In der letzten Zeit wachsen auch in der Umweltbewegung die Zweifel - und es gibt Theoretiker, die wieder auf Sozialismus und sogar auf Lenin zurückgreifen

Kann es einen klimagerechten Kapitalismus geben?

Es ist daher zu begrüßen, wenn sich theoretisch und praktisch innerhalb der Klimabewegung ein linker Flügel bildet, der sich dagegen wendet. Der Ökoleninismus mag auch bei Andreas Malm aktuell vor allem eine radikale Geste sein, könnte allerdings ein Bezugspunkt werden, wenn er tatsächlich eine Allianz zwischen der aktuellen Arbeiterbewegung und der Klimabewegung auf globaler Ebene hinbekommt.

Die im Auftrag der Klimabewegung Fridays for Future vom Wuppertal-Institut erstellte Studie sollte zeigen, dass es möglich ist, den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dieser Wert gilt bei vielen als akzeptabel. Die Studie sollte damit einerseits Druck auf die Politik ausüben, der von anerkannten Experten nachgewiesen werden sollte, dass eine klimagerechte Welt möglich ist, wenn es die Politiker nur wollen. Gleichzeitig war es auch eine Ansage an eine linke Bewegung, die einen klimagerechten Kapitalismus für nicht möglich hält. Die Studie sollte das Gegenteil beweisen. So wurde sie auch in großen Teilen der Medien aufgenommen. Wer jetzt noch die Systemfrage stelle, dem wurde vorgeworfen, Zeit mit Diskussionen zu verplempern, statt den Blick auf das Wesentliche, die Umwelt- und Klimakrise zu lenken. Doch die Studie beweist gerade nicht, was ihr nachgesagt wird. Das hat die Taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, eine linke Sozialdemokratin nachgewiesen. Dazu hat sie mehrere ….

…. Beispiele aufgezählt:

Es ist keinesfalls klimaneutral, jene Infrastruktur zu errichten, mit der man hinterher klimaneutral sein will. Die Herstellung von Windrädern, E-Autos, Solarpaneelen, Wärmedämmung oder „grünen“ Stahlwerken emittiert sehr viel CO2. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber eine Pi-mal-Daumen-Kalkulation macht zumindest die Dimension des Problems deutlich.

Ulrike Herrmann, Taz

Doch diese Posten tauchen in der Studie gar nicht auf. Zudem bemängelt Herrmann, dass in der Studie der Rebound-Effekt vernachlässig worden sei:

Obwohl die Energieeffizienz seit 1990 enorm zugelegt hat, ist der Endenergieverbrauch in Deutschland nur um ganze 1,5 Prozent gesunken. Denn in der gleichen Zeit ist die Wirtschaft rasant gewachsen – um knapp 50 Prozent. Dieses Phänomen nennt sich „Rebound Effekt“. Wenn weniger Rohstoffe pro Wareneinheit benötigt werden, dann wird diese Ersparnis gern genutzt, um mehr Güter zu konsumieren. Die Autos werden schwerer, die Flugreisen zahlreicher, die Wohnungen größer.

Ulrike Herrmann

Für sie ist die Konsequenz klar:

Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die verbrauchte Endenergie sinkt bis 2050 nur, wenn die Wirtschaftsleistung ab sofort stagniert – und zwar für immer. Für „Grünes Wachstum“ reicht die Ökoenergie nicht. Punkt.

Ulrike Herrmann

„Machbar ist da gar nichts“

So zieht Herrmann auch ein ernüchterndes Fazit. Denn machbar ist gar nichts in dieser sogenannten Machbarkeitsstudie. Herrmann unterstellt, Fridays for Future sollten damit hinters Licht geführt werden. Es ist aber wahrscheinlicher, dass der Drang, endlich realpolitische Politik machen zu wollen, dazu geführt hat, dass man sich mit einer Machbarkeitsstudie schmückt und damit dem Kapitalismus Klimatauglichkeit bescheinigt.

Wenn nun Herrmann mit Argumenten begründbar belegt, dass es sich nicht um eine Machbarkeitsstudie, sondern um eine Wunschvorstellung handelt, dann könnte doch eigentlich die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das, was die Studie beweisen sollte, dass der Kapitalismus zukunftstauglich ist, nicht erbracht wurde. Die Studie ist eben kein Fahrplan zu einem klimagerechten Kapitalismus. Es ist schon erstaunlich, dass in der Klimabewegung nicht viel grundsätzlicher dieser Punkt kritisiert wurde. Auch bei Herrmann kommt er nicht vor, was sich darauf erklären lässt, dass sie den Kapitalismus regulieren, aber nicht abschaffen will.

Systemchange statt Klimachange

Doch auch innerhalb der Klimabewegung wächst schon länger der Kreis derer, die den Kapitalismus als Problem und nicht als Lösung in der Klimafrage sehen. Der schwedische Philosoph und Umweltaktivist Andreas Malm will auch in der Klimakrise radikal im Wortsinne sein, das heißt, er will an die Wurzeln gehen. Dabei nimmt er sogar Anleihen bei Lenin, Malm vertritt eine neue Strömung des Ökoleninismus. Dabei geht Malm allerdings recht voluntaristisch mit Lenin um, wie sich in dem Interview mit der Tageszeitung junge Welt zeigt:

Der Kern des ökologischen Leninismus, wie ich ihn im Buch skizziere, ist eine simple strategische Orientierung. Jede Folge des ökologischen Zusammenbruchs, sei es eine Pandemie, ein Flächenbrand, ein verheerender Sturm oder ein anderes extremes Wetterereignis, muss umgemünzt werden in eine Krise für die Kräfte, die den Zusammenbruch zu verantworten haben. Die Analogie besteht darin, wie Lenin den Ersten Weltkrieg sah und wie er mit ihm umgegangen ist. Er betrachtete ihn als eine Erscheinung des Imperialismus, der in eine revolutionäre Krise verwandelt werden sollte. Alle Kräfte, die in den Krieg befohlen wurden, sollten sich gegen die Kräfte richten, die die Katastrophe produziert hatten. Ohne diesen essentiellen leninistischen Schritt sind wir dazu verdammt, stetig schlimmere und einander verstärkende Desaster auszuhalten. Die Herausforderung besteht darin, Krisensymptome wie Covid-19 oder die Flächenbrände an der Pazifikküste der USA zu nutzen für Attacken auf den Normalbetrieb.

Andreas Malm

Dieser Voluntarismus wird auch im zweiten Punkt deutlich:

Eine zweite übertragbare Lehre Lenins ist, dass er die Dringlichkeit von Handeln betont. Lenin verfolgte eine Politik der Ungeduld, rastloser Maßnahmen in katastrophalen Entwicklungen. Wir können diesen Charakterzug Lenins in seinen beiden möglicherweise wichtigsten Kampagnen innerhalb der bolschewistischen Partei sehen: seinem Einsatz für den sofortigen Sturz der Provisorischen Regierung im Herbst 1917 und für einen Separatfrieden mit Deutschland im Frühjahr 1918. In beiden Fällen argumentierte er, dass keine Zeit verschwendet werden dürfe, wenn die Kriegskatastrophe sich nicht verschlimmern solle. Und natürlich hatte er recht. Wir benötigen genau diesen Sinn für Dringlichkeit im Widerspruch zum sozialdemokratischen Gradualismus, demzufolge wir Zeit hätten, kleine Reformschritte zu gehen, die die Welt zu einem besseren Ort machen.

Andras Malm

Dabei wird ausgeblendet, dass Lenin theoretisch und praktisch Teil des linken Flügels der damaligen Arbeiterbewegung war. Er sorgte mit dafür, dass die politischen Essentials, einen drohenden Krieg in eine Revolution umzuwandeln, erfolgreich wurden. Die Tragik bestand darin, dass diese Revolution dann auf Russland beschränkt blieb. Wo würde sich in der heutigen Klimabewegung der linke Flügel befinden, der die Basis eines solchen Ökoleninismus des 21. Jahrhunderts sein könnte? Diese Frage stellt sich Malm nur unzureichend. Immerhin konstatiert er:

Im September 1917 argumentierte Lenin, dass jede Regierung, die Frieden schaffen und eine Hungersnot in Russland verhindern will, die Grenzen des Privateigentums überschreiten müsse. Das gilt auch heute. Jede Regierung, die willens ist, die gegenwärtigen Katastrophen zu bekämpfen, muss solche Schritte gehen. Der Unterschied, der nicht deutlich genug hervorgehoben werden kann, ist, dass Lenin damals für eine Partei sprach, die über die Unterstützung von Massen in den Sowjets verfügt hat. Wir haben nichts dergleichen, nicht einmal annähernd. Wir haben eine Klimabewegung, die gerade erst flügge wird, von der Pandemie geschwächt ist, die voller Widersprüche und Limitationen ist. Sie schultert eine enorme historische Last.

Andreas Malm

Sinn für Dringlichkeit

Malms Absage an einen Reformismus, der vorgibt, Verbesserungen in langer Dauer zu bringen und in Wirklichkeit den Status quo erhält, könnte eine neue Debatte in der Klimabewegung auslösen. Dann wäre der Klimareformismus, wie er sich bei Fridays For Future gut ausdrückt, die aktuelle Sozialdemokratie. Viele von ihnen sehen als großes Traumziel, von Merkel und Co. gleichberechtigt anerkannt zu werden. Es ist schon abzusehen, dass diese Strömung der Klimabewegung in nicht so ferner Zukunft auch von den Staatsapparaten gefördert wird. Sie werden Posten an Instituten bekommen und natürlich auch in einer künftigen schwarz-grünen Regierung immer wieder den Nachweis erbringen wollen, dass die Klimakrise im Kapitalismus bestens gelöst werden kann, ja dass sogar nur der Kapitalismus dazu in der Lage sein wird.

Es ist daher zu begrüßen, wenn sich theoretisch und praktisch innerhalb der Klimabewegung ein linker Flügel bildet, der sich dagegen wendet. Der Ökoleninismus mag auch bei Malm aktuell vor allem eine radikale Geste sein, könnte allerdings ein Bezugspunkt werden, wenn er tatsächlich eine Allianz zwischen der aktuellen Arbeiterbewegung und der Klimabewegung auf globaler Ebene hinbekommt. Denn es wird keine nationale Lösung für irgendein Problem geben, das wird in der Klimabewegung besonders deutlich.

Zudem gibt es in vielen Ländern Asiens und Amerikas linke Bewegungen von Bauern und Arbeitern, die sich gegen die Folgen des kapitalistischen Klimawandels auf ihr Leben wehren. Sie sprechen daher auch vom Kapitalozän. Wenn eine solche transnationale Allianz gelingt, gäbe es auch eine Basis für einen linken Flügel der Klima- und Arbeiterbewegung. Die müsste dann natürlich über einen Begriff wie Ökoleninismus hinausgehen.

Ökosozialismus oder Barbarei

Nun ist Malm nicht der einzige Theoretiker, der aktuell in der Klimabewegung Thesen aufstellte, die aus der Zeit der Arbeiterbewegung stammen. Der kanadische Ökosozialist Ian Angus hat die Parole „Sozialismus oder Barbarei“ in „Ökosozialismus oder Barbarei“ erweitert. Auch er gibt allen ökoreformistischen Bestrebungen eine klare Absage und bezieht sich dabei auf Karl Marx:

1864 beschrieb Karl Marx in seinem Manifest, das die Erste Internationale einleitete, wie die britische Arbeiterbewegung dem Kapitalismus zwar noch kein Ende gesetzt hat, aber das Parlament dazu zwingen konnte, Gesetze einzuführen, die die Macht der Besitzenden in der Ausbeutung der Arbeitskräfte einschränkten, indem sie die Länge des Arbeitstages begrenzten. Marx beschrieb diese Kampagne als Teil der „Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet“. Der folgende Erfolg, sagte er, „war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum ersten Mal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse.“ 

Heute, da wir noch nicht stark genug sind, um eine dauerhafte Lösung ohne Kapitalismus zu erkämpfen, müssen wir daran arbeiten, eine Gegenmacht aufzubauen, welche die Umsetzung einer ökologischen politischen Ökonomie durchsetzen kann, wo immer es möglich ist. Zwar werden wir noch keine dauerhaften Lösungen erreichen, wir können aber die politischen und ökonomischen Kosten der Tatenlosigkeit für unsere kapitalistischen Regierenden in die Höhe treiben. Damit können wir für die Erde und die Menschheit Zeit gewinnen.

Ian Angus, Neues Deutschland

Auch eine der bis in linksliberale Kreise populäre Theoretikerin wie Naomi Klein hat sich in der Klimakrise radikalisiert:

Nur eine soziale Massenbewegung kann uns jetzt noch retten. Weil wir wissen, wo das gegenwärtige System hinsteuert, wenn es ungehemmt weiterläuft. Wir wissen auch, möchte ich hinzufügen, wie dieses System mit der Realität einer Serie von Klimakatastrophen umgehen wird: mit Gewinnmaximierung und eskalierender Barbarei, um die Gewinner von den Verlierern abzusondern. Wenn wir in dieser Dystrophie landen wollen, müssen wir nur auf der Straße weiterbrettern, auf der wir uns befinden. Die einzige verbleibende Variable ist die Frage, ob eine Gegenmacht entsteht, die die Straße blockiert und gleichzeitig alternative Wege freiräumt, die zu weniger gefährlichen Entwicklungen führen. Wenn das geschieht, ändert sich alles.

Naomi Klein

Es sind noch sehr vereinzelte Texte, die sich in der Klimadebatte auf den radikalen Flügel der Arbeiterbewegung berufen. Doch sie häufen sich. Das liegt einfach daran, dass die Rezepte des Klimareformismus so erwartbar wirkungslos sind. Wenn eine Ulrike Herrmann, die es sicher nicht als Beleidigung empfinden würde, als linke Reformistin bezeichnet zu werden, einer Machbarkeitsstudie von Fridays for Future bescheinigt, dass da nichts machbar ist, drängt sich die Frage nach Alternativen geradezu auf. Es wird jetzt die entscheidende Herausforderung sein, sie auf eine soziale Basis im globalen Maßstab vom Kapitalozän zu stellen. Dann ist der Bezug auf den linken Flügel der Arbeiterbewegung nicht nur eine radikale Geste. (Peter Nowak)