30 Stunden sind genug

Ein Bündnis von Wissenschaftlern, Politikern und Gewerkschaftern setzt Akzente gegen Niedriglohn, Stress und Arbeitshetze

Immer wieder wird über Arbeitshetze und vermehrten Stress geklagt. Jetzt haben 100 Gewerkschafter, Wissenschaftler und Politiker der Links- und Piratenpartei eine besondere Therapie vorgeschlagen. In einem Offenen Brief schlagen sie eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich vor. Die dahinterstehende Wirtschaftsanalyse ist linkskeynsianistisch geprägt und geht davon aus, dass durch ein höheres Einkommen die Massenkaufkraft steigt und damit die Wirtschaft angekurbelt wird:

„Seit Jahren findet eine sozial und ökonomisch kontraproduktive Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinn, Zins, Miete, Pacht) statt. Dadurch wurde die Binnennachfrage eingeschränkt und das überschüssige Kapital – weg von der produzierenden Realwirtschaft – in den Finanzsektor umgeleitet. Gewaltige Finanzspekulationen und Finanzkrisen waren die Folge. Die Krisenbewältigung darf nicht denen überlassen werden, die aus den Krisen hohe Gewinne gezogen haben und jetzt erneut versuchen, mit Scheinalternativen und einer Therapie an Symptomen ausschließlich den Besitzstand der Vermögenden auf Kosten der großen Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Fast vierzig Jahre neoliberaler Kapitalismus sind genug.“

Ziel Vollbeschäftigung?

Auffällig ist, dass die Initiatoren die Arbeitszeitverkürzung schon in der Überschrift als Allheilmittel gegen die Erwerbslosigkeit anpreisen. „Ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder Vollbeschäftigung“, heißt es dort. Im ersten Absatz wird dann dazu aufgerufen, „dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit höchste wirtschaftliche, politische, soziale und humanitäre Priorität einzuräumen“. Aus der linksgewerkschaftlichen Perspektive der Autoren ist die Massenarbeitslosigkeit ein politisch gewolltes wirtschaftsliberales Projekt, um in Deutschland einen Niedriglohnsektor durchzusetzen. „Die neoliberale Umverteilung wäre ohne die langandauernde Massenarbeitslosigkeit nicht durchzusetzen gewesen. Ein Überangebot an den Arbeitsmärkten führt zu Lohnverfall“, heißt es in dem Aufruf.

Die Konzentration auf die Durchsetzung Vollbeschäftigung ist ein Manko in dem Aufruf, weil damit die Diskussion über Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungs- und Reproduktionssektor ausgeblendet wird. Vor allem könnte diese argumentative Engführung dazu führen, dass der Aufruf in die traditionsgewerkschaftliche Ecke gesteckt wird. Das aber wäre bedauerlich. Denn das Grundanliegen des Aufrufs ist unterstützenswert. Weil durch die Entwicklung der Produktivkräfte zumindest in den hochkapitalisierten Staaten die Lohnarbeit knapp wird, sollte die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion gebracht werden.

Der Aufruf knüpft an Diskussionen in Teilen der Gewerkschaften an, in denen versucht wurde, das Thema Arbeitszeitverkürzung dort wieder zu popularisieren. Schließlich können sich noch manche an die Kampagne zur Durchsetzung der 35 Stunden Ende der 70er Jahre erinnern, die eine gesellschaftliche Debatte weit über das Gewerkschaftsmilieu hinaus auslöste. Allerdings haben sich die aktuellen Gewerkschaftsvorstände so auf Defensivkämpfe eingestellt, dass sie sich an eine solche Forderung nicht mehr heranwagen. Das zeigen auch die gewerkschaftlichen Reaktionen auf den Aufruf zur 30-Stunden-Woche. Führende verdi-Gewerkschafter erinnerten daran, dass man in den Betrieben heute eher das Problem hat, gegen Arbeitszeitverlängerungen anzukämpfen. Aber gerade dieser Befund macht noch einmal deutlich, wie notwendig eine Kampagne für eine Arbeitszeitverkürzung wäre, die mit vielen Argumentationshilfen vorbereitet werden muss, damit die Beschäftigten in der Lage sind, auch für diese Forderung zu streiken.

„Weltfremd, falsch, gefährlich“?

Dass die Auseinandersetzung nicht einfach wird und gegen einen zähen neoliberalen Konsens ankämpfen muss, zeigten die ersten Reaktionen auf den Aufruf. Das wirtschaftsliberale Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bezeichnet die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als „weltfremd“ und „von marxistischen Vorstellungen geprägt“.

Eine aktuelle Meldung auf der DIW-Homepage lautet: „Immer mehr Menschen im Rentenalter sind berufstätig.“ Das ist eine Folge des Niedriglohnsektors, der sich im Rentenalter als Altersarmut fortsetzt. Die massive Senkung der Kosten der Ware Arbeitskraft würde durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich konterkariert, daher haben wirtschaftsliberale Kriese daran kein Interesse. Auch sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie Peter Bofinger oder Heiner Flassbeck, die schon mal einen zu harten neoliberalen Kurs sanft kritisieren, haben sich schon gegen die 30-Stunden-Woche positioniert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153724
Peter Nowak


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