Kommentar: Der von Steinmeier ins Gespräch gebrachte Trauertag für die Corona-Opfer könnte ein Tag des Protestes gegen ein gesellschaftliches System sein, das dafür sorgt, dass Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten sterben müssen

Kann Trauer über die Corona-Toten zu einem sozialen Protest führen

Ein Trauertag für die Corona-Opfer könnte so auch ein Tag sein, an dem die Beschäftigten und ihre Unterstützer diese Forderungen auf die Straße tragen. Es sollte zudem gefordert werden, dass ein transnationales Forscherteam über Impfen und Corona-Tests forscht und die Ergebnisse nicht durch kapitalistische und nationale Einschränkungen wieder eingrenzt werden. Vielmehr müssen die Ergebnisse, wenn sie naturwissenschaftlich bewiesen sind, allen Menschen überall auf der Welt zugutekommen.

Demonstranten, die Corona-Tests als Verschwörung gegen ihr „Volk“ bezeichnen: Dabei handelt es sich nicht um Reichsbürger und andere Rechte in Deutschland, sondern um Anhänger der im Westen so hochgelobten  …..

…. Demokratiebewegung in Hongkong. Dort werden unbewiesene Verschwörungstheorien mit nationalistischen Untertönen verbreitet. Damit werden sie dem in der Montagszeitschrift Konkret verliehenen Titel „Pegida von Hongkong“ gerecht.

In deutschen Medien wird allerdings für die Hongkonger Corona-Maßnahmen-Gegner einiges Verständnis aufgebracht:

Viele Vertreter und Vertreterinnen aus dem pro-demokratischen politischen Lager Hongkongs lehnen den Massentest rundweg ab. Sie haben zu einem Boykott aufgerufen. Chinas kommunistische Führung wolle über den Corona-Massentest an persönliche Daten der Menschen kommen, lautet der Vorwurf. Es bestehe die Gefahr, dass die Tests missbraucht würden, um von Hongkongern eine DNA- bzw. Gen-Datenbank in Festlandchina anzulegen. Belege für diese These gibt es nicht, aber sie zeigt, dass viele Menschen in Hongkong der Führung in Peking alles zutrauen.

Steffen Wurzel, ARD-Studio, Shanghai

Kann Trauer zur Anklage werden?

Derweil ist Bundespräsident Steinmeier mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, einen Trauertag für die Corona-Opfer einzurichten. Der Tag richte sich an die Freunde und Angehörigen der Toten, erklärte der Bundespräsident.

Der Corona-Tod ist „ein einsamer Tod“, sagte Steinmeier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Viele Patienten in Krankenhäusern und Altenheimen seien ohne den Beistand ihrer Angehörigen gestorben, die Hinterbliebenen hätten nicht Abschied nehmen können. Nur erwähnt Steinmeier nicht, dass viele der Opfer einsam sterben mussten, weil durch die Corona-Maßnahmen Besuche von Angehörigen verboten waren

Diese Maßnahme wurde auch aus medizinischer Sicht kontrovers diskutiert. Es gab Länder, die Besuche bei den Kranken unter Schutzbedingungen ermöglichten.

Viele Angehörige und Freunde, die sich nicht von ihren Angehörigen verabschieden konnten, gehörten zu denen, die in den letzten Wochen in verschiedenen Städten in Deutschland auf die Straße gingen. Insofern ist Steinmeiers Ankündigung auch eine Reaktion auf die Proteste.

Doch auch die Trauertage könnten Anlass für Protest sein. Dafür gibt es Beispiele. Es gibt seit Jahren Trauertage für die Opfer von Aids. Sie werden von selbstorganisierten Gruppen der Patienten und ihrer Freunde organisiert und waren immer auch Anlass, die unterschiedlichen Facetten staatlicher Aids-Politik zu diskutieren und Kritik zu äußern. „Aids is a political crisis“, lautete das Motto von Initiativen wie Act up, die sich seit den 1980er Jahren in den USA und anderen Ländern dafür engagieren, dass Aids-Patienten die optimalen Behandlungsmöglichkeiten haben.

Nach diesem Vorbild könnten soziale Gruppen und Beschäftigte in Kliniken und Krankenhäusern am anvisierten Trauertag für die Corona-Opfer „Corona is a politial crisis“ propagieren. Da könnte es um Kritik an dem Verbot gehen, Patienten zu besuchen, das dazu führte, dass viele Corona-Patienten einsam sterben mussten – aber auch um Kritik an einem kaputt gesparten Gesundheitssystem, das nach wirtschaftsliberalen Vorgaben gestaltet werden soll.

Der aktuelle Arbeitskampf der CFM-Beschäftigten in der Berliner Charité zeigt, dass diese Pläne auch in Zeiten von Corona weitergehen. Der Applaus für die sogenannten Heldinnen und Helden des Alltags, die zu Beginn des Lockdowns viel Aufmerksamkeit erregten, hat nicht dazu geführt, dass diese Menschen jetzt besser bezahlt werden. „Klatschen reicht nicht“, lautete die Parole.

Ein Trauertag für die Corona-Opfer könnte so auch ein Tag sein, an dem die Beschäftigten und ihre Unterstützer diese Forderungen auf die Straße tragen. Es sollte zudem gefordert werden, dass ein transnationales Forscherteam über Impfen und Corona-Tests forscht und die Ergebnisse nicht durch kapitalistische und nationale Einschränkungen wieder eingrenzt werden. Vielmehr müssen die Ergebnisse, wenn sie naturwissenschaftlich bewiesen sind, allen Menschen überall auf der Welt zugutekommen.

Das sollte auch für medizinische Maßnahmen für andere Krankheiten gelten, die längst heilbar wären, an der aber noch immer Menschen vor allem im globalen Süden sterben. Sie sterben an den kapitalistischen Verhältnissen, die verhindern, dass sie von den medizinischen Erkenntnissen profitieren können.

So könnte ein Trauertag für die Corona-Opfer auch ein Tag des Protestes gegen ein gesellschaftliches System sein, das dafür sorgt, dass Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten sterben müssen. In Frankreich und anderen Ländern gab es in den letzten Monaten solche Proteste bereits, an denen sich auch das Krankenhauspersonal und ihre Gewerkschaften beteiligten. Es wäre zu hoffen, dass es auch in Deutschland solche Aktionen geben wird. 

Sie wären ein Antidot gegen die rechtsoffenen und wirtschaftsliberalen Proteste der sogenannten Querdenker