Nach dem Verbot von Linksunten-Indymedia entstehen neue Plattformen

Totgesagte leben länger

Mit dem Slogan "Become the media" mobilisierte die Indymedia-Plattform vor über 20 Jahren viele linke Menschen. An diesen Medienaktivismus knüpften im Frühjahr/Sommer diesen Jahres unbekannte Netzaktivist*innen an. Sie entwickelten die Software Do It Your Self Media (DIYM). Diese Software spiegelt einerseits - angesichts technischer und politischer Angriffe auf indymedia - de.indymedia; andererseits können auf den DIYM-Seiten zusätzliche Artikel gepostet werden und spiegeln sich die DIYM-Seiten wechselseitig.

Mehr als drei Jahre ist es jetzt her, dass der damalige Bundesinnenminister (BMI) Thomas de Maizière (CDU) die Internetplattform linksunten.indymedia als »Verein« verboten hat. Damit wollte das Ministerium wenige Wochen nach den militanten Auseinandersetzungen gegen das G20-Treffen in Hamburg Stärke demonstrieren. Die Behörden behaupteten, auf der linken Plattform wäre zur Gewalt aufgerufen worden.   Ende Januar 2020 lehnte das Bundesverwaltungsgericht die Klagen mehrerer Personen ab, denen am 25. August 2017 die Verbotsverfügung zugestellt worden war und die von den Polizeirazzien betroffen waren. Das Gericht hatte sich inhaltlich ….


…. nicht mit den Klagen befasst, sondern diese aus formalen Gründen abgelehnt. Die Begründung kann schon als kafkaesk bezeichnet werden. Die Kläger*innen erklärten, dass der von BMI verbotene Verein niemals existiert hatte und sie daher auch nicht Mitglieder dieses nicht existierenden Vereins sein könnten. Doch gegen das Vereinsverbot können lediglich bekennende Mitglieder klagen. Die Tatsache, dass sie beschuldigt werden, einem Verein anzugehören, den es nach ihrer Version nicht gegeben hat, macht sie nicht zu Klageberechtigten. Gegen die Abweisung gingen die Anwält*innen in Berufung. Im Vorfeld des Gerichtstermins vor dem Bundesverwaltungsgericht organisierten linke Gruppen am 25. Januar 2020 eine Demonstration in Leipzig, zu der vor allem Teile der autonomen und anarchistischen Szene mobilisierten. Kurz vor dem Ende gab es im Stadtteil Connewitz einige militante Angriffe auf die Polizei, die die Medienberichterstattung dominierten. Auch innerhalb der Solidaritätsszene wurde die Kritik laut, dass nicht versucht wurde, zumindest Teile des linksliberalen Milieus zu gewinnen, die sich gegen die Abschaltung von Indymedia-Linksunten positionierten. 

Bedeutungsverlust von Indymedia-Plattformen

Doch zu einer Diskussion über die Ausrichtung der Indymedia-Solidarität kam es in der linken Szene nicht. Vielleicht lag es daran, dass ab Mitte März der Corona-Lockdown große Teile der linken Aktivitäten lahmlegte. Andererseits wurde auch deutlich, wie dünn die Solidarität mit der abgeschalteten linken Plattform von Anfang war. Ein Grund ist sicher der Bedeutungsverlust der Indymedia-Plattformen generell. Sie hatten ihre Hochzeit vor ungefähr zwanzig Jahren mit dem Aufstieg der transnationalen globalisierungskritischen Proteste und besaß damals auch ein großes Mobilisierungspotential. Mittlerweile nutzen vor allem jüngere Aktivist*innen mit Messengerdiensten wie Telegram oder Social-Media-Plattformen wir Instagram längst eigene Medien. Indymedia-Plattformen erscheinen so manchem offenbar so staubig staubig wie Zeitungen. Erhöhtes Interesse an den Indymedia-Plattformen haben hingegen weiterhin die repressiven Staatsapparate in Deutschland. So tauchte im aktuellen Verfassungsschutzbericht erstmals die Plattform Indymedia.de, die von der Abschaltung 2017 nicht betroffen war, als Verdachtsfall auf.Das bedeutet, dass der Geheimdienst personenbezogene Daten auswerten und speichern kann. Unter strengen Voraussetzungen können auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt, also heimlich Informationen beschafft, werden.. Der Jurist David Werdermann sieht durch die Nennung im VS-Bericht auch einen Angriff auf die Pressefreiheit. „Die Erwähnung greift wegen ihrer stigmatisierenden Wirkung in die Freiheit der Medien ein und ist daher nur innerhalb der aus Artikel 5 des Grundgesetzes folgenden Grenzen zulässig.“ Der Jurist  verweist auf ein von der rechten Wochenzeitung vor dem Bundesverfassungsgericht  erstrittenes Urteil, mit dem sie sich erfolgreich dagegen wehrte, im Verfassungsschutzbericht NRW als rechtsextreme Publikation dargestellt zu werden. Das Gericht urteilte 2005 die Erwähnung im VS-Gericht stelle eine Einschränkung der Pressefreiheit da. 

Zur Begründung führte der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenweg, an, dass nach den Zusammenstößen zwischen Autonomen und der Polizei in Leipzig in der Nacht zum 1. Januar Indymedia versucht worden sei, die Gewalt zu rechtfertigen.  Mit diesem Vorwurf könnte auch die Kriminalisierung und sogar ein Verbot von Indymedia erleichtert werden. In den letzten Monaten hatte Indymedia.de zudem mit massiven Hackerangriffen zu kämpfen, die dafür sorgen, dass die Plattform wochenlang in bestimmten Regionen nicht zu erreichen war. Auch das Eintragen von Beiträgen war über eine längere Zeit nicht möglich. 

Do it Your Self Media

„Mit dem Slogan „Become the media“ mobilisierte die Indymedia-Plattform vor über 20 Jahren viele linke Menschen. An diesen Medienaktivismus knüpften im Frühjahr/Sommer diesen Jahres unbekannte Netzaktivist*innen an. Sie entwickelten die Software Do It Your Self Media (DIYM). Diese Software spiegelt einerseits – angesichts technischer und politischer Angriffe auf indymedia – de.indymedia; andererseits können auf den DIYM-Seiten zusätzliche Artikel gepostet werden und spiegeln sich die DIYM-Seiten wechselseitig. Potenziell können mit einem dezentralen Ansatz die meisten Probleme bezüglich Zensur und technischen Angriffen zumindest deutlich gelindert werden, wenn eine genügende Anzahl von Seiten aufgesetzt wird. Bisher gibt es drei DIYM-Seiten mit .onion-Adressen (siehe: https://support.torproject.org/de/onionservices), die ausschließlich  mittels des Tor-Browsers erreichbar sind.  Außerdem gibt es eine  DIYM-Seite im allgemeinen Internet https://geistige-gefaehrdungen.net.

Derweil sitzen die von der Repression im Zusammenhang mit dem Linksunten-Indymedia-Verbot Betroffenen noch immer auf Kosten durch Gerichtsprozesse etc.. Für ihre Unterstützung wurde kürzlich ein Solisampler veröffentlicht, der für 18 Euro bestellt werden kann. (https://black-mosquito.org/de/unten-links-soli-sampler-fur-indymedia-linksunten-doppel-lp.html).

Peter Nowak

Der Autor hat 2017 gemeinsam mit Detlef Georgia Schulze und Joachim Schill eine Solidaritätserklärung mit Indymedia Linksunten veröffentlicht, was zu einen juristischen Ermittlungsverfahren führte (https://peter-nowak-journalist.de/solidaritat-mit-indymedia-linksunten/).