Wettbewerbung der Bewegungsversteher

In den Medien sind die neuen Krisenproteste vorerst wieder in den Hintergrund gerückt. Doch für einen harten Kern von Aktivisten gehen die Proteste weiter – und alle haben sie irgendwie lieb

Auf einer der neuen Protestwebseiten heißt es: „Jeden Tag 15 Uhr, Assamblea am Bundestag, ab 20 Uhr Assamblea im IRC-Chat.“ Auch im Protestcamp vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main ist der Aktivismus noch ungebrochen. Dort wird für den kommenden Samstag eine große Party in der Frankfurter Innenstadt vorbereitet.

Auch in anderen Städten wie Berlin, Kiel und Düsseldorf sind für kommendes Wochenende weitere Krisenproteste geplant. Ob das Ziel, die Teilnehmerzahl vom 15.Oktober zu übertreffen, erreicht wird, bleibt offen. Zumal es in der Eile des Aktionismus oft noch Koordinierungsprobleme gibt. So war es noch vor einigen Tagen unklar, ob die Demo in Berlin am Roten Rathaus oder am Bundestag startet. Mittlerweile hat sich der letzte Ort durchgesetzt.

Doch die Protestbewegung denkt schon über das nächste Wochenende hinaus. Für den 29.Oktober ist ein neuer globaler Aktionstag geplant. Dafür wird auf der Website von Adbusters geworben, denen schon für die weltweite Koordination der Proteste der letzten Wochen eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Die Initiatoren sind in den vergangenen Jahren vor allem als Werbe- und Konsumkritiker bekannt geworden. Die Probleme von Menschen mit geringen Einkommen waren also bisher nicht ihr zentrales Thema.

Neue Montagsdemonstrationen?

Vor allem in Ostdeutschland wird bereits wieder über die Reanimation der Montagsdemonstrationen nachgedacht.  Auf der zentralen Leipziger Kampagnenseite distanziert man sich von Drittbrettfahren aus der rechten Szene, die auf „Weltnetzseiten“ wie Volksbetrug und Volkswille ebenfalls von den Protesten zu profitieren hoffen. Derweil gibt es auch in der linken Bewegung Diskussionen über den Umgang mit der neuen Bewegung. Einerseits blicken viele Linke mit leuchtenden Augen auf eine Bewegung, die am letzten Samstag in Deutschland mehr Menschen auf die Straßen brachte, als die Anti-Krisenbündnisse. Sie erinnern sich daran, dass im Oktober 2010 eine Blockade des Frankfurter Bankenviertels mangels Masse abgesagt werden musste, während zurzeit tagelang Menschen vor den Bankzentralen campieren.

Andererseits wird auch die Orientierung großer Teile der Bewegung auf eine Bankenkritik äußerst kritisch gesehen. Teile des außerparlamentarischen Bündnisses Interventionstische Linke warnt die linke Bewegung davor, ihre Themen der neuen Bewegung aufzudrängen, und rät ihr, der Masse zuzuhören. Dem entgegnen andere, es wäre niemand damit gedient, wenn die linke Bewegung diskutierte Thesen zurücknähme. Schließlich fehle es der neuen Bewegung nicht an Fans, aber an Inhalten.

„Lasst Euch vereinnahmen“

Mittlerweile haben fast alle Bundestagsparteien, einschließlich der Union, ihr Verständnis für die Protestanliegen geäußert. Wenn sich auch die Aktivisten selber gegen alle Vereinnahmungsversuche wehren, so hat der Wettbewerb um die besten Protesteversteher schon begonnen.

Mittlerweile hat der der Attac nahestehende Publizist Mathias Greffrath der Bewegung auch schon geraten, keine Angst vor solchen Vereinnahmungen durch die Parteien zu haben. Der emeritierte Politologe Peter Grottian hat mit weiteren als Aktivisten bekannten Wissenschaftlern und Publizisten einen offenen Brief an Attac unterschrieben, in dem die weitgehende Inaktivität der Organisation bei den neuen Protesten kritisiert wird. Überhaupt nicht in Aktion treten die Sozialforen, die ein Jahrzehnt lang unterschiedliche Proteste zu koordinieren versuchten. Sie haben sich wohl als Aktionsform überlebt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150670

Peter Nowak


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