Da sitzt Wolfgang Schaumberg im Jahr 2018 in einem Klassenraum vor einer Tafel und erzählt, wie er und viele Genoss*innen mit ihrer Betriebsarbeit vor mehr als 45 Jahren die Weltrevolution vorantreiben wollten Er berichtet, wie die jungen Linken Kontakte mit Genoss*innen aus Deutschland und Spanien knüpften, die bei Opel arbeiteten. Im Anschluss ist Willi Hajek zu sehen, der ….
….als Jugendlicher vom Pariser Mai beeindruckt war und den Geist der Revolte in die Bochumer Fabrik tragen wollte. Robert Schlosser erinnert sich schliessich, wie er als Jungarbeiter zu der Gruppe stiess, weil die – anders als die IG-Metall-Gewerkschafter*innen – nicht auf Sozialpartnerschaft setzten, sondern bereit waren, sich mit Bossen und Meistern anzulegen. Es sind Ausschnitte aus dem Film «Luft zum Atmen», der an fast vier Jahrzehnte kämpferischer linker Betriebsarbeit bei Opel-Bochum erinnert.
Linke Konkurrenz der IG Metall
1975 bekam die Gruppe oppositioneller Ge-werkschaftler*innen (GoG) bei den Betriebsratswahlen über 5000 Stimmen und erhielt damit knapp ein Drittel der Sitze. Die IG Metall war auf die linke Konkurrenz nicht gut zu sprechen. Mehrere GoG-Mitglieder wurden ausgeschlossen, einige erst nach vielen Jahren wieder in die Gewerkschaft aufgenommen. Doch der Konflikt mit der IG-Metall-Bürokratie setzte sich fort. Schliesslich mussten die rebellischen Kolleg*innen ihren Namen in Gegenwehr ohne Grenzen ändern. Die Gruppe, die sich seit 1972 jede Woche getroffen hatte, hielt auch nach der Schliessung von Opel im Jahr 2014 Kontakt und begann, über einen Film nachzudenken, der von den vielen Kämpfen der Belegschaft erzählt. Die linke Videoplattform labournet.tv, die Filme über die globalen Arbeitskämpfe veröffentlicht, wurde schliesslich mit der Umsetzung beauftragt.
Kampf um Bildungsurlaub
Der Film zeigt die alltägliche Kleinarbeit linker Gewerkschafter*innen, die für ein langfristiges Engagement entscheidend war. Dazu gehört der Kampf um den Bildungsurlaub, der es den Beschäftigten ermöglichte, den Betrieb eine Woche zu verlassen und sich mit anderen Themen zu beschäftigen. Die GoG sorgte dafür, dass Opel ein rebellischer Betrieb blieb. 2004 machte das Werk mit einem siebentägigen wilden Streik gegen Entlassungspläne noch einmal bundesweit Schlagzeilen. Beschäftigte, die den Betrieb und die Autobahn lahmlegen – solche Bilder kannte man von Arbeitskämpfen in Frankreich, aber nicht in der BRD. Hier ging die Saat auf, die die GoG gesät hatte.
Enttäuschung über Bürokratie
Und doch entschied sich in einer Urabstimmung schliesslich eine grosse Mehrheit der Belegschaft dafür, den Streik zu beenden, gerade in dem Augenblick, als er Wirkung zeigte und europaweit zu Lieferproblemen führte. Als der Betrieb schliesslich vollständig geschlossen wurde, gab es kaum noch Widerstand. Noch heute sind damalige Aktivist*innen enttäuscht auf die IG-Metall-Bürokratie, aber auch auf ihre eigenen Kolleg*innen. Doch die grössere Niederlage war das Scheitern des schon im Namen der Gruppe angelegten Versuchs, europaweiten Widerstand aller Opel-Werke gegen das Management zu organisieren. Die GoG reiste zu den verschiedenen Standorten in Spanien, Belgien und Osteuropa. Aber ein gemeinsamer Widerstand kam nicht zustande. Die Gründe dafür werden Gegenstand der Diskussion sein, die der Film auslöst.
Frage, was produziert wird
Mit dem deprimierenden Abbruch des Ausstands 2004 endet der Film, aber nicht die Geschichte der GoG. Die war noch weiter im Betrieb aktiv, allerdings mit nachlassender Unterstützung. Sie beteiligte sich in den letzten Jahren vor der Opel-Schliessung auch mit der Diskussion über die Fragen, «Was wollen wir produzieren, müssen es unbedingt Autos sein? Oder können wir mit unserem Wissen und unseren Maschinen nicht auch Gegenstände produzieren, die die Menschen besser als Autos nutzen können?» Diese Diskussion, die im Film jetzt nicht vorkommt, wäre allerdings auch für Veranstaltungen nach den Filmvorführungen interessant. Muss eine linke Gewerkschaftsarbeit in Betrieben, die beispielsweise Autos produzieren, nicht mehr sein als eine konsequente Interessenvertretung für die Beschäftigten? Geht es nicht um die Frage, was produziert wird und wie die Arbeitenden da Einfluss nehmen können? Schliesslich gab es Ende der 1970er Jahre solche Diskussionen der Konversion von Produkten unter Arbeiter*innenkontrolle, angeregt von Beschäftigten der britischen Rüstungsfirma Lucas Aerospace. Sie führte zu einer Debatte über die Produzent*innenmacht in Betrieben mit für Mensch und Umwelt schädlichen Produkte, die heute leider fast vergessen sind.
Betonung der Körperpolitik
Manche Diskussionen dürfte auch der französische Spielfilm «Streik» des französischen Regisseurs Stéphane Brizé auslösen. Xenixfilm und Prosa Film bringen den preisgekrönten Film in der Schweiz in die Kinos. Die Stärke dieses Films ist die Betonung der Körperpolitik. Der Film zeigt die Streikenden in Bewegung, wenn sie gemeinsam gegen den Angriff der Polizei agieren, aber auch dann, wenn langsam die Spaltung beginnt und sich unterschiedliche Interessen der Beschäftigten in lautstarken Wortgefechten ausdrücken. Der Film zeigt die Streikenden nicht als anonyme Masse, sondern zoomt immer wieder auf ihre Gesichter. Er zeigt die Arbeitenden als Individuen, die kollektiv handeln oder sich auch heftig fetzen. Auch hier geht es um fehlende transnationale Solidarität. Denn für die drohende Schliessung der Autofirma ist ein deutscher Manager verantwortlich, der aber nicht mit den Beschäftigten reden will. «Der Deutsche muss an den Tisch» lautet die Parole, mit der die Beschäftigten ihre Forderung nach Verhandlungen unterstreichen wollen. Als der Manager dann mit Vermittlung der Regierung doch noch an den Tisch kommt, aber alle Vorschläge nach einem Erhalt der Firma brüsk zurückweist, eskaliert die Situation.
Selbstverbrennung im Film
Es kommt zur endgültigen Spaltung der Beschäftigten und am Ende zur Selbstverbrennung des bekanntesten Gewerkschafters in der Auseinandersetzung, Laurent, gespielt von Vincent Lindon. Dieses Ende ist Fiktion, hat nichts mit der realen Entwicklung beim Streik bei Continental in Compiègne vor mehr als zehn Jahren zu tun, der den Hintergrund des Films bildet.
Das Management in Hannover war für die Schliessung verantwortlich und daher sprachen die Beschäftigten auch von «deutschem Verrat». Es wäre hier kritisch darüber zu sprechen, warum es nicht zu einer transnationalen Aktion der Beschäftigten unterschiedlicher Länder kam, und warum selbst linke Gewerkschaftsarbeit dann scheinbar zurückgeworfen ist auf ethnisierende Parolen wie «deutscher Verrat». Der Manager symbolisiert im Film die kapitalistische Rationalität, der den Beschäftigten erklärt, dass für ihn nur Rentabilität und Profit zählt. Wo aber die proletarische Vernunft sei, müsste die Frage lauten. Die wird verstellt durch den fiktiven Plot mit der Selbstverbrennung. Da wird das Agieren der Beschäftigten in die Nähe von Wahnsinn und Irrationalität gerückt, was sicher nicht im Sinne des Regisseurs war, der bereits mit sozialkritischen Filmen wie «Der Wert des Menschen» bekannt wurde.
Berufswechsel statt Selbstmord
Dabei hätte doch die Realität ein viel interessanteres Ende geboten, Xavier Mathieu, der Kopf des damaligen Arbeitskampfes bei Conti ist noch höchst lebendig, wurde später Schauspieler und nimmt bis heute teil, in den Kämpfen der Zeit. Doch bei aller Kritik bringen beide Filme die Realität des Arbeitskampfes ins Kino und sorgen vielleicht auch dafür, dass sich Menschen damit befassen, die den Streik für eine altmodische Sache und aus einem anderen Jahrhundert halten.
En guerre (Streik), Frankreich 2018,
115 Minuten, Regie: Stéphane Brizé.
Luft zum Atmen – 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum, BRD 2019, 70 min, labournet.tv, Regie: Johanna Schellhagen
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