Klimaaktivisten kündigen neue Kampagne an. Sie wollen keine Angst machen, verirren sich aber in irrationalen Gedankengängen. Eine ideologische Kritik.

Neue Taktik der Letzten Generation: Schöne Reden statt Systemkritik

Noch irrationaler ist eine Initiative von Klimaaktivisten, die seit mehreren Tagen unter dem Motto "Wir hungern, bis ihr ehrlich seid" die Nahrungsaufnahme verweigern. Hier zeigt sich ein völliges Fehlen jeglicher gesellschaftspolitischer Orientierung, wenn Menschen zu dem äußersten Druckmittel greifen, nur damit sie von ihren Herrschenden gesagt bekommen, was sie längst wissen. Dagegen haben Linke einst ein sinnvolleres Ziel für ihre Aktionen benannt: "Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie dazu bringen, immer unverschämter zu lügen".

Eigentlich hätten am Montagvormittag in Berlin bei sämtlichen Sicherheitsdiensten die Alarmglocken läuten müssen. Direkt vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten, dem Schloss Bellevue, hat sich die Klimagruppe „Letzte Generation“ versammelt. Diese Gruppe wurde mitunter schließlich als …

… „Klima-RAF“ bezeichnet, und die Justiz ermittelt wegen des Anfangsverdachts einer terroristischen Vereinigung.

Doch die staatlichen Beobachter konnten sich entspannt zurücklehnen.

Letzte Generation fordert nun Ehrlichkeit

Auf einem Tisch mit einem weißen Tuch vor dem Schloss stand „Demokratie braucht Ehrlichkeit“ geschrieben, daneben ein schwarzes Herz in einem roten Kreis. Kurz nach zehn Uhr am Vormittag nahmen dort fünf Menschen Platz. Es war die Pressekonferenz der „Letzten Generation“, die ihre neue Strategie vorstellte.

„Der Kleber bleibt zu Hause“, betonte Carola Hinrichs von der Letzten Generation und kündigte einen neuen „Widerstandsfrühling“ an.

Vielleicht erinnern sich ältere Leser noch an den antiimperialistischen Widerstand in Westdeutschland der 1980er-Jahre. Doch davon wollten die braven Klimaaktivisten der letzten Generation nichts wissen, wie sie auf der Pressekonferenz am Montag bewiesen. Die Erklärung von Carola Hinrichs war recht phrasenhaft. Am Ende wollte sie sogar den „Elefanten im Raum vor die Kamera zerren“.

Kapitalismuskritik war gestern

Die Pressekonferenz fand jedoch auf der Straße statt, und bis zum Schluss blieb offen, wer dieser Elefant eigentlich war, der vor die Kamera gezerrt werden sollte. „Vielleicht der Kapitalismus?“, fragte ein Journalist. Doch diese Frage blieb zunächst unbeantwortet.

Der Diplom-Physiker Rolf Meyer, ebenfalls Sprecher der Letzten Generation, verneinte sie dann indirekt, indem er auf Unternehmen hinwies, die gerne klimafreundlich produzieren wollten. Von systemischen Zwängen, die einen grünen Kapitalismus ausschließen, wollte dort niemand etwas wissen.

Dabei wurde doch erst vor einigen Monaten ein Buch mit dem Titel Systemsturz des japanischen Marxisten Kohei Saito zum Bestseller, weil es nachwies, dass Ökologie und kapitalistische Wirtschaftsweise nicht zusammenpassen.

Letzte Generation nun Ghostwriter für Steinmeier?

Doch mit solchen Debatten wollte man sich bei der Letzten Generation nicht belasten. Stattdessen forderte man mehr Ehrlichkeit in der Politik und hatte dafür nicht zufällig den Sitz des Bundespräsidenten auserkoren.

Dieser ist schließlich dafür zuständig, schlechte Politik mit Phrasen schönzureden. Deswegen wurde er von der Letzten Generation auch aufgefordert, eine Rede unter dem Motto „Hand aufs Herz – Demokratie braucht Ehrlichkeit“ zu halten.

Etwas konkreter wurden dann Carola Hinrichs, als sie über die Kriminalisierung berichtete, die sie wie andere Klimaaktivisten auch selbst erleben musste. Hinrichs: „Ich bin Juristin und habe eine Bewährungsstrafe für meine Aktivitäten erhalten.“ Zudem soll die Organisation als potenziell kriminelle Vereinigung weiterhin verfolgt werden.

Letzte Generation: Ungehorsame Versammlungen

„Das macht etwas mit uns“, beschreibt Hinrichs die Stimmung der Aktivisten zwischen Frustration und neuem Aktivismus. Dazu gehören die ungehorsamen Versammlungen, die am 16. März in der ganzen Republik auf der Straße stattfinden sollen, unter anderem in Berlin, Leipzig, Regensburg und Karlsruhe.

Eine solche Zusammenkunft gab es bereits am 2. März auf der Elsenbrücke in Berlin-Treptow. Dort beteiligten sich auch viele Anwohner, die sich gegen den von Bundesregierung und Senat vorangetriebenen Weiterbau der A100 wehren.

Der Bonner Geowissenschaftler Nikolaus Froizheim hat daran teilgenommen und berichtete über die Aufbruchsstimmung bei der Blockade der Elsenbrücke.

Zumindest der alarmistische Ton bleibt

Froizheim hat eine Karte mitgebracht, in der aufgezeichnet ist, in welchen Ländern die letzten Monate zu warm waren. Dabei bezog er sich auf eine neue Studie, die er mit alarmistischem Ton vortrug, für den die Letzte Generation bekannt ist.

Dabei geht unter, dass die paradoxe Folge der globalen Klimaerwärmung sogar eine Abkühlung in Europa bedeuten könnte, falls der Golfstrom tangiert ist.

Für solche Feinheiten bleibt kein Platz, wenn man Katastrophenrhetorik Politik macht und dabei bloß niemandem wehtun will. Das wird in der Erklärung deutlich, die Froizheim direkt an den Bundespräsidenten richtete:

Sie sind nun gefordert, Ehrlichkeit in die politische Debatte zu bringen! Auszusprechen, dass alles auf dem Spiel steht, was uns lieb ist! Auszusprechen, dass ein grundlegendes politisches Umsteuern notwendig ist! Stellen Sie sich hinter die Inhalte unserer Erklärung!

Da kann man sich wirklich fragen, warum man so viel Aufwand treibt, wenn man bloß eine weitere Rede des Bundespräsidenten einfordert.

Landwirtschaft und Klimaaktivisten gemeinsam

Konkreter war der Beitrag des Landwirts Eberhard Räder. Ihn betrübe es, sagte er, dass er in einigen Jahren mit seinem Hof auch die Klimaprobleme an seinen Sohn übertragen werde.

Es reicht nicht, wie uns viele Politiker und die Agrarindustrie glauben machen wollen: ‚Das System an sich wäre okay, man muss nur immer wieder mal Anpassungen machen und dann läuft das schon.‘ Wir sind auf dem Holzweg. Die Politik muss das Agrarsystem revolutionieren.

So übte Räder nicht nur Kritik an der Politik, sondern auch an den Landwirten, die sich gegen ökologische Maßnahmen wenden und teilweise von rechten Gruppen vereinnahmen lassen.

Mit Räder ist der Letzten Generation die Verbindung zu den ökologisch orientierten Landwirten gelungen. Aber auch bei ihm ist aufgefallen, dass er keinen Bezug zu älteren Initiativen wie „Wir haben es satt“ hatte, in denen Landwirte und Erwerbslose gemeinsam für höhere Bezüge auch für einkommensarme Menschen eintreten, damit auch sie gesunde Produkte aus der Landwirtschaft kaufen können.

Von den Gewerkschaften war jedoch niemand auf dem Podium. Clara Hinrichs betonte allerdings, dass sie das Bündnis „Wir fahren zusammen“ als großen Erfolg ansieht, in dem sich Klimaaktivisten und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gemeinsam für eine Verkehrswende einsetzen.

Klimaaktivisten: Hungern, bis ihr ehrlich seid

Noch irrationaler ist eine Initiative von Klimaaktivisten, die seit mehreren Tagen unter dem Motto „Wir hungern, bis ihr ehrlich seid“ die Nahrungsaufnahme verweigern.

Hier zeigt sich ein völliges Fehlen jeglicher gesellschaftspolitischer Orientierung, wenn Menschen zu dem äußersten Druckmittel greifen, nur damit sie von ihren Herrschenden gesagt bekommen, was sie längst wissen.

Dagegen haben Linke einst ein sinnvolleres Ziel für ihre Aktionen benannt: „Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie dazu bringen, immer unverschämter zu lügen“.

Dazu muss man jedoch die Vorstellung einer anderen Welt haben, die sich nicht darauf beschränkt, ehrliche Politiker zu fordern, die nicht mehr lügen. Peter Nowak