Die Linkspartei sucht ein Führungsduo und muss verhindern, dass alte Streitigkeiten wieder aufbrechen. Die Nawalyn-Affäre konnte zusätzlichen Streit auslösen

Geht der Kelch der Regierungsbeteiligung noch einmal an der Linken vorbei?

Im Fall Nawalny sind die Töne selbst vorher eher außenpolitisch moderater Grüner wie Jürgen Trittin gegenüber Russland oft noch aggressiver als die von Unionspolitikern. Da scheint ein Bündnis mit der Linken undenkbar. Das sollte aber vor allem für die linken und bewegungsorientierten Kräfte eine gute Nachricht sein. Schließlich würde die Linke als Teil einer Bundesregierung die Partei ebenso ruinieren, wie es bereits mit ihren Schwesterparteien in Frankreich und Italien passiert ist.

Die hessische Linksparteipolitikerin Janine Wissler [1] war bisher bundesweit wenig bekannt. Das könnte sich ändern. Sie hat sich für das Amt der Parteivorsitzenden beworben. Kurz nach Wissler hat sich auch ….

….  Susanne Henning-Wellsow [2] zur Kandidatur bereit erklärt. Das Duo Wissler/Henning-Wellsow dürfte parteiintern viel Sympathie haben. Wissler als gemäßigte Linke und Henning-Wellsow als Vertreterin der Regierungslinken, die für „klare Kante gegen die AfD“ bekannt wurde. Mit dem Kampf gegen rechts kann man heute in der Regierungslinken jeden Kompromiss mit den bürgerlichen Kräften rechtfertigen.

Dafür steht die Linkspartei in Thüringen, die gerade in den Wochen bundesweit an Popularität gewonnen hatte, als das kurze Intermezzo des von der AfD mitgewählten FDP-Politikers Kemmerich die Republik kurze Zeit in Aufregung versetzte. Mancherorts hatte man den Eindruck, es gelte eine neue faschistische Machtübernahme zu verhindern. Mit dem Kampf gegen rechts konnte man auch ein außerparlamentarisches Spektrum der Linken überzeugen, die sich eher mit dem Banner Antifa als unter dem Kampf für soziale Themen mobilisieren lässt.

Wie werden die Anhänger von Sahra Wagenknecht reagieren?

Daran sind auch Organisierungsbestrebungen in Teilen der Linkspartei gescheitert, wie sie vor allem von der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht verfolgt wurden. Die von ihr wesentlich mit initiierte Bewegung Aufstehen [3] setzte vorrangig auf soziale Themen.

Schnell wurden die Vorwürfe laut, hier würde auf Wähler der AfD gezielt. Vor allem in der Migrationsfrage würden hier von Wagenknecht und ihren Anhängern rechte Positionen übernommen. Die Kritik von antirassistischen Gruppen war nicht unberechtigt. Es gab von Wagenknecht und ihrem Umfeld immer wieder Äußerungen, die kritisierten, dass im Kapitalismus Menschen aus unterschiedlichen Gründen zur Migration gezwungen sind.

Eine solche linke Migrationskritik, die fordert, dass Menschen auch in ihrer Heimat die Möglichkeit haben müssen, sich ein Leben nach ihren Bedürfnissen aufzubauen, muss unterschieden werden gegenüber rechten Ressentiments, die Geflüchteten höchstens Gastrecht zugestehen wollen. Doch, wenn vor allem von der Realofraktion der Linken gegen Wagenknecht agiert wurde, hatte das nicht nur mit ihren migrationspolitischen Äußerungen zu tun.

Schließlich wird ja auch in Thüringen, dem Modellprojekt der Regierungslinken, abgeschoben. Viele Realos sahen in Wagenknecht und ihren Flügel ein Hindernis für eine Kooperation mit Grünen und Linken. So hatte das ehemalige Mitglied der Kommunistischen Plattform der PDS noch immer den Ruf einer Gegnerin von Regierungsbündnissen, obwohl an ihr auch noch keine Koalition gescheitert wäre.

Die Auseinandersetzung mit den Wagenknecht-Flügel bestimmte zeitweise die achtjährige Tätigkeit des Vorstandsduo Riexinger/Kipping. Der Konflikt schien befriedet, nachdem Wagenknecht den Fraktionssitz abgegeben hat. Dieser mit gesundheitlichen Gründen begründete Schritt wurde auch als Sieg der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger interpretiert.

Mit dem Abtritt der beiden, stellt sich natürlich die Frage, wie die Anhänger von Wagenknecht in der Linken reagieren, die es in vielen Parteigliederungen weiterhin gibt. Wagenknecht sorgt in Talkshows noch immer für Einschaltquoten und bringt auch bei Wahlkampfauftritten Zuhörer auf die Straße. Immer wieder hört man an der Basis der Linken die Klage, die Partei habe ihre erfolgreichste Politikerin ausgegrenzt.

Tatsächlich gibt es dazu auch keine Gegenbeweise, denn große Wahlerfolge hatte die Linkspartei in den letzten Monaten nicht vorzuweisen. Die Wagenknecht-Kritiker kontern, dass dazu auch deren Flügel beigetragen hat, mit ihrer eigenmächtigen Politik und der in der Partei umstrittenen Gründung der Bewegung „Aufstehen“.

Jedenfalls wird es allgemein als Fehler eingeschätzt, dass Wagenknecht zum Kopf einer Bewegung wurde, die parteipolitisch unabhängig sein wollte und gleichzeitig hat sie das Amt der Fraktionsvorsitzenden ausgeübt, obwohl in der Faktion die Mehrheit „Aufstehen“ nicht unterstützte. Ob sich der Wagenknecht-Flügel mit eigenen Kandidaten zur Parteiführung beteiligt oder eine starke Position für Wagenknecht beim nächsten Bundestagswahlkampf einfordert, ist noch offen.

Niemand will zurück zu den Zeiten, als zwischen den Parteiflügel Krieg herrschte

Zurück zu den Zeiten, als zwischen den unterschiedlichen Parteiflügel regelrechte Feindschaft herrschte, will in der Partei aber niemand. Es wird dem Duo Riexinger-Kipping auch positiv angerechnet, dass sie den innerparteilichen Krieg beendeten.

Vor der Auseinandersetzung mit Wagenknecht sorgte ihr späterer Lebensgefährte Oskar Lafontaine für Zoff in der Partei. Der langjährige SPD-Politiker, ohne den es die Linkspartei gar nicht gäbe, wurde vom Hoffnungsträger bald zum Kontrahenten, vor allem bei den ehemaligen PDS-Funktionären wie Dietmar Bartsch, die sich eigentlich als etwas linkere Variante der SPD sahen und möglichst schnell ankommen wollten im Politikbetrieb.

Lafontaine, der die SPD schließlich aus eigener Erfahrung gut kennt, war da vorsichtiger. Allerdings handelte es sich bei dem Streit um eine Auseinandersetzung unter Sozialdemokraten. Wie Wagenknecht kokettierte auch Lafontaine schon mal Ressentiments gegen Geflüchtete. Als SPD-Politiker war er maßgeblich an der Demontage des bundesdeutschen Asylrechts beteiligt.

Mit der Wahl des Duos Riexinger/Kipping vor 8 Jahren wurde der Streit dieser sozialdemokratischen Funktionäre vorerst beendet. Anfangs musste sich Riexinger noch des Vorwurfs erwehren, er sei lediglich ein Statthalter von Oskar Lafontaine, der vor allem verhinderten wollte, dass Dietmar Bartsch Teil der Parteiführung wird. Doch die Kritiker Riexingers täuschten sich.

Der linke Stuttgarter Gewerkschaftler kam nicht aus dem SPD-Apparat und stand eher für gewerkschaftliche Organisierung als für Parteipolitik. Im Bündnis mit der bewegungsnahen Reformpolitikerin Kipping, repräsentierte Riexinger einen Reformismus, der auch außerparlamentarische Mobilisierung als wichtiges Kampfmittel betrachtet.

Soziales Zentrum statt Parteibüro

Solche Konzepte vertritt auch die Bewegungslinke [4], die sich im Dezember letzten Jahres gründete und vor allem für jüngere Parteimitglieder attraktiv scheint. Durch den Corona-Lockdown ist allerdings deren Bewegungsradius aktuell recht beschränkt.

In Leipzig steht die Politikerin Juliane Nagel [5] für einen solchen bewegungsnahen Kurs und konnte ein Direktmandat bei den sächsischen Landtagswahlen gewinnen. Dazu hat sicher auch das Konzept beigetragen, aus dem Parteibüro ein soziales Zentrum zu machen, das auch für Initiativen außerhalb der Partie offen steht [6].

Allerdings gibt es dort nach 20 Jahren auch Bürokratisierungstendenzen [7]. Das Konzept dürfte auch nur in Regionen funktionieren, in der die Linke in der Opposition ist. In Berlin, wo sie mitregiert, bekommt sie in letzter Zeit mehr Gegenwind von stadtpolitischen Initiativen beispielsweise, wenn linke Projekte geräumt werden [8] oder bei der Frage, welche Macht finanzschwere Investoren in der Stadt haben [9].

Frieden mit der Nato?

Nun steht die Linkspartei vor der Frage, auch auf Bundesebene nach den nächsten Wahlen als Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne zur Verfügung zu stehen. Vor allem Katja Kipping und Dietmar Bartsch haben sich für eine solche Konstellation stark gemacht. Dabei haben sie nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, dass Deutschland nicht aus der Nato austreten wird, wenn die Linke mitregiert.

Doch dieses Thema mobilisiert seit Jahren Teile der Basis, die ihren friedenspolitischen Markenkern in Gefahr sieht. Auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete haben einen Aufruf [10] unterschrieben, dass die Linke an ihrer Nato-kritischen Haltung festhalten soll.

Das Problem besteht nur darin, dass das berechtigte Anliegen nicht mit einer generell staats- und kapitalismuskritischen Perspektive verknüpft wird. Eine Kritik an der Nato hat nur dann eine emanzipatorische Perspektive, wenn sie nicht in den ideologischen Gräben des Kalten Krieges auf der inhaltsleeren Formel „Frieden mit Russland“ bewegt, die auch von Teilen der AfD schon längst vertreten wird.

Da glauben selbst linke Publizisten wie Nick Brauns Bismarck für seine angeblich pragmatische Außenpolitik verteidigen zu müssen. So begründet Brauns in einem Debattenbeitrag [11] in der jungen Welt, warum das Bismarck-Denkmal in Hamburg nicht gestützt werden soll, unter anderem mit dem Argument:

Heute allerdings wäre es angesichts der Einkreisung Russlands durch die NATO ein fatales Signal, ausgerechnet Statuen des Staatsmannes zu stürzen, dessen außenpolitisches Streben im Gegensatz zu seinen Nachfolgern primär darauf gerichtet war, es niemals zu einem Krieg Deutschlands mit Russland kommen zu lassen.

Nick Brauns, junge Welt

Was heißt „Friede mit Russland“?

Dabei verweist Brauns darauf, dass die SED in der Spätphase der DDR von ihrer antipreußischen Politik abgerückt war und in Teilen der preußischen Geschichte Anknüpfungspunkte für linke Politik zu erkennen glaubte. Doch gerade das war ein Ausdruck einer Abkehr linker Positionen der poststalinistischen Partei.

Statt Bismarcks Geopolitik zu verteidigen, die ihn auch für die Rechten anschlussfähig macht, wäre eine linke Position, Unterstützung emanzipativer Kämpfe überall in der Welt. Da sollte es keine Ländergrenzen geben. Gleichzeitig sollte der Kampf gegen jede Kriegspolitik der Staatsapparate selbstverständlich sein.

Dazu gilt es auch die immer aktuellen Gründe für eine staatliche Eskalation der Machtblöcke zu entlarven. Im Fall Nawalny sollte zumindest daran erinnert werden, dass er auch von konservativen Medien lange Zeit als rechte Alternative zu Putin [12] gesehen wurde.

Nawalny, der bei den letzten Bürgermeisterwahlen fast 30 Prozent holte, scheut nicht davor zurück, mit harten Worten gegen Migration zu wettern. Zum ersten Mal hat Russland eine wählbare, unabhängige Alternative, die rechts von Putin steht. Seine streitbare Vergangenheit scheint seine Wähler nicht zu stören.

Die Welt, 2014

Damit ist noch nicht geklärt, wer und was hinter dem Giftanschlag steckt. Linke sollten sich da weder in Verschwörungstheorien ergehen noch in den Chor der antirussischen Töne einstimmen, die aktuell von Grünen bis zur Union zu hören sind. Dabei geht es natürlich um Profilierung im globalen Wettbewerb kapitalistischer Zentren.

Russland gehört da ebenso dazu wie die USA und China. Linke könnten mal daran erinnern, dass die Ermordung von Oppositionellen durchaus kein Widerspruch zu den westlichen Werten ist. Frankreich und Belgien unterstützten die Ermordung [13] des antikolonialistischen ersten Ministerpräsidenten des Kongos, Patrice Lumumba.

Selbst die Umweltorganisation Greenpeace sahen die französischen Staatsapparate als einen Störfaktor, dass der Geheimdienst das Schiff Rainbow Warrior 1985 in die Luft sprengte [14], wobei ein Kameramann ums Leben kam.

Zudem sorgen Giftanschläge gegen ukrainische Politiker dann für wenig Schlagzeilen, wenn sie nicht als EU-freundlich gelten. Darauf sollte eine Linke hinweisen und sich so von den Politikern abgrenzen, die einen neuen Kalten Krieg gegen Russland mit prowestlichen Tönen favorisieren. Dabei müsste eine linke Position aber eben nicht die prorussische Position übernehmen, sondern eben aus der Logik des Kalten Kriegs aussteigen, in dem man eben linke und emanzipatorische Bewegungen in Russland unterstützt.

Das können Gewerkschaften, linke Parteien, aber auch verfolgte Künstler und sexuelle Minderheiten sein. Es wird sich zeigen, ob es der Linkspartei gelingt, hier eine gemeinsame Linie zu finden oder ob beim Kampf um den Frieden mit Russland der Parteifriede erneut in Gefahr ist. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass durch die Nawalny-Episode ein Regierungsbündnis zwischen SPD, Grünen und Linken noch unwahrscheinlicher wird als es vorher schon war.

Führende Grüne setzten auf eine Koalition mit der Union. Im Fall Nawalny sind die Töne selbst vorher eher außenpolitisch moderater Grüner wie Jürgen Trittin gegenüber Russland oft noch aggressiver als die von Unionspolitikern. Da scheint ein Bündnis mit der Linken undenkbar.

Das sollte aber vor allem für die linken und bewegungsorientierten Kräfte eine gute Nachricht sein. Schließlich würde die Linke als Teil einer Bundesregierung die Partei ebenso ruinieren, wie es bereits mit ihren Schwesterparteien in Frankreich und Italien passiert ist. Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort:
Die Linkspartei sucht ein Führungsduo und muss verhindern, dass alte Streitigkeiten wieder aufbrechen. Die Nawalyn-Affäre konnte zusätzlichen Streit auslösen