Kämpferisch für Bildung

Nicole Andersson ist Mitglied der französischen Gewerkschaft SUD-Éducation

nd: Im französischen Wahlkampf spielte Bildungspolitik eine große Rolle. Was hat sich nach dem Regierungswechsel verändert?
Es hat sich durch den Regierungswechsel nichts Wesentliches verändert, lediglich die prekären Beschäftigungsverhältnisse nehmen auch im Bildungsbereich zu. Die Sozialisten hatten im Wahlkampf versprochen, die 60000 unter Sarkozy gestrichenen Stellen im Bildungsbereich wieder zu besetzen. Doch es sind keine neuen Vollzeitkräfte geschaffen worden. Dafür nehmen die Zeitarbeitsverträge zu. Vor allem ältere Menschen aber auch schlecht ausgebildete junge Arbeitskräfte werden hier zu niedrigen Löhnen eingestellt. Dadurch wird der Lehrerberuf insgesamt entwertet.

2.) Gibt es Widerstand wegen der nicht eingehaltenen Wahlversprechen?

Nein, es ist zurzeit schwer Widerstand zu mobilisieren. Die meisten Menschen warten ab und wollen der Regierung Gelegenheit geben, ihre Politik umzusetzen. Es ist zudem generell schwerer, gegen die Politik der Sozialisten als der Konservativen Widerstand zu mobilisieren. Manche, die gegen die Politik von Sarkozy auf die Straße gegangen sind, argumentieren nun, dass die öffentlichen Kassen wohl wirklich leer sein müssen, wenn auch die Sozialisten diesen Diskurs ebenfalls übernehmen.

3.) Wie positionieren sich die Gewerkschaften zur neuen Regierung?

Die großen Gewerkschaften verhalten sich abwartend und mobilisieren ihre Basis nicht. Lediglich die Basisgewerkschaft SUD und die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften rufen auch gegen die Politik der neuen Regierung zum Widerstand auf. Dass die Streikbereitschaft in Frankreich in der letzten Zeit nachließ, liegt auch daran, dass die Streiktage nicht bezahlt werden und daher jeder Ausstand für die Beschäftigten mit Einkommensverlusten verbunden ist. Oft haben sie die Streiktage auf ihren Urlaub anrechnen lassen.

4.) Beschäftigt sich die SUD-Education auch mit der Frage einer emanzipativen Bildung?

Das ist ein wichtiges Thema. Uns geht es auch darum, die soziale Spaltung im französischen Schulsystem zu bekämpfen. Während die Privatschulen boomen, fehlt für die Ausstattung der Schulen in Stadtteilen mit der einkommensschwachen Bevölkerung oft das Geld.

5.) Welche Widerstandsmöglichkeiten haben sie?

N.C.: Die SUD-Education hat zur Verweigerung der Dossiers aufgerufen, mit denen Schülern schon von der Grundschule an bewertet werden soll. Dort sollen auch Angaben über das Elternhaus der Schüler einfließen. Lehrer, die sich dieser Datensammlung verweigert haben, wurde der Lohn gekürzt. Die neue Regierung lehnt die Rückzahlung des einbehaltenen Betrags mit der Begründung ab, dass damit die Lehrer belohnt würden, die gegen ein Gesetz verstoßen haben. Dabei wurde es mittlerweile von der Regierung zurückgenommen.

6.) Die SUD hat auch in Deutschland viel Beachtung gefunden. Wie ist ihr aktuelle Entwicklung?

N.C.: Gegründet wurde die SUD nach den großen Streik von 1995 von Basisgewerkschaftern, die mit den großen Gewerkschaften unzufrieden waren. Lange galt sie als ultralinks. Der heutige Präsident Hollande beschimpfte die SUD noch beim großen Streik 2009 als unverantwortliche Gewerkschaft, die bekämpft werden muss. Doch heute ist der Reiz des Neuen vorbei und die SUD hat sich als kämpferische Basisgewerkschaft stabilisiert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/803634.kaempferisch-fuer-bildung.html
Interview. Peter Nowak


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