Großmacht-Träume unter dem Label Ukraine-Solidarität: Die deutsche Sehnsucht nach dem Ende der Nachkriegsordnung von Jalta. Ein Kommentar.

Scholz auf Ukraine-Mission in den USA: Deutschland war nie nur Getriebener

Doch welche Konsequenzen zieht die Antikriegsbewegung daraus? Sie müsste sich mit dem deutschen Imperialismus beschäftigten, der ganz klar auf Konfrontationskurs geht. Von der deutschen Kriegstüchtigkeit ist allenthalben die Rede. Da gibt es allerdings kein linksliberales Institut, das hier ein neues Unwort des Jahres kreiert. Denn ein Großteil des linksliberalen Milieus ist eingebettet in diesen neuen deutschen Imperialismus, der vom deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus und seinen antisemitischen Flügel nicht reden will.

„Diesmal fliegt Olaf Scholz nicht als Zauderer in die USA, sondern als Antreiber: Die Amerikaner sollen endlich wieder der Ukraine helfen“, so beschreibt die taz die angeblich vertauschten Rollen, die Kanzler Scholz (SPD) und seine Gastgeber bei seinem jüngsten US-Besuch einnahm. Dabei hat dieser Besuch nur deutlich gemacht, …

… was auch Teile der deutschen Friedensbewegung bis heute nicht wahrhaben wollen.

Deutschland zwischen Führungsanspruch und US-Abhängigkeit

Da wurde allzu oft ein Bild gezeichnet, das schon seit den 1980er-Jahren fragwürdig ist, aber heute ganz sicher nicht mehr stimmt: Demnach sind die USA der weltpolitische Akteur, der weltweit Konflikte vorantreibt – und Deutschland wird dann dafür kritisiert, dass es sich von den USA antreiben lässt. Dann wird als Lösung eine Emanzipation Deutschlands von den USA gefordert.

Da muss man sich nicht wundern, wenn sich plötzlich Bündnispartner von Rechts aufdrängen, die auch schon lange mehr „deutsche Souveränität“ fordern. Dabei wird ein solches Bild der Rolle Deutschlands spätestens seit 1989 längst nicht mehr gerecht. Anfang der 1990er-Jahre war es das gerade wiedervereinigte Deutschland, das bei der Zerschlagung des multiethnischen Jugoslawien die Führung übernommen hatte, in dem es Slowenien und Kroatien anerkannte.

Wie deutscher Nationalismus in der Jugoslawien-Krise erstarkte

Den wieder erstarkten deutschen Eliten war Jugoslawien schon deshalb verhasst, weil dort eine Partisanenbewegung die Wehrmacht aus dem Land vertrieben hatte. Ähnlich wie im Fall der Sowjetunion als Vorgängerin der russischen Föderation, der viele Deutsche die Niederlage von Stalingrad nicht verziehen haben.

Daher waren schon seit den 1970er-Jahren in einem sehr breiten Spektrum von rechts bis linksalternativ Strategien im Gespräch, wie man die verhasste Nachkriegsordnung von Jalta, die von der Anti-Hitler-Koalition ohne Deutschland beschlossen worden war, doch noch zum Einsturz bringen könnte.

Es wurde auch ein Mitteleuropa-Konzept ins Spiel gebracht, dass bestimmte mittel- und osteuropäische Staaten aus dem Einflussbereich der Sowjetunion herauslösen sollte. In all diesen Ländern gab es Dissidentengruppen, die gern diese Aufgabe übernehmen wollten. Und dann es die besonders radikale Vorstellung, die Sowjetunion zu „dekolonisieren“ und in viele kleine Staaten aufzuteilen.

Deutschland und Ukraine: Alte Verbündete, neue Nationalismen

In diesem Kontext kamen die alten Verbindungen zwischen deutschen und osteuropäischen Nationalisten wieder zum Tragen. Oft handelte es sich dabei auch um zeitweilige Nazi-Verbündete, wie in der Ukraine.

Das Verhältnis zwischen ukrainischem und deutschem Nationalismus war immer widersprüchlich: Auch in der NS-Zeit waren zeitweise einige der ukrainischen Ultranationalisten inhaftiert, doch als die Rote Armee näherrückte, verbündete man sich wieder. Denn es gab genügend Gemeinsamkeiten: den Kampf gegen die Rote Armee und die Russen sowie den Antisemitismus.

Das führte auch dazu, dass in einer Zeit, als die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager von den Alliierten befreit wurden, ukrainische Nationalisten nach Nazi-Deutschland flohen. Nach der endgültigen Niederlage des deutschen Faschismus profitieren sie vom beginnenden Kalten Krieg auf Seiten des globalen Westens. Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Vertrages war ihre Stunde gekommen.

In vielen osteuropäischen Ländern versuchte ein deutschfreundlicher Nationalismus Einfluss zu nehmen. In der Ukraine waren diese Kräfte maßgeblich am Maidan-Umsturz von 2014 beteiligt. Es war kein Zufall, dass deutscher Politiker fast aller Parteien damals auf dem Maidan diese Bewegung unterstützten.

Kaum Kritik an modernen deutschen Großmacht-Strategien

Die offen rechten Strömungen, die sich damals offen zeigten, wurden hierzulande gern ignoriert oder gleich ganz geleugnet. Hier wurde vor zehn Jahren ein Kapitel deutsch-ukrainischer Kooperation aufgeschlagen, das historische Vorläufer hatte.

Dafür gab es seit 1989 in verschiedenen anderen Ländern Vorbilder. Man denke nur an das Verhältnis zu Kroatien. Auch dort gab es Verbündete aus der NS-Zeit, die nun wieder legal agieren konnten und ihre Affinität zum deutschen Faschismus auch gar nicht groß kaschierten. Dennoch bekamen sie Unterstützung von der damals noch von Bonn aus agierenden deutschen Politik.

Damals gab es eine kleine, aber nicht überhörbare Linke, die den wiedererstarkten deutschen Nationalismus anprangerte und die deutsche Rolle in Kroatien immer wieder kritisch aufgriff. Als sich diese Politik in der Ukraine mehr als 20 Jahre später wiederholte, hatten aber manche ehemaligen Kritiker Deutschlands ihren Frieden mit den neuen deutschen Zuständen gemacht.

Sie redeten sich ein, dass Deutschland sich ja liberalisiert habe, dass es ein Weltmeister in Geschichtsaufarbeitung geworden sei. Deshalb gab es nach 2014 in Deutschland kaum noch kritische Stimmen, die die Rolle Deutschlands in dem Konflikt in den Mittelpunkt stellten und die sich dagegen wandten, Deutschland als Getriebenen und als willenloses Anhängsel der USA zu betrachten.

Die deutsche Kriegstüchtigkeit und ihre Folgen

Vor diesem Hintergrund hat der Scholz-Auftritt in den USA, wo er weitere Mittel für die Aufrüstung der Ukraine einforderte, die Rolle Deutschlands noch mal besonders kenntlich gemacht. Nicht Scholz hat die Rollen getauscht, vielmehr haben manche Kritiker plötzlich festgestellt, dass ihre Erzählung von der von den USA in die Kriege getriebenen Nation nicht der Realität entspricht.

Doch welche Konsequenzen zieht die Antikriegsbewegung daraus? Sie müsste sich mit dem deutschen Imperialismus beschäftigten, der ganz klar auf Konfrontationskurs geht. Von der deutschen Kriegstüchtigkeit ist allenthalben die Rede. Da gibt es allerdings kein linksliberales Institut, das hier ein neues Unwort des Jahres kreiert. Denn ein Großteil des linksliberalen Milieus ist eingebettet in diesen neuen deutschen Imperialismus, der vom deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus und seinen antisemitischen Flügel nicht reden will.

Gegen Rechts heißt nicht mehr gegen Krieg

Auch auf den Massendemonstrationen gegen Rechts, die in den letzten Wochen überall in Deutschland stattfanden, ist nicht bekannt geworden, dass da jemand auf diese Traditionslinie hingewiesen und gegen den Aufrüstungskurs unter dem Label Ukraine-Solidarität protestiert hätte. Das wäre wohl auch bei einem Großteil der Demonstranten und den meisten der beteiligten Organisationen nicht gut angekommen.

Da ist es auch nur konsequent, wenn in München der alljährlich parallel zur sogenannten Sicherheitskonferenz stattfindenden Friedenskonferenz in diesem Jahr die Gelder gestrichen werden sollen. Beantragt wurde das auch von SPD, Grünen und Volt im Münchner Stadtrat.

Keinen Cent für Friedensarbeit?

Dabei geht es auf der Konferenz nicht um die Verbreitung „prorussischer“ Positionen: Eine der Referentinnen ist die belarussische Journalistin, Friedens-und Menschenrechtsaktivistin Olga Karach, die sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt, davor warnt, dass ihr Land auf russischer Seite in den Krieg eintritt und wehrfähigen Männern rät, in diesem Fall zu fliehen.

Aber was interessiert das deutsche Parteien, die lieber Waffen liefern, als russischen Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern Schutz zu bieten?

In einem Land, das sich wehrbereit und kriegstüchtig machen will, gibt es keinen Cent mehr für Friedensarbeit. Schließlich muss der Burgfrieden bewahrt bleiben. Dann werden von fast allen Parteien massive soziale Einschnitte angekündigt, damit die Rüstung erhöht werden kann. Das könnte spätestens, wenn die Folgen spürbar werden, noch zu größeren Protesten führen.

Das soll verhindert werden, in dem jede Position zur Ukraine, die nicht die Linie des deutschen Imperialismus affirmiert, als „prorussisch“ aus dem Diskurs ausgegrenzt wird.

Die Mär vom Lumpen-Pazifismus

Wie das funktioniert, hat Gerald Grüneklee in seinem kürzlich im Mandelbaum-Verlag erschienenen Buch „Nur Lumpen werden überleben“ gut beschrieben. Der ungewöhnliche Titel bezieht sich auf das Gerede über „Lumpen-Pazifismus“ von Linksliberalen, die damit Menschen und Gruppen, die nicht kriegsbereit waren und sind, diffamieren.

Grüneklee zeichnet nach, dass es eine lange reaktionäre Tradition ist, bestimmte Menschen als Lumpen ausgrenzen zu wollen. Statt dessen übernimmt der Autor den Begriff als einen Ehrentitel. Der Autor widerlegt die ganzen Phrasen, die seit zwei Jahren rund um die Ukraine immer wieder verbreitet werden und bis in einst deutschlandkritische Milieus Wirkung, wenn plötzlich „Zwei drei, viele Maidans“ gefordert und damit deutschnationale Geopolitik unterstützt wird.

Gegen Faschismus und Krieg: Out, aber richtig

Grüneklee vertritt in seinen Buch Positionen, die vor 30 Jahren im Jugoslawien-Konflikt in der außerparlamentarischen Linken fast Konsens waren, aber heute Probleme haben, überhaupt geduldet zu werden :

Derzeit ist in Mitteleuropa eine nationalistische und militärische Formierung zu erleben, wie es sie seit 1945 nicht mehr gab. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ ist trotz alledem der Ausgangspunkt dieses Buches.

Deshalb ist dieses Buch erstens antifaschistisch – und wirft aus dieser Perspektive einen genauen Blick auf die Ukraine.

Es ist zweitens antimilitaristisch und betrachtet deshalb Waffen als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung – auch dann, wenn es um legitime nationale Selbstverteidigung geht. »Nur Lumpen werden überleben« ist drittens staatskritisch – und stellt deshalb anstelle von Fragen nach »angemessenen Militärstrategien« oder der Staatsdiplomatie die Perspektive der antimilitaristischen Bewegungen und Individuen in den Mittelpunkt.Gerald Grüneklee, Nur Lumpen werden überleben

Es wird sich zeigen, ob in einer Zeit , wo sich Scholz in den USA als Antreiber des Ukraine-Konflikts präsentiert und damit die deutsche Rolle kenntlich macht, auch wieder größere antimilitaristische Proteste entstehen.

Der Autor hat vor zwei Jahren mit Gerald Grüneklee und Clemens Heni das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns“ Deutschland und die Ukraine herausgegeben.