Der Warntag passte gut in eine Zeit, wo ein globaler Pessimismus es leicht macht, Panik erzeugen

Wir warnen Deutschland

In der Klimagerechtigkeitsbewegung wird mit Recht daran erinnert, dass nicht der Mensch an sich, sondern die kapitalistische Wirtschaftsweise für diese Veränderungen verantwortlich ist und es daher sinnvoller wäre, von Kapitalozän zu reden. Damit würde deutlich, dass die Veränderungen im Klima erst in der menschheitsgeschichtlich relativ kurzen Zeit der kapitalistischen Produktionsweise gefährliche Ausmaße angenommen hat. Zudem würde damit deutlich, dass es einen solidarischen Ausweg gibt, der auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung diskutiert wird: "Systemchange not Klimachange".

Am 10 September läuteten in ganz Deutschland ab 11 Uhr die Sirenen. Das Ziel wird ganz offen formuliert: ….

…. „Der Warntag soll die Bevölkerung wiederum daran erinnern, wie wichtig es ist, sich mit Warnung auszukennen. Bereits im Vorfeld des Warntages informieren das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das NRW-Innenministerium und die Kommunen in NRW umfassend über den Aktionstag sowie die Probealarme und ihre Bedeutung.“

Was hier für NRW gesagt wird, gilt für ganz Deutschland. Ältere haben vielleicht die Erinnerung an das mehrminütige Sirenenheulen, mit denen noch bis in die 1970er Jahre ein Krieg simuliert wurde. Jedem war klar, dass die Übung die Menschen darauf einstimmen sollte, dass ein Angriff jederzeit möglich ist und der konnte aus der Perspektive der BRD natürlich nur aus dem Osten kommen.

Mit der sogenannten Entspannungspolitik war es nicht mehr nötig, die Menschen ständig auf einen möglichen Angriff einzustimmen und die Alarmtage wurden seltener. Warum wird jetzt diese Tradition wieder aufgenommen?

Nun ist es sicher kein Zufall, dass dies in einer Zeit geschieht, in der ein Teil der Gesellschaft in Dauerpanik verfällt. Ständig sieht man sich vor menschheitsbedrohenden Gefahren, sei es der Klimawandel, das Insektensterben, das Ozon-Loch. Nun kommen noch Corona und andere Pandemien dazu – da lautet die Frage oft: Wie kann ich mögliche Virenüberträger ausfindig machen und isolieren? Überhaupt ist die Frage der Ansteckung das zentrale Thema.

Niemanden anzustecken, wurde zum vorrangigen Ziel, dem alle Lebensbereiche untergeordnet werden. Wer da nicht genügend Engagement zeigt, wurde und kann ganz schnell in die Nähe von Straftätern gerückt werden. Mittlerweile musste EU-Handelskommissar Hogan zurücktreten, weil er sich entgegen der irischen Corona-Regeln mit Freunden getroffen hat. Es ist nicht bekannt, dass es dort um eine Ansteckung ging.

Mit dem Rücktritt sollte deutlich gemacht werden, dass es Konsequenzen hat, wenn man sich nicht dem Reglement einer autoritären Staatlichkeit unterwirft, die mit dem Begriff des Gesundheitsschutzes massive Einschnitte in das Leben der Menschen durchsetzen will.

Gesellschaft der Angst

Das gelingt am besten in einer Gesellschaft, in der Angst erzeugt wird. Das ist eine bewährten und seit langer Zeit offiziell angewandte Methoden, um die Gesellschaft zu einem bestimmten Verhalten in der Gesundheits- und Hygienepolitik zu bewegen. Weil man davon ausgeht, dass die Bürger bestimmte Maßnahmen von sich aus nicht durchführen würden, bewegt man sie dazu, indem man Ängste mobilisiert. Das schreibt der Psychologe Steven Taylor in seinen schon vor Corona veröffentlichen Buch: „Die Pandemie als psychologische Herausforderung“.

Dort zeigt er auf, dass die Politik der Angst in der Gesundheitspolitik schon seit Jahrhunderten ein bewährtes Mittel ist, um die Bevölkerung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Es muss also Panik erzeugt werden, um den nötigen Erfolg, die Durchsetzung eines bestimmten Verhaltens, durchzusetzen. Daher gab es besonders schwere Vorwürfe, als herauskam, dass US-Präsident Trump in einem Interview mit dem Journalisten Bob Woodward erklärte, er habe in der Corona-Frage in der Öffentlichkeit keine Panik erzeugen wollen und daher nicht immer die Worst-Case-Szenarien in den Mittelpunkt gerückt.

Verkehrte Welt: Ist es doch gerade Trump, der doch mit Panikszenarien beispielsweise vor Einwanderern aus dem Süden des amerikanischen Kontinents die Wahlen gewonnen hat. Ihm wird jetzt etwas vorgeworfen, was man eigentlich von bürgerlichen Politikern erwartet: eben in Krisenzeiten keine Panik zu erzeugen.

Wenn dann noch Woodward vorgeworfen wird, er hätte diese Informationen früher veröffentlichen sollen, weil damit vielleicht Menschenleben gerettet werden können, verlässt man sich auf den Grundsatz, dass nur genügend Panik erzeugt werden muss, damit Menschen ihr Leben grundlegend verändern und dann weniger Krankheitsfälle eintreten. Das sind aber unbewiese Annahmen.

Auch wird ausgeblendet, dass viele Gouverneure in den USA, anders als Trump, immer besonders die Gefährlichkeit des Virus betonten und damit auch in großen Teilen der USA Gehör fanden. Es ist doch eine naive und extrem autoritäre Vorstellung zu glauben, es müsste nur ein Präsident besonders viel Angst vor einer gefährlichen Krankheit verbreiten und schon verkriechen sich alle in ihre Wohnungen.

Darüber hinaus werden Kollateralschäden ausgeblendet. Es gibt genügend Beispiele von Ländern wie Indien, in denen viele Menschen an den Folgen der Isolation und der damit verbundenen Beschwernisse leiden und sterben. Was man Trump wie vielen anderen Politikern in aller Welt vorwerfen kann, ist, dass sie nichts unternommen haben, was wirklich gegen eine gefährliche Krankheit hilft: ein konsequenter Ausbau des Gesundheitssystems und intensive Forschungen für Impfungen und Tests gegen Corona.

Es ist nicht verwunderlich, dass dieser Vorwurf Trump nur von linken Gruppen gemacht wird. Die Mehrheit seiner Kritiker auch aus der Demokratischen Partei haben sich auch nicht als Befürworter für ein Gesundheitssystem für alle hervorgetan. Bernie Sanders und seine Unterstützer, die sich für mehr Egalität im US-Gesundheitswesen einsetzen, wurden in ihrer Partei ausgebremst.

Klimapanik als Normalzustand

Die Erzeugung von Panik dürfte sich bald nicht nur auf die Corona-Bekämpfung beschränken. Längst hat man von anderen Krankheiten gehört, die ein Grund für weitere Eingriffe in den Alltag der Menschen bieten könnten.

Kaum ist ein Fall der sogenannten afrikanischen Schweinepest in Deutschland bestätigt, gibt es schon den ersten Exportstopp. Eine pessimistische Gesellschaft braucht immer neue Anlässe für Warnungen und Panikinszenierungen, die den Alltag der Menschen bestimmen.

Dazu kommen Klimakrisen, ob eine lange Dürre oder Dauerregen, auf die dann mit einem Klimanotstand reagiert werden soll – was durchaus an den Umgang mit Corona erinnert. In Teilen der Umweltbewegung wird Greta Thunbergs Credo „Ihr sollt in Panik verfallen“ sehr ernst genommen. Die Forderungen nach dem Vorbild des Corona- auch den Umweltnotstand nicht nur als papierne Erklärung zu belassen, häufen sich.

Bildet eine klimagerechte Sprache die Realität besser ab?

Dabei geht es auch darum, in der Sprache den angeblichen oder tatsächlichen Ernst der Situation deutlich zu machen. So engagiert sich der Dortmunder Journalistik-Professor Torsten Schäfer für eine klimagerechte Sprache, die die taz jetzt in ihrer Ökologieberichterstattung anwenden will.

Nun ist schon lange bekannt, dass Sprache nicht neutral ist und auch die konservative Vorstellung, dass es sich dabei um ein Kulturgut handelt, das möglichst nicht von Neuerungen behelligt werden soll, wie es Gegner einer gendergerechten oder rassismussensiblen Sprache propagieren, ist nicht haltbar.

Es ist also in diesem Sinne nichts dagegen einzuwenden, wenn Erkenntnisse der Umweltforschung auch in die Sprache einfließen. Schon vor Jahrzehnten hat die Atomindustrie erkannt, wie man mit positiven Begriffen gesundheitsgefährdende Folgen schönredet. Das fing schon damit an, dass dort von Kernkraft statt Atomkraft geredet wird. Letzteres erinnert doch zu sehr an die zerstörerische Wirkung von Atombomben.

Sehr bekannt ist das sprachliche Greenwashing von Atommülllagern, die zu „Entsorgungsparks“ wurden. In diesem Sinne ist es natürlich sinnvoll, auch beim Schreiben über die Klimasituation auf die Sprache zu achten.

Einige der Vorschläge für eine klimagerechte Ausdrucksweise sind plausibel. So ist es sinnvoll von „Erderhitzung“ statt „Erderwärmung“ zu schreiben. Denn Wärme ist positiv konnotiert, während Hitze den negativen Aspekt betont, der den Erfahrungen vieler von den Hitzesommern betroffenen Menschen näherkommt.

Komplizierter wird es schon, wenn der Begriff „Klimawandel“ durch „Klimanotstand“ ersetzt wird, weil dadurch mit einem Begriff der autoritären Staatlichkeit operiert wird. Eigentlich sollte jeglicher Notstand Widerstand auslösen, wie es für Linke und Liberale im Kampf gegen die Notstandsgesetzte noch Praxis war.

Wenn der Begriff „Klimanotstand“ nun die „Klimasituation“ beschreiben soll, wird der Notstandsbegriff entgrenzt und normalisiert. Noch problematischer ist, dass Torsten Schäfer auch empfiehlt, den Begriff Klimawandelleugner oder noch genereller Wissenschaftsleugner auf Menschen anzuwenden, die nicht den allgemeinen Paradigmen in der Klimadebatte folgen.

Diese kommen im Tarnkleid einer philosophischen Tugend daher, die positiv gedeutet wird im Hinblick auf die Vernunft, Eigenständigkeit im Urteil, das Nachdenken und das ruhige Überlegen, das der Skepsis innewohnt. So jemanden ruft man im Zweifel als Journalist auch gern an, im Glauben an eine Ausgewogenheit der Berichterstattung.

Torsten Schäfer, taz

Damit wird die Personengruppe ausgeweitet. Es sind eben nicht mehr nur die Propagandisten der fossilen Industrie oder rechter Parteien. Es könnten auch Menschen betroffen sein, die vielleicht nur daran erinnern, dass sich wissenschaftliche Paradigmen immer wieder ändern und dass Zweifel und Fragen ein wichtiger Motor dafür sind. Sollten die jetzt begrifflich stigmatisiert werden?

Gerade für die USA ist diese Tradition des „balanced reporting“, die auch stark durch Zeit- und Personalmangel gefördert wird, untersucht. Sie hat neben anderen Faktoren mit dazu geführt, dass Klima(Wandel)Leugner (der bessere Begriff) oder Wissenschaftsleugner (etwas sperrig und genereller, bedarf eigentlich einer breiteren Recherche hinsichtlich des gesamten Wissenschaftsverständnisses einer Person und damit einer näheren Beschäftigung mit ihr) in der US-Debatte über das Klima eine starke Rolle haben.

Torsten Schäfer, taz

Der Journalistik-Professor problematisiert leider nicht, dass hier bewusst an den Begriff der Holocaustleugner erinnert wird, der der Shoah, dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte vorbehalten ist. Es droht eine Relativierung der Shoah, wenn nun der Leugner-Vorwurf auf alle möglichen andere Dinge ausgedehnt wurde. So wird in der Berichterstattung über die teils irrationalen Corona-Maßnahme-Gegner der Begriff des Corona-Leugners benutzt.

Es gab aber keinen Patriarchats- oder Rassismusleugner. Und auch den Kapitalismusleugner hat Torsten Schäfer nicht auf der Liste der klimagerechten Sprache. Das ist positiv. Doch der Leugnerbegriff sollte insgesamt in diesem Zusammenhang hinterfragt werden. Interessant ist, dass Schäfer den Begriff Anthropozän nicht hinterfragt, der betonten soll, dass der Mensch für die Erderhitzung verantwortlich ist.

Kapitalozän statt Anthropozän

In der Klimagerechtigkeitsbewegung wird mit Recht daran erinnert, dass nicht der Mensch an sich, sondern die kapitalistische Wirtschaftsweise für diese Veränderungen verantwortlich ist und es daher sinnvoller wäre, von Kapitalozän zu reden.

Damit würde deutlich, dass die Veränderungen im Klima erst in der menschheitsgeschichtlich relativ kurzen Zeit der kapitalistischen Produktionsweise gefährliche Ausmaße angenommen hat. Zudem würde damit deutlich, dass es einen solidarischen Ausweg gibt, der auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung diskutiert wird: „Systemchange not Klimachange“.

Eine solche Orientierung würde gerade keine Panik verbreiten, sondern verdeutlichen, dass die Menschen es in der Hand haben, durch gesellschaftliche Veränderungen auch eine weitere Erderhitzung zu verhindern. Die Menschen würden nicht mehr zu Objekten oft schwer durchschaubarer Prozesse, sondern wieder die Akteure der Geschichte.

Die bräuchten dann keine Warntage, sondern Aktionstage zur Veränderung des Klimas in der Gesellschaft und der Natur.

Dass das auch in Zeiten von Corona möglich ist, zeigte sich beim Pressefest der kommunistischen Tageszeitung Avante in Lissabon am letzten Wochenende. Obwohl rechte Gruppen mit Verweis auf Corona eine Absage forderten, verlegten die Organisatoren das Festival auch nicht ins Internet, sondern führten es mit Hygienemaßnahmen durch.

Angesichts der Corona-Folgen wollen Portugals Kommunisten den Protest nicht Demagogen überlassen. …. Es sei nicht gelungen, der PCP den Mund zu verbieten, betonte in seiner Rede ihr Vorsitzender Jerónimo de Sousa. »Wir sind hier, um unser Eintreten für demokratische Rechte und Freiheiten zu bekräftigen, in den Betrieben und auf der Straße.« Die PCP verteidige das öffentliche Gesundheitssystem gegen neoliberale Politik. Zu Gesundheit gehörten auch alle Lebensbedingungen der Menschen.

Peter Steiniger, nd

Solche Töne von linken Bewegungen wären auch in Deutschland ein Antidot gegen irrationale und rechte Bewegungen und sinnvoller als jeder Warntag. Peter Nowak