien Linken begründet gegenüber Telepolis, warum sich seine Initiative an Demonstrationen beteiligt, an denen auch rechte Gruppen mitlaufen.
Mit Sicherheit beteiligen sich auch Rechte an Querdenker-Demonstrationen. Bei Zehntausenden Menschen einer breiten Bevölkerung ist das keine Besonderheit. Solche Kritik hat deshalb wenig Gehalt. Die Frage müsste eher lauten, ob es Personen oder Gruppen gibt, die die Demonstrationen und somit den Frieden gefährden. Wir beobachteten Personengruppen die uns suspekt waren. In Kassel wurde einer unserer Genossen von einer solchen Person angegriffen. Wäre es besser gewesen, einer solchen Demonstration fernzubleiben?
Das halte ich für sehr bequem und feige. Des Weiteren kämpft man nicht gegen Faschismus, indem man Querdenken-Demos blockiert. Deshalb sind solche Antifas in unseren Augen auch keine Antifaschisten. Man schüttet nicht das Bad mit dem Kinde aus. Das Gegenteil ist der Fall: Ein Angriff auf unsere Grundrechte über Politik und bewusst falscher Berichterstattung gefährdet unser Leben weit mehr, als es Dutzende Faschisten je könnten. Deshalb kämpfen Freie Linke nicht gegen Querdenker, sondern mit ihnen.“
Geri, Freie Linke
Allerdings scheint die „Freie Linke“ eine zahlenmäßig kleine Gruppe sein, die durch große rote Fahnen allerdings schon für Aufmerksamkeit sorgt. (Peter Nowak)
https://www.heise.de/tp/features/Schliesst-Fabriken-nicht-die-Parks-6018973.html