Greta Thunberg kritisieren?

Die Initiatorin der neuen Jugendumweltbewegung wird mit Lob überschüttet, dahinter steckt auch Paternalismus. Besser wäre eine kritische Auseinandersetzung

Nun war Greta Thunberg auch in Berlin, sagte wenig und alle schienen begeistert. Fast alle …

Während sie gegen alte weiße Männer oder auch gleich die gesamte ältere Generation wettern, schwingt sich Compact wie viele andere rechte Medien zu den Verteidigern dieser alten weißen Männer auf.

Nehmt Greta Thunberg ernst

Nicht nur an diesem Punkt verdient die neue Jugendumweltbewegung eine kritische Auseinandersetzung. Das wäre auch der beste Umgang mit ihr. Denn mehr noch als rechte Häme, die zeigt, dass sie ernst genommen wird, ist das wohlmeinende Lob und die Überhäufung mit Preisen paternalistisch.

Darauf hat Bettina Gaus, eine der schlauesten Stimmen in der Taz, vor einigen Wochen in einem Kommentar hingewiesen. Dabei richtet sie völlig korrekt die Kritik auf Thunbergs Umfeld:

Der Hype um Greta Thunberg nimmt bedrohliche Züge an. Daraus ist dem jungen Mädchen kein Vorwurf zu machen. Die 16-Jährige kann nichts dafür, wenn weite Teile der Öffentlichkeit durchdrehen. Sie hat ein Anliegen, mit dem es ihr bitter ernst ist, und sie trifft den richtigen Ton, um andere zu überzeugen und mitzureißen. So weit, so eindrucksvoll. Das Problem liegt nicht bei ihr, sondern bei vielen Leuten, die auf sie reagieren.

Bettina Gaus, Taz

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2014 an die damals 17-jährige Malala Yousafzai wies die Richtung, ebenso wie die Zuerkennung dieser Ehrung an den neu gewählten US-Präsidenten Barack Obama 2009. Eine unreife Vorschusslorbeere. Die Verehrung, die Greta Thunberg entgegengebracht wird, erinnert an religiöse Erweckungserlebnisse. Vermutlich muss man dankbar sein, dass ihr – zumindest bisher – noch nicht die Jungfrau Maria erschienen ist. 

Was wabert da? Noch einmal: Der 16-Jährigen ist das alles nicht vorzuwerfen. Aber könnten ihre Fans, wenigstens vorübergehend, mal wieder den Verstand einschalten? Lichtgestalten und Seherinnen werden die Welt nicht retten. Und früher haben Linke die auch nicht gebraucht.


Bettina Gaus, Taz

Besonders die Forderung, Thunberg den Nobelpreis zu verleihen, kritisiert Gaus:

„Nicht erwachsen werden, ohne infantil zu bleiben.“ Für heutige Generationen hingegen, die jenen Kontrast zwischen infantil und erwachsen kaum mehr kennen, ist Greta, als eine Jugendliche, die aussieht wie ein Kind, aber redet wie eine Erwachsene, in der Tat das perfekte Symbol.

Paulette Gensler, Jungle World

Sie macht bei ihrer Kritik aber auch vor Thunberg, Prophetin des Verzichts, nicht halt:

Greta Thunberg und Genesis Butler sind Vertreterinnen einer Generation, die, anstatt gegen die Regeln der Erwachsenen zu verstoßen, diesen noch mehr Regeln diktiert als umgekehrt. Wenn überhaupt, wäre also ein Missbrauch durch Kinder zu kritisieren, welche antreten, die verwaltete Welt noch mehr und tiefergehend zu verwalten, oder in den leider völlig glaubwürdigen Worten Thunbergs im Interview mit dem Spiegel: „Manche Menschen behaupten, meine Eltern hätten mich gehirngewaschen. Aber es war umgekehrt: Ich habe meinen Eltern das Gehirn gewaschen. Ich habe sie überzeugt, nicht mehr zu fliegen und kein Fleisch mehr zu essen (schmunzelt).“ 

So erinnern viele der neuen politischen Jugendstars an jene Kinder linker Eltern, die im pubertären Protest ankündigen, Polizist statt Punker werden zu wollen, letztlich aber doch eine Karriere als Sozialpädagoge beginnen, worin beiden Seiten wunderbar aufgehoben sind. Diese Teenager sind kleine Erwachsene. Dies zieht sich bis in den Duktus, wenn die damals zehnjährige Genesis Butler auf die Frage, warum sie vegane Aktivistin geworden sei, mit der den Memoiren einer 80jährigen entnommen klingenden Formulierung antwortet: „I think, mostly, I just love animals so much, I’ve loved them my whole life.“ Angesichts solcher Kinder wird selbst die restlos entsexualisierte und von Verlagsseite um Unsittlichkeiten bereinigte Pippi Langstrumpf plötzlich zu einem Inbegriff widerständiger Kindheit.

Paulette Gensler, Jungle World

Die Jungle World-Kommentatorin Paulette Gensler ist ebenfalls für ihren Verstand bekannt. Auch sie fragt nach den Interessen derer, die Thunberg nun zur „heiligen Greta der Klimaretter“ hochstilisieren:

Die Konformität und Zahnlosigkeit der Jugendumweltbewegung ist in der Tat signifikant. Viele darin sind so realpolitisch, dass die Bewegung problemlos von fast allen im Bundestag vertretenen Parteien jenseits der AfD in die Arme geschlossen werden kann. Das drückt sich schon darin aus, dass sie für die Einhaltung eines Klimavertrags eintreten, den die linke Klimabewegung vor einigen Jahren noch ganz klar abgelehnt hat.

Dieser Pragmatismus zeigt sich bei den sich eher als links verstehenden Teilen der Jugendumweltbewegung. Eine kleine Gruppe hat am Samstag in Berlin bei der Abschlussrunde des Symposiums Die unvollendete Revolution 1918/19 mitdiskutiert. Es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass hier ein Brückenschlag zwischen unterschiedlichen Bewegungen entstand. Doch auffallend war auch hier ein Widerspruch.

Den jungen Umweltaktivisten ist eigentlich bewusst, dass der Kapitalismus keinen Ausweg aus dem Klimawandel liefert. Doch einer von ihnen argumentierte damit, dass keine Zeit mehr bleibt, sich Gedanken über eine andere Wirtschaftsweise zu machen und daher fordern sie Klimareformen im Kapitalismus.

Nur wie soll das möglich sein, wenn es doch der Verwertungszwang des Kapitalismus ist, der die Umwelt zerstört? Interessant ist, dass das Motiv, keine Zeit mehr zu haben, weil der Untergang nahe ist, ein zutiefst apokalyptisches Denken ist, das schon die 1980er Jahre prägte. Nur gab es damals die Angst vor der Vernichtung der Menschen durch einen Atomkrieg und durch AKW-Gau à la Tschernobyl. Jetzt sind es die angeblich objektiven Daten einer Klimaveränderung, die das apokalyptische Denken fördern.

Thunberg fordert zur Panik auf und ist damit eine jüngere Wiedergängerin von Petra Kelly. Sie war in den 1980er Jahren sehr bekannt und nervte später ihre Partei so sehr, dass sie sie nicht mehr zur Wahl aufstellen wollten. Ein ähnliches Problem könnte auch Thunberg passieren. Denn eine Apokalypse, die nicht eintritt, nutzt sich ab.

Wenigstens muss Thunberg, wenn sie gute Finanzberater hat, sich um ihr persönliches Wohlergeben dann keine Sorgen mehr machen. Nach dem Prinzip Do it Yourself probiert sie es auch gleich selbst aus. So berichtet das konservative Svenska Dagblade von den lukrativen Geschäftsbeziehungen zwischen Thunberg und dem schwedischen Geschäftsmann Ingmar Rentzhog.

Sie waren Partner bei der Vermarktung grüner Produkte und Finanzdienstleistungen. Rentzhog gründete 2017 eine Aktiengesellschaft, die die Ungeduld der Jugendumweltbewegung zur kapitalistischen Marke machte. We don’t have time wollte virale Umweltinhalte generieren, wird aber auch mit dem Handel von C02-Zertifikaten in Verbindung gebracht.

2019 beendete Thunberg die für beide Seiten erfolgreiche ökokapitalistische Kooperation. Für die Thunberg-Fans ist ihr Idol aber keine erfolgreiche Geschäftsfrau, sondern wird als Opfer dargestellt, die angeblich kommerziell ausgenutzt wurde.

Konformistische Revolte der Mittelstandsjugend

Eine solche Kooperation ist nur möglich, weil es sich bei den Trägern der Jugendumweltbewegung überwiegend um Aktivisten des Mittelstandes handelt, die eben nicht an Haupt- und Berufsschulen, sondern an Gymnasien den Unterricht boykottieren. Es wäre ja nicht die erste Bewegung, die vom akademischen Mittelstand wesentlich getragen wird. Aber da sollte man sich schon die Frage stellen, ob deren Interessen mit denen der Hauptschüler und Arbeiterjugendlichen kompatibel ist.

Diese Frage wird noch dringlicher, weil sich im Schatten der Jugendumweltbewegung eine Art Jugend-Revolte herausbildet, die sich vor allem durch zwei Dinge auszeichnet. Sie kommt aus dem bürgerlichen Mittelstand und sie sieht die Vorgängergeneration als Last, die möglichst schnell entsorgt werden muss. In einer Taz-Reportage wird beschrieben, mit welcher Symbolik da gearbeitet wird.

Die Turmuhr am Rathaus zeigt 13.35 Uhr, aus den Seitengassen fahren vier Polizeiautos auf den Platz. Doch für die wenigen Jugendlichen sind vier Autos zu viel, zwei fahren wieder ab. Für ihre Performance haben die Jugendlichen zwei Sänften mitgebracht. Stühle, die auf Latten geschraubt wurden und nun von Jugendlichen auf den Schultern durch die Stadt getragen werden. „Wir wollen zeigen, dass die Fehler der Erwachsenen auf unseren Schultern lasten“, sagt Tracy. 

In Berlin hatten sie diese Aktion schon einmal gemacht, im vergangenen September. 100 Jugendliche trugen damals Erwachsene auf diesen Sänften durch die Stadt bis zum Brandenburger Tor. „Aufstand der Jugend“ haben sie diese Kampagne genannt. Heute fehlen die Erwachsenen auf den Stühlen, Simon, Tracy und die anderen konnten keine Freiwilligen finden. Dafür kleben nun Plakate auf den Stühlen, auf dem einen steht „CO2“ auf dem anderen „Plastik“.Taz Reportage

Nun ist sicher nicht allen der Akteure bewusst, dass in archaischen Gesellschaften alte Menschen zum Sterben auf Tragen an bestimmte Orte außerhalb der Dörfer getragen wurde, wo sie dann der Tod erwartete. Man will nicht unterstellen, dass diese Jugendaktivisten den Alten den Tod wünschen, aber in einer Gesellschaft, wo sie das Sagen haben, wollte man nicht gerne alt werden.

Und dass sie schnell an die entscheidenden Stellen der Macht gelangen wollen, macht die Demokratische Jugendinitiative auf ihrer Homepage deutlich. „Wir sind die jungen Leute, die für ihre Zukunft aufstehen“, klingt durchaus als Drohung vor allem für nichtproduktive Ältere.

Die Klagen über eine Jugend, die angeblich ständig benachteiligt wird, hören sich paradox an in einer Gesellschaft, in der der Jugendwahn grassiert und viele Menschen, die noch vor der Einführung des Internets sozialisiert wurden, nicht mehr mitkommen. Tatsächlich ist diese Jugendbewegung ein Ausdruck des Konkurrenzdenkens. Nicht der Kapitalismus, sondern ältere Menschen sind der Gegner.

Auch nichtakademische Jugendliche kommen im Denken der Aktivisten nur am Rande vor. In der Taz-Reportage stellt man schon fest, dass da der Mittelstand unter sich ist. Auf die Anmaßung, für die Jugend zu sprechen, verzichten die Aktivisten aber nicht.

Die Jugendumweltbewegung ist hier der Vorreiter, der nicht etwa den Kapitalismus, sondern die ältere Generation für den Klimawandel verantwortlich macht. Der ökonomische Hintergrund dieser Jugendrevolte besteht darin, dass die heutigen technischen Errungenschaften es mit sich bringen, dass 14jährige ein größeres Wissen über die neuesten IT-Errungenschaften haben als ihre Eltern.

Die Großeltern sind hoffnungslos veraltet, weil sie noch in einer Gesellschaft vor dem Internet aufgewachsen sind und lieber haptische Zeitungen lesen als die Online-Versionen oder gar Stadtpläne aus Papier den Apps vorziehen.

Der konformistische Aufstand der Mittelstandsjugend bestätigt wieder einmal das Verdikt von Marx, dass die Ökonomie der zentrale Motor solcher Entwicklungen ist. Diejenigen, die Greta Thunberg und ihre Mitstreiter wegen ihrer Jugend als naiv angreifen, dürften es noch mal bereuen.

Es sind die Träger der aktuellen technischen Entwicklung. Eine praktische Kritik wäre eine generationenübergreifende Kooperation von Menschen, die nicht nur wegen des Klimas die Notwendigkeit sehen, aus dem Kapitalismus auszusteigen.