Während in Berlin die Merkelgegner aktiv werden, streitet die CDU in Thüringen, ob sie mit der Linkspartei oder der AfD kooperieren soll

Was würde ein historischer Kompromiss in Thüringen bedeuten?

In Italien hat der historische Kompromiss, der nicht stattgefunden hatte, mit dazu beigetragen, dass nur wenige Jahre später sowohl die kommunistische als auch die christdemokratische Partei von der politischen Landkarte verschwunden waren. Das war die Stunde für den Aufstieg einer neuen Rechten, erst unter Berlusconi, jetzt unter Salvini. Das sollten sich alle ins Gedächtnis rufen, die ein Bündnis zwischen CDU und Linkspartei in Thüringen fast schon als antifaschistische Aktion verklären.

Eigentlich ist Thüringen ein relativ kleines Bundesland. Dass das dortige Wahlergebnis den Machtkampf in der CDU offen auslöste, lag daran, dass sich die Auseinandersetzung schon lange abzeichnete. Die großen Verluste der CDU in Thüringen sind dann nur der Auslöser für die jetzigen Unruhen. Denn mit zweistelligen Verlusten machte die CDU nun die Erfahrung, mit der ……

….. die SPD bereits seit Jahren umgehen muss. Sie kann froh sein, wenn sie noch über 20 Prozent kommt. 

Auch die CDU ist vom Hegemonieverlust nicht verschont geblieben, den fast alle etablierten politischen Parteien in den letzten Jahren erfahren mussten. Nun ist die Debatte um die Zukunft der Union voll entbrannt. 

Noch einmal Merz kontra Merkel

Dass jetzt der ehemalige CDU-Politiker Friedrich Merz Merkel offen angreift und ihr Führungsschwäche unterstellt, ist keine Überraschung. Schließlich ist der betont wirtschaftsliberale Konservative seit Jahrzehnten der direkte Kontrahent von ihr. Merz ist sozusagen die letzte kämpfende Einheit jenes Anden-Paktes, in dem sich in den 1980er Jahren damalige junge CDU-Politiker die Pfründe für eine Zeit nach Helmut Kohl in der Partei verteilt haben

Sie konnten damals noch nicht damit rechnen, dass aus der ehemaligen DDR eine Politikerin kommen würde, die ohne jegliche Bekanntheit in der Opposition über Jahrzehnte die Politik der Union bestimmen sollte. Angela Merkel konnte Kohl und die Anden-Pakt-Politiker abservieren, weil sie sich mit Wolfgang Schäuble verständigt hatte. Kohls Mann fürs Grobe, der politisch derart beschädigt war, dass er sich eine Kanzlerschaft abschminken konnte, vereinbarte mit Merkel, dass er ihr die Führung der Union überlässt. Er selber blieb der mächtige Strippenzieher im Hintergrund, der das Austeritätsregime gegen Griechenland besonders hart ausgestaltete. 

Das Duo Merkel-Schäuble konnte die Linie der Union über Jahre fast unangefochten bestimmen. Die in die Jahre kommenden Boys des Andenpakts waren da bereits in politische Sackgassen gelandet. Roland Koch beendete seine politische Karriere als hessischer Ministerpräsident, Wulf als Kurzzeitpräsident. 

Auch Friedrich Merz wechselte in die lukrativere Wirtschaft, machte aber immer deutlich, dass er mit Merkel noch eine Rechnung offen hat. Jetzt, wo das Duo Schäuble-Merkel Geschichte ist, sieht er die Gelegenheit zum Frontalangriff. Doch sein erster Angriffsplan, die Übernahme des CDU-Vorsitzes, scheiterte knapp gegen die Merkel-Vertraute Kramp-Karrenbauer. Doch schnell war klar, dass die Merz-Anhänger sich damit nicht zufrieden geben würden. Die neue Vorsitzende wurde sofort dementiert, selbst eine Büttenrede wurde als Malus angerechnet. 

Die für die CDU verlorene Landtagswahl wurde jetzt zum Auslöser für den neuen Angriff von Merz. Dabei treten vor allem viele Jungpolitiker aus der Jungen Union als Rammbock auf. Auch der explizit konservative Carsten Linnemann profiliert sich erneut als Merkel-Kritiker. Das macht auch deutlich, dass es bei der Auseinandersetzung nicht nur um die Neuauflage der alten Auseinandersetzung zwischen Merkel und Merz geht. Es geht um die Neuausrichtung der bisher größten konservativen Partei. 

Dem Merkel-Flügel wird immer wieder eine Sozialdemokratisierung der Union nachgesagt. Das ist allerdings eine Phrase, die auch von allen rechten Merkel-Gegnern genutzt wird. Tatsächlich fand unter der Ägide Merkel eine partielle Modernisierung der Union statt, einige Karrierefrauen stiegen auf. Das gefiel dem neuen urbanen Mittelstand und so konnten die Grünen zum Wunschkoalitionspartner werden. Hinter dieser Strategie standen die Interessen der modernen, auf Export angewiesenen Kapitalfraktionen in Deutschland. 

Teilweise hatte sich die Union deren modernen Imagestrategien von Diversity und Modernität angepasst. Deshalb würde auch eine Merkel-Nachfolge unter Merz nicht einfach zur Männer-CDU der Kohl-Ära zurückkehren können. Der Modernisierungskurs ist eben nicht einfach eine einsame Idee von Merkel und Co., sondern dahinter stehen eben relevante Kapitelinteressen. Hinter Merz und Co. stehen hingegen konservative Alt- und Jungmänner, die es bis heute nicht verwunden haben, dass eine Frau, dazu eine aus dem Osten, ihnen ihre Pfründe streitig machen konnte. Hinter den Merkel-Gegnern haben sich auch die unterschiedlichen Konservativen versammelt, die noch immer den Zeiten von Kohl und Co. nachtrauern, als Diversity, Gender und Umwelt noch als Spleen der Grünen galten. 

Der Ausgang des Streits in der Union ist offen. Es wird sich zeigen, wer sich auf dem nächsten Unionsparteitag aus der Deckung wagt und Kramp-Karrenbauer und damit auch Merkel offen herausfordern. Schließlich kennt die Geschichte der Union eine Reihe von abgeblasenen Aufständen, wie die von Rita Süssmuth, Heiner Geißler und Co. angeführte Revolte gegen Kohl

Historischer Kompromiss in Thüringen?

Allerdings hatte die Union Ende der 1980er Jahre noch die Hegemonie im bürgerlichen Lager. Heute ist die brüchig, in der ehemaligen DDR gab es sie nie. Dass machte das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen deutlich. Dort steht der Ministerpräsident Ramelow, ein lange Zeit parteiloser Gewerkschafter aus Hessen, der sogar mal vom Verfassungsschutz in der BRD überwacht wurde, für die Mitte. 

Er ist ein typischer Sozialdemokrat und ist auch in einer Partei, die sich heute in der Tradition der SPD von Willy Brandt sieht, der Linkspartei. Doch im ideologischen Kampf wird mit der Partei noch immer Stasi, Kommunismus und Stalinismus verbunden. Daher wird es zur Glaubensfrage, ob die CDU nun mit den Thüringer Mehrheitssozialdemokraten von der Linkspartei in Gespräche eintritt oder mit der erstarkten AfD. 

Für beide Varianten gibt es auf kommunaler Ebene Beispiele. Es gibt in einigen Kommunen sowohl Kooperationen zwischen CDU und Linkspartei als auch zwischen CDU und AfD. Natürlich versuchen die Gegner einer Kooperation von CDU und Linkspartei mit dem Begriff der Nationalen Front den Eindruck zu erwecken, hier würde die DDR wiederaufleben. Das ist auch die Argumentation der AfD, die ja damit geworben hat, mit der Stimme für die Partei die Wende zu vollenden. 

Die Befürworter einer Annäherung, reden von einem historischen Kompromiss. Das war der Terminus, mit dem sich Mitte der 1970er die italienische Kommunistische Partei mit den dortigen Christdemokraten um eine Verständigung und Machtteilung bemühte. Es war die Hochzeit des sogenannten Eurokommunismus, wie die Versozialdemokratisierung ehemals stalinistisch geprägter Parteien in einigen Ländern Westeuropas genannt genannt wurde. 

Der historische Kompromiss kam letztlich nie zustande. Der Tod von Aldo Moro, der auf Seiten der Christdemokraten ein wesentlicher Protagonist dieser Linie war, beendete den Kurs. Noch immer gibt es unterschiedliche Theorien über die Beteiligung von Geheimdiensten an seiner Ermordung, für den die Guerillagruppe der Roten Brigaden die Verantwortung übernahm. Angeblich sollte mit seinen Tod verhindert werden, dass Kommunisten Einfluss auf die Politik in einem Natoland bekommen, so die Version derjenigen, die bezweifeln, dass die Roten Brigaden alleine dafür verantwortlich waren. 

Sind wir alle Bodo?

2019 würde ein historischer Kompromiss in Thüringen auf der Natoebene keine Sorgen mehr auslösen. Schließlich wird es in dem Bundesland auch unter einem Ministerpräsidenten Ramelow Bundesmanöver geben, obwohl die Linke in ihrer Programmatik strikt dagegen ist. 

Die Folgen eines historischen Kompromisses würden sich vor allem in den beiden Parteien ausdrücken. Der rechte CDU-Flügel könnte durchaus zur AfD tendieren und sie damit stärken. Für die Linkspartei würde ein solcher Kurs nur die Fortsetzung der Integration der Partei in das kapitalistische System bedeuten. So hätte die Linkspartei in Thüringen den Beweis erbracht, dass sie nicht nur den Ministerpräsident stellen, sondern mit fast allen regieren kann. 

Wenn die Linke nach den Landtagswahlen plakatiert „Heute sind wir alle Bodo“, dann trägt sie zur weiteren Entpolitisierung bei. Es gibt schon die ersten Satiren auf den Slogan. Vielleicht sollte man sich an ein Chanson von Franz Joseph Degenhardt aus dem Jahr 1972 unter dem Titel „Bodo – genannt der Rote“ erinnern. Der Chansonier Degenhardt kannte Ramelow nicht, aber in dem Song zeichnete er den Prototyp eines linken Aufsteigers nach, der auf seinen Weg zum Volk immer weiter nach rechts ging. 

In Italien hat der historische Kompromiss, der nicht stattgefunden hatte, mit dazu beigetragen, dass nur wenige Jahre später sowohl die kommunistische als auch die christdemokratische Partei von der politischen Landkarte verschwunden waren. Das war die Stunde für den Aufstieg einer neuen Rechten, erst unter Berlusconi, jetzt unter Salvini. Das sollten sich alle ins Gedächtnis rufen, die ein Bündnis zwischen CDU und Linkspartei in Thüringen fast schon als antifaschistische Aktion verklären.  Peter Nowak