Im Gespräch mit Claude Lanzmann – eine Hamburger Begegnung

Schon um 18 Uhr hatte sich am 18. Januar vor einem alten Hamburger Bunker eine lange Schlange gebildet. Die Menschen wollten allerdings nicht eine angesagte Band, sondern eine Filmvorführung mit einem anschließenden Gespräch besuchen. Viele mussten wegen Überfüllung den Rückzug antreten. Im Popclub „Übel und gefährlich“ war jeder Platz besetzt und auch um die Theken drängten sich die Menschen. Auf vier Leinwänden war der Film „Warum Israel“ zu sehen. Seit im Oktober in einem Hamburger Kino sich als propalästinensisch verstehende Linke die Aufführung dieses Films verhinderten, wurde der Film mehrere Male in Hamburg und auch in anderen deutschen Städten gezeigt. In dem 1973 entstandenen Film lässt der französische Filmemacher Claude Lanzmann unterschiedliche Bewohner Israels zu Wort kommen, die über die Probleme des Staates, aber auch den Überlebenswillen der Bevölkerung in einer weitgehend feindlichen Umgebung sprechen. Wer den Film gesehen hat, wird noch weniger verstehen können, warum ausgerechnet Linke in Deutschland die Aufführung dieses Films verhindern wollten.

Beim anschließenden Gespräch bot der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit eine Erklärung. Für ihn sei das ein Beispiel für rechtes Gedankengut unter linken Vorzeichen. Der Publizist und Herausgeber der Monatszeitung KONKRET, Hermann L. Gremliza, wollte mit seiner Teilnahme an dem Gespräch vor allem ein Zeichen gegen jene setzen, die den Film verhindern wollten. Für ihn sind das Problem dabei nicht kleine, sich als links verstehende Gruppen sondern ein Großteil der Bevölkerung. Die habe allerdings mittlerweile gelernt, bestimmte Begrifflichkeiten zu vermeiden, um Ärger aus dem Weg zu geben, so Gremliza, der in der Konkret jeden Monat Beispiele für getarnten Antisemitismus aufspürt und sprachlich seziert. Gremliza hatte einen Einwand zu dem Film. Die Palästinenser fehlen weitgehend, sowohl als Bewohner als auch die Israel bedrohenden Organisationen.

Doch der Regisseur Claude Lanzmann, der für den Publikumsandrang gesorgt hatte, betonte, dass er zu Israel keinen ausgewogenen, beiden Seiten gerecht werdenden Film machen könne. Ein entsprechendes Angebot des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Rabin musste er daher ablehnen. Zur Erläuterung berichtete Lanzmann aus seiner Biographie.

Als Schüler war er Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und organisierte in seiner Heimatstadt den Widerstand gegen die Nazis und die französischen Unterstützer. Die Gründung Israels habe bei ihm noch kein besonderes Interesse erzeugt. Damals habe er an der Freien Universität Berlin gelehrt. Noch Anfang der 50er Jahre habe er sich mehrere Wochen in der jungen DDR ohne Papiere aufgehalten und Berichte für große französische Zeitungen geliefert. Als er einige Jahre später erstmals Israel besuchte, war es ihm aus persönlichen Gründen nicht möglich, Zeitungsartikel darüber zu schreiben. Auch eine geplante Buchveröffentlichung kam nicht zum Abschluss. Mit dem Film „Warum Israel“ lieferte er schließlich 1973 sein ganz persönliches Statement zu diesem Land und seinen Widersprüchen. Es war auch das Statement eines ehemals aktiven Kommunisten, der wegen der nominalsozialistischen Praxis von seinen politischen Überzeugungen abgerückt war und durch den Besuch in Israel den Zionismus entdeckte.

Rufmord an Lanzmann

Der Applaus des Publikums weit nach Mitternacht galt dem Film und dem Lebensweg dieses Mannes. Diese Anerkennung wird ihm in großen Teilen der Öffentlichkeit verweigert. Das zeigt sich an einer unerfreulichen Debatte über eine im Herbst im Rowohlt-Verlag erscheinende Biographie „Der patagonische Hase“. Ein Autor der ZEIT unterstellte Lanzmann indirekt, die Geschichte zu fälschen. Die FAZ hingegen sprach von einem Rufmord an Lanzmann. Die Tatsache, dass Teile des deutschen Feuilletons ausgerechnet den Regisseur des Filmes Shoah in die Nähe der Geschichtsfälschung bringen, zeigte die Notwendigkeit dieser Veranstaltung und gibt auch Gremliza recht, der das Problem in der deutschen Gesellschaft und nicht in erster Linie bei kleinen linken Gruppen sieht .

Die Reaktionen auf die Filmvorführung und die Debatte waren denkbar unterschiedlich. Im Hamburger Abendblatt wurde unter der Überschrift „Zu viel Ehrfurcht vor dem Stargast“  der Angriff gegen Lanzmann fortgesetzt: „Zwei Fragen nach der Aktualität des Films und seiner künstlerischen Handschrift nutzte der aus Paris eingeflogene Regisseur zu einem 45 Minuten langen Monolog, in dem er viel aus seinem Leben erzählte und nebenbei Werbung für seine im Herbst erscheinende Autobiografie machte.“

Diese Ausführungen, aus denen die Aversion gegen Lanzmann herauszulesen ist,  sind tatsächlich eine Unverschämtheit.

Diesen Vorwurf macht der Hamburger Publizist Günther Jakob in seinen „spontanen Notizen“ aber auch den Organisatoren der Veranstaltung. Er bezeichnete sie als „ein politisches Desaster“, und eine „unverschämte Zumutung“ für Lanzmann. Dieser schlug dann auch nach einer Stunde vor, den Abend abzubrechen.  Nun könnte dieser Wunsch auch der fortgeschrittenen Zeit geschuldet sein. Es war schon nach Mitternacht und der Saal begann sich zu leeren. Außerdem hat Lanzmann deutlich gemacht, dass er keine Lust hat, über den Gaza-Streifen und die Palästinenser zu diskutieren. Das hatte aber auch Hermann L. Gremliza nicht im Sinn, als er seine Frage stellte. Er betonte ausdrücklich, dass er auch die palästinensischen Organisationen, die Israel bedrohen, in dem Film vermisst.

Peter Nowak

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