Auf der Suche nach dem „heißen Herbst“

Während der Castorwiderstand die Medien beherrschte, haben es soziale Proteste in Deutschland schwerer

Alle Welt blickte in den letzten Tagen nach Gorleben und verfolgte den Kampf „Castortransport versus AKW-Gegner“. Alle Welt? Nein. Es gab auch andere soziale Ereignisse. So wurde medial kaum registriert, dass am vergangenen Samstag parallel zum Landesparteitag der CDU-NRW in Bonn Erwerbslose unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ demonstrierten. Für eine Erhöhung der Einkünfte für Erwerbslose von mindestens 80 Euro, um eine gesunde Ernährung zu gewährleisten.
   

Die Initiative vom Samstag soll der Auftakt für ähnliche Aktionen in den nächsten Monaten sein. „Die Bundestagsabgeordneten von Schwarz-Gelb sollen sich darauf einstellen, dass wir sie nicht mehr Ruhe lassen und sie permanent damit konfrontieren, dass allein für eine ausgewogene und gesunde Ernährung mindestens 80 Euro im Monat fehlen; abgesehen von den anderen Beträgen zur Teilhabe“, heißt es auf der Homepage der Oldenburger, die den neuen „Erwerbslosenaktivismus“ wesentlich mit angeschoben haben.

Am vergangenen Samstag haben in Hannover knapp 15.000 Menschen an einer vom DGB-Niedersachsen organisierten Demonstration gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Ein Redner der Bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg stellte in Hannover den Brückenschlag zum Anti-AKW–Protest her. Obwohl sich die Demonstration von der Teilnehmerzahl her durchaus nicht vor den Castorprotesten verstecken muss, ist die mediale Reaktion nicht vergleichbar. Während der Castor-Transport, als er die französische-deutsche Grenze passiert hatte, zum großen Medienereignis wurde und Zeitungen sogar Sonderseiten dazu produzierten, wurde über die sozialen Proteste in den letzten Tagen, wenn überhaupt nur, dann auf den hinteren Seiten kurz berichtet.

Heißer Herbst geht anders

Die Gründe für die geringe Aufmerksamkeit auf die sozialen Proteste sehen Beobachter allerdings auch bei den Organisatoren. Vor allem dem DGB wird vorgeworfen, den von ihm organisierten und propagierten „heißen Herbst“ wieder einmal zum lauen Lüftchen zu machen. Nun kann man auch der Kritik vorwerfen, dass sie alljährlich wiederkehrt und dabei ebenso zum Ritual wird wie die Gewerkschaftsaktionen.

In diesem Jahr gibt es allerdings mehrere Punkte, die dieser Kritik mehr Gewicht verleihen. So setzte der DGB auf betriebliche Protestaktionen, deren Öffentlichkeitswirkung stark begrenzt ist. Auf dem Höhepunkt der französischen Proteste hatte sich die innergewerkschaftliche Kritik an dieser Strategie des DGB noch einmal verschärft. Führende Gewerkschafter verteidigen ihren Kurs der Zurückhaltung jedoch als erfolgversprechend. „Insgesamt haben die Gewerkschaften der Regierung doch keinen so heißen Herbst bereitet, wie teilweise befürchtet worden war“, zeigte sich die unternehmerfreundliche FAZ ganz zufrieden.

Die Kritiker verweisen darauf, dass es gerade in diesem Herbst Alternativen zu der weitgehend auf die Betriebe beschränkten Fokussierung des DGB gegeben hätte, weil das Sparpaket der Bundesregierung auch über Gewerkschaftskreise hinaus für Unmut sorgt. Schon seit 2009 organisieren Antikrisenbündnisse Proteste gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Bevölkerungsmehrheit – auch mit gewerkschaftlicher Unterstützung. Im Zusammenhang mit den Sparpaketen sei auch deutlich geworden, dass die Banken mit hohen Beiträgen gerettet wurden, wohingegen Menschen mit ohnehin geringen Einkommen Geld gestrichen werde, argumentieren die Aktivisten sozialer Initiativen. Deshalb drängen sie seit dem Spätsommer auf öffentlichkeitswirksame Proteste.

Bankenproteste abgesagt

Dabei hatten sich die Aktivisten allerdings auch manche Ernüchterung einzugestehen. So wurde eine für den 18. Oktober geplante Bankenblockade in der City von Frankfurt/Main wenige Wochen vor dem geplanten Termin abgesagt. Mit der Begründung, in den letzten Wochen habe sich die Wahrnehmung der Krise verändert:
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 Der Stimmungswandel vor den Sommerferien („Wir zahlen nicht für Eure Krise“) in die Zeit danach („Die Krise ist vorbei“), den auch wir zu spüren bekamen, fällt derzeit vielen AkteurInnen, die gegen das Verarmungsprogramm mobilisieren, in den Rücken – auch wenn die Fakten genau das Gegenteil belegen. Doch die Zeit, diese Verunsicherung auszuräumen, dieses Zögern zu überwinden, lief uns davon.

Zur Absage dürfte auch die linksinterne Kritik beigetragen haben. Moniert wurde, dass in dem Aufruf die Rolle der Banken und des Finanzsektors als Verursacher der Krise derart geschildert wurde, dass damit einer falschen Kapitalismuskritik Vorschub geleistet werden kann.

Bundestagsbelagerung bestätigt

Diese nicht untypische linke Binnenkontroverse bleibt der Initiative „Sparpakete stoppen“ erspart. Sie ruft für den 26. November, dem Tag der dritten Lesung des Sparpaketes, zur Belagerung des Bundestages auf.

Allerdings steht auch sie vor mehreren Problemen. Auch sie muss gegen die verbreitete Stimmung ankämpfen, wonach die Krise vorbei ist. Zudem fällt der Blockadetag nicht auf ein Wochenende. Dadurch wird eine große Mobilisierung schwieriger, zumal von den großen Gewerkschaften nur verdi-Berlin zu den Unterstützern der Bundestagsblockade gehört – wie man übrigens nur auf der Seite der Initiative, nicht aber auf der Gewerkschaftshomepage erfährt. Unterstützung für die Bundestagsblockade kommt von aktiven Schülern, die an diesen Tagen einen Schulstreik planen.

Im Schatten der Castorproteste

Dass die Mobilisierung zur Bundestagsblockade bisher noch schleppend verlief, lag auch an den Castorprotesten. Denn auch an deren Vorbereitung war ein Großteil jener beteiligt, die auch in sozialen Initiativen engagiert sind. Da blieb wenig Kapazität für andere Aktivitäten. Dass aber umgekehrt die sozialen Proteste durch den Widerstand im Wendland profitieren, ist eher nicht zu erwarten. Wer sich im Wendland auf die Schienen setzt, muss noch lange nicht gegen Sparpakete auf die Straße gehen.

Die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung war vielmehr schon in den Anfangsjahren verbunden mit einer Abwendung führender Protagonisten von sozialen Themen. Der Bremer Autor Axel Brüggemann bringt dieses Phänomen in einem Beitrag für den Freitag so auf den (farbigen) Punkt:

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 Statt auf das Arbeiter-Rot zu setzen, wählte man unbesetzte Farben: grün und gelb. (…) Es ging nicht mehr um links oder rechts, sondern um Atomkraft ja oder nein.

In Deutschland, wo es im europäischen Vergleich eine besonders starke Anti-AKW-Bewegung gibt, kommt daher der Blockade des Castortransports eine ähnliche Rolle zu, wie sie in Frankreich die soziale Mobilisierung innehat. Im Nachbarland konnte man in jüngster Zeit wieder beobachten, dass bei sozialen Protesten Menschen aller Altersgruppen vertreten sind und dass es eigene Protestsymbole und auch eine Protestkultur gibt. In Deutschland trifft das bisher eher auf die Castorproteste als auf „sozialen Widerstand“ zu. Ob sich das mit dem Kochtopfschlagen auf Erwerbslosenprotesten ändert?

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33635/1.html

Peter Nowak


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