Die Klimabewegung steht nicht erst seit Beginn der Corona-Krise vor einer unklaren Perspektive. Sie muss sich auch kritisch mit Teilen ihrer Ideologie befassen

Politik im Zeichen der vermeintlichen Klima-Apokalypse

Die Auseinandersetzung mit solchen apokalyptischen Vorstellungen in der Umweltbewegung ist gerade dann notwendig, wenn die Bewegung eine Perspektive jenseits kurzzeitiger Mobilisierungen haben will. Die Mühen der Ebenen mit Bündnisarbeit, die da nötig ist und für die es sinnvolle Ansätze gibt, verträgt sich nicht mit der Vorstellung, dass man sich hier heroisch gegen den Untergang der Menschheit stellt.

„Klimaproteste, was nun?“, betitelte die Wochenzeitung Freitag jüngst einen Artikel über den weltweiten Klimaaktionstag am 19. März. Er war ein sogenanntes hybrides Ereignis, wie jüngst Veranstaltungen bezeichnet werden, die mehrheitlich digital stattfinden und mit kleinen symbolischen Präsenzevents garniert sind. Das ist schon lange der Traum der Digitalindustrie, der erst durch die Corona-Pandemie, …

…. die uns endgültig in die Digitalgesellschaft gestoßen hat, Realität wurde.

Es mag viele Bereiche des Lebens geben, in denen diese Digitalisierung Vorteile bringt, wenn beispielsweise lange Anfahrtswege vermieden werden können, nur, um ein Grußwort für eine Umweltkonferenz zu halten. Doch gerade die Klimabewegung zeigt auch die Grenzen der Digitalisierung auf. Proteste im Internet, wie der digitale Klimastreik in Frühjahr 2020, sind eben nicht mobilisierend.

Proteste brauchen Öffentlichkeit

Während noch im September 2019 über Million Menschen allein im Deutschland beim Internationalen Klimaaktionstag auf die Straße gegangen sind, trugen sich beim digitalen Klimaprotest gerade mal rund 87.000 Menschen ein. Das zeigt: Proteste brauchen Öffentlichkeit und können eben nicht ins Internet verlegt werden.

Daher ist es umso unverständlicher, dass aktuell Bewegungsaktivisten wie der Politologe Felix Kolb vom Vorstand des Bewegungsnetzwerks Campact für einen neuen, harten Lockdown mit nächtlicher Ausgangssperre werben, ohne das Versammlungs- und Demonstrationsrecht überhaupt zu erwähnen. Das ist vor allem für eine Organisation bemerkenswert, die aus der sozialen Bewegung hervorgegangen ist.

Doch es dürfte nicht nur die Corona-Krise sein, die dafür sorgt, dass die Klimabewegung ihr Momentum verloren hat, wie einige Aktivisten beklagen. Es ist nun einmal das Schicksal jeder sozialen Bewegung, dass sie nach einen Höhepunkt schnell an ihre Grenzen stößt und wieder an Einfluss verliert. Manchmal geschieht das schneller, mal dauert es länger. Der Corona-Lockdown dürfte dazu beigetragen haben, dass diese Entwicklung bei den Klimaaktivitäten schon relativ schnell eingesetzt hat.

Das bringt für manche der Beteiligten besondere Probleme mit sich, weil sie sich plötzlich ausgebremst fühlen, nachdem sie mit dem Eindruck gestartet sind, die Bewegung bewege sich immer weiter voran. Die jähe Stagnation kann durchaus zu psychischen Problemen bei Aktivisten führen, wie es der Journalist Minh Schredle in der Wochenzeitung Kontext anhand konkreter Schicksale beschreibt.

Schredle schildert das Schicksal eines jungen Mannes, der sich mehr als 16 Stunden täglich in der Klimabewegung engagierte und durch die Corona-Maßnahmen plötzlich zur Untätigkeit verdammt war. „Als ich dann aber trotz Ruhe überhaupt nicht mehr aus meinem Loch gekommen bin, wurde mir klar, dass vielleicht mehr dahinter steckt, als nur Erschöpfung“, wird der Jugendliche zitiert.

Psychische Belastungen oder gar Erkrankungen seien in der Klimabewegung keine Seltenheit, heißt es in dem Artikel unter Berufung auf Aktivisten. Da ist von Ohnmachtsgefühlen die Rede, von Rückschlägen und dem Gefühl, mit seinem eigenen Handeln dafür verantwortlich zu sein, dass die Erde für die Menschen unbewohnbar wird.

Mein Freund, der Untergang

In dem Artikel fehlt allerdings ein Hinweis auf ein grundlegendes Problem: das apokalyptische Denken in Teilen der Klimabewegung, durch das vielleicht nicht nur junge Aktivisten in existentielle Krisen geraten.

„Möchte man die Debatte um die Neue Klimabewegung einfangen, dann gerät man immer wieder an die Begriffe ‚Notstand‘, ‚Untergang‘ und ‚Apokalypse‘: Im Notstand würde sich die Menschheit befinden, der Untergang, die Apokalypse stünde uns kurz bevor. Das schockiert, macht Angst und die wiederum verdichtet sich in Untergangsbildern. Allein die Vehemenz und der Fluktuation der Untergangsbilder verdecken dabei, dass es sich bei der Angst vor dem Untergang der Menschheit nicht wirklich um ein neues Phänomen handelt“, schreibt die Leipziger Gruppe Nevermore im Vorwort ihre Broschüre Mein Freund der Untergang. Darin haben sie Texte aus den letzten 40 Jahren dokumentieren, die sich kritisch mit den apokalyptischen Denken in Teilen der Umwelt- und auch der deutschen Friedensbewegung befassen.

Zu den Autoren zählen Personen wie Christoph Türcke und Wolfgang Pohrt, die mit ihren ideologiekritischen Überlegungen oft die jeweiligen Bewegungsaktivisten verärgert haben. Doch ihre Texte erweisen sich gerade im Abstand von Jahrzehnten als sehr präzise. Sie haben – gerade weil sie sich auf Kritik ohne das Adjektiv „solidarisch“ verstanden – wichtige theoretische Beitrage geleistet. Die Aktiven der heutigen Klimabewegung sollten sie zur Kenntnis nehmen, weil sie dazu beitragen können, irationale Elemente in ihren eigenen Reihen zu erkennen, die oft auch eine Folge apokalyptischen Denkens sind.

Vom Warschauer Ghetto zum Klima-Aktivismus?

Dass sich das geschilderte Problem längst nicht mehr nur auf Randbereiche der Klimabewegung beschränkt, macht ein irritierender Ausschnitt in dem jüngsten Buch des in der Umweltbewegung recht bekannten Ökologen und Publizisten Andreas Malm deutlich. Im ersten Teil seines im Verlag Matthes & Seit in deutscher Sprache erschienen Buches Wie man eine Pipeline in die Luft jagt widmet sich der Klimaaktivist einer Kritik am radikalen Pazifismus vieler Umweltbewegter.

Dabei zieht er teilweise durchaus treffende historische Analogien. Doch dann bezieht sich Malm positiv auf Autorinnen und Autoren, die den Aufstand der jüdischen Polen im Warschauer Ghetto anführen, die im Wissen zum Kampf bereit gewesen seien, dass ihnen auch die Vernichtung drohe, wenn sie sich nicht zur Wehr setzten. Mit dem Aufstand hätten sie noch deutlich gemacht, sich nicht kampflos ermorden zu lassen.

Nun muss man sich fragen, warum Malm diesen historischen Exkurs in einem Buch mit dem Nebentitel Kämpfen in einer Welt in Flammen erwähnt? Dafür liefert der Autor selber die Erklärung:

Stellen wir uns nun vor, der letzte Rest der menschlichen Bevölkerung fristet sein Dasein in der Nähe der Pole. Ein paar Jahrzehnte bleiben ihnen noch. Und manche ihrer Nachkommen haben vielleicht sogar die Chance, etwas länger zu überdauern. Was würden wir ihnen mitteilen wollen? Dass die Menschheit ihr Ende vollkommend einmütig herbeigeführt hat? Oder dass manche Menschen doch gleich jener Jüdinnen und Juden kämpften, die um ihre bevorstehende Ermordung wussten?“

Andreas Malm, Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen, S. 170

Hier wird zwischen dem antisemitischen Mordprojekt der Nazis und dem Klimawandel scheinbar kein Unterschied mehr gemacht. Wo unterscheidet sich da Andreas Malm noch von den Einlassungen des Extinction-Rebellion-Mitgründers Roger Hallam, der 2019 für seinen Vergleich der Klimakrise mit dem Holocaust noch scharfer Kritik ausgesetzt war?

Dass es sich weder bei den Auslassungen von Hallam noch von Malm um die Verfehlungen Einzelner handelt, wie schnell mal behauptet wird, zeigte der Publizist Velten Schäfer in seinen Essay über die Rückkehr der Apokalypse in die Jugendkultur auf:

Im Zeichen der ablaufenden Sanduhr laden die Anführer der Bewegung mit Namen „Aufstand gegen die Ausrottung“ zur – weit überwiegend – juvenilen Selbsterfindung als buchstäblich „letzte Generation der Menschheit“. Wie wörtlich die Gründer das nehmen, ist unklar. Doch im Gefolge greift die neue Apokalyptik mit einem Impetus, der auch Skepsis hervorruft: Eine Idee, die als ultimativen, objektiven Horizont nichts Geringeres anruft als menschliche „Arterhaltung“, ist radikal gesinnungsethisch: Wer nicht mittut, hat nicht andere Auffassungen, sondern ist „Sünder“, „Schädling“, „Leugner“ – mit dem Präfix „Klima-“ ist das Alltagssprache.

Velten Schäfer, Neues Deutschland

Die Auseinandersetzung mit solchen apokalyptischen Vorstellungen in der Umweltbewegung ist gerade dann notwendig, wenn die Bewegung eine Perspektive jenseits kurzzeitiger Mobilisierungen haben will. Die Mühen der Ebenen mit Bündnisarbeit, die da nötig ist und für die es sinnvolle Ansätze gibt, verträgt sich nicht mit der Vorstellung, dass man sich hier heroisch gegen den Untergang der Menschheit stellt.